Viele Unternehmen unterschätzen die psychologische Wirkung ihrer Büroräume. Wer schlecht plant und Bedürfnisse der Mitarbeitenden verkennt, kreiert Umgebungen, die einschüchtern. Ein Gespräch mit dem Münchner Raumpsychologen und Beziehungsexperten Uwe Linke.
von Hannes Hilbrecht
inperspective: Herr Linke, Sie beraten unterschiedlichste Unternehmen bezüglich ihrer Gestaltungskonzepte. Sie firmieren außerdem als Raumpsychologe und sind als Paartherapeut tätig. Wie gefällt Ihnen der Raum, in dem Sie gerade sitzen?
Uwe Linke: Die Ferienwohnung hier in Österreich ist angenehm. Hochwertige Einbaumöbel. Sie kommunizieren dem Gast eine Form von Wertschätzung.
inperspective: Wenn hochwertige Einbaumöbel positiv wirken, welchen Eindruck macht dann IKEA auf Menschen?
Uwe Linke: Sie werden überrascht sein: IKEA hat die Idee des modernen Wohnens am erfolgreichsten umgesetzt. Die Entwürfe sind hochwertig, lediglich an der Fertigung könnte das Unternehmen noch feilen. Aber daran arbeitet es bereits, wie man an den verbauten Scharnieren sieht. Und IKEA gestaltet die sogenannten Kojen, der Fachjargon für die Ausstellungsräume, sehr lebendig. Die Besuchenden haben das Gefühl, dass die Räume wirklich bewohnt sind. Dieses Lebendigkeitsgefühl können Büromöbelhersteller nicht so treffend nachahmen.
inperspective: Was machen sie falsch?
Uwe Linke: Sie gehen vor allem auf Masse, wollen zeigen, wie viele Möbel sie haben und was diese können. Dabei vernachlässigen die Hersteller die angesprochene Lebendigkeit. Auch zeigen sie zu selten, wie ein gutes Büro funktioniert.
inperspective: Wie eingangs erwähnt: Sie sind als Raumpsychologe tätig. Der Begriff klingt etwas seltsam, wirkt wenig etabliert. Wie verbreitet ist das Thema?
Uwe Linke: Seit Anfang der 2000er sprechen wir bewusst über Raumpsychologie. Zunächst ging es vor allem um das Wohnen. Also darum, wie Farben, Gerüche oder Licht unser Wohlbefinden im eigenen Zuhause beeinflussen. Dieses Denken wurde mit der Zeit für Büros adaptiert. Nur mit dem Schwerpunkt auf Zusammenarbeit.
inperspective: Angenommen zehn Innenarchitektinnen und Innenarchitekten sollen jeweils ein Büro konzipieren und designen. Wie viele davon setzen sich mit der psychologischen Wirkung ihres Konzeptes auseinander?
Uwe Linke: Das grundsätzliche Wissen ist durchaus vorhanden. Es gibt vereinzelt Innenraumgestalter:innen, die Räume raumpsychologisch betrachten. Aber das ist zurzeit eine Minderheit.
inperspective: Woran liegt das?
Uwe Linke: Die Gestalter:innen wissen, »dass« Räume psychologisch auf Menschen wirken. Doch sie verstehen kaum, wie tief der Einfluss von Farbe, Licht, Gerüchen oder räumlicher Abgrenzung reicht.
inperspective: Wie wird sich das Thema in der Zukunft entwickeln?
Uwe Linke: Ich vermute, dass es bedeutsamer wird. Wir konnten beispielsweise bei der Akustik eine große Dynamik beobachten. Vor zehn Jahren war das Thema kaum relevant. Heute ist es ein Schwerpunkt, für den Hersteller wie PALMBERG diverse Lösungen entwickelt haben. Beim Licht beobachten wir seit etwa fünf Jahren eine ähnliche Bewegung. Wir wissen, wie wichtig die Farbtemperatur für uns Menschen ist. Auch bei diesem Aspekt hat sich die Technologie weiterentwickelt. Beim der Raumpsychologie erwarte ich einen ähnlichen Relevanzzuwachs.
inperspective: Sie schnitten vorhin Gerüche an. Hochspannend, wie das inperspective-Gespräch mit Prof. Johannes Frasnelli zeigt. Das Problem: Jeder Mensch riecht unterschiedlich. Wie kann man diese Themen optimieren, wenn die Zielgruppe – Mitarbeitende im Büro – so divers ist?
Uwe Linke: Wie wir äußere Einflüsse wahrnehmen, ist gar nicht so unterschiedlich. Wir riechen vergleichbar, fast identisch, verarbeiten diese Informationen aber anders. Entscheidend ist, welche Emotionen wir an einen Geruch im Laufe unseres Lebens geknüpft haben. Gut sichtbar wird das Phänomen, wenn man in Begleitung über die Schwelle zum eigenen Elternhaus tritt. Die wahrgenommenen Gerüche sind ähnlich – aber die Person, die in der Wohnung aufwuchs, wird ihre Körperhaltung und Wortwahl stärker anpassen.
inperspective: Okay, ich korrigiere: Räume werden ähnlich wahrgenommen, dafür unterschiedlich interpretiert. Das Problem, dass eine Umgebung verschiedene Menschen abholen muss, bleibt. Was steckt in der Design-DNA von Büroräumen, die möglichst alle Mitarbeitende positiv ansprechen?
Uwe Linke: Vielseitigkeit ist das Stichwort. Der Multispace verkörpert die DNA schon ganz treffend. Er bietet genügend unterschiedliche Umgebungen, sodass die Mitarbeitenden die Räume nach ihren Bedürfnissen wählen können. Grundsätzlich dürfen wir eine Sache nicht ignorieren: Die Bürogestaltung kann die Zusammenarbeit konstellieren, also eine Ausgangslage schaffen, einen Rahmen. Aber es braucht dringend Vorbilder.
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inperspective: Wie meinen Sie das?
Uwe Linke: Räume müssen nicht nur vorhanden sein, sondern Mitarbeitende sollten sie auch richtig nutzen. Wenn es keine Vorbilder gibt, die sichtbar zeigen, dass ein regelmäßiger Wechsel der Arbeitsumgebung nicht nur okay, sondern nützlich ist, werden die Mitarbeitenden das wahrscheinlich ebenso wenig tun.
inperspective: Vorbilder stehen für eine besondere Bindung zwischen Menschen. Als Paartherapeut begleiten Sie Beziehungen. Die gibt es in Büros auf diversen Ebenen. Inwieweit beeinflusst der Raum die Bindung zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden?
Uwe Linke: Das Büro kommuniziert eine Menge über das Profil eines Unternehmens. Es ist ein Aushängeschild. Wie geht es mit Menschen um? Wie steht es zu Innovationen? Ist es glaub- und vertrauenswürdig? Diese und unzählige andere Fragen beantworten Firmen – meist unbewusst – über die Gestaltung ihrer Arbeitswelten.
inperspective: Haben Sie ein besonders schlechtes Beispiel erlebt?
Uwe Linke: Ich habe einige Chefbüros in der Hightech-Branche wahrgenommen, die im kompletten Widerspruch zur eigenen Organisation standen. Die Einrichtung war veraltet, das Material minderwertig. Das passt nicht zum Anspruch der auf Hochwertigkeit getrimmten Produkte. Schon durch dieses Missverhältnis wird Glaubwürdigkeit infrage gestellt.
inperspective: Welche Unternehmen sind für diese – nennen wir es Patzer – besonders empfänglich?
Uwe Linke: Kleinere und mittelständische Unternehmen spüren diese Probleme häufiger. Die Großen sind in den meisten Fällen etwas weiter. Das liegt an Vorbildern wie Amazon oder Google, die einiges richtig machen und die Bedürfnisse ihrer jungen und innovativ denkenden Mitarbeitenden ansprechen. Auch hierzulande gibt es mittlerweile viele Arbeitsflächen, die wie Freizeitumgebungen rüberkommen. Das holt die jüngeren Zielgruppen ab.
inperspective: Das Abpausen bei den Pionieren klingt verlockend. Birgt das auch Gefahren?
Uwe Linke: Arbeit wird in jedem Unternehmen anders gelebt. Daher ist die Übernahme von Konzepten – eins zu eins – wenig ratsam. Ein Beispiel: Es gibt Unternehmen, die Kicker in ihre Büros stellen, ohne dass sie die passende Kultur dafür bieten. Wenn das Kickern kulturell nicht akzeptiert wird, spielt niemand zwischendurch. Dann entfaltet das Gutgemeinte eine kontraproduktive Wirkung. Es wird ein Symbol für das, was nicht geht.
inperspective: Expertinnen und Experten sprechen immer positiv davon, was Büros theoretisch für Loyalität und Produktivität leisten können. Existiert auch das Gegenteil: Toxische Arbeitsplätze?
Uwe Linke: Toxisch ist ein Begriff, den wir eher zwischenmenschlichen Beziehungen zuordnen. Zu Büros passt er nicht ganz so treffend. Grundsätzlich beeinflussen uns Arbeitsumgebungen, indem sie die Zusammenarbeit erleichtern oder erschweren. Außerdem können sie Rollenbilder und Hierarchien manifestieren.
inperspective: »Rollenbilder«. Haben Sie dafür ein Beispiel?
Uwe Linke: Ein Privates. Ich bin 60, mein älterer Bruder fast 64. Er arbeitet wirklich in einem riesigen Büro, ich fühle mich klein darin. Wenn ich ihn da besuche, merke ich, wie sich unsere Beziehungsebene und das Rollenverständnis verschiebt. An diesem Ort bin ich wieder der kleine Bruder von früher.
inperspective: Wann schüchtern Räume ein?
Uwe Linke: Waren Sie schon mal in einem Schloss?
inperspective: Ja. Aber auf architektonische Feinheiten habe ich als Schulkind noch nicht geachtet.
Uwe Linke: In zahlreichen Schlössern befinden sich beispielsweise die Türgriffe fast auf Augenhöhe. Bedienstete und Gäste, die früher die Türen öffneten, sollten sich klein fühlen. Und das können Räume gut: Menschen winzig erscheinen lassen. Wladimir Putin, eher klein gewachsen, schüchtert über einen sieben Meter langen Tisch ein, lässt seine Gäste schrumpfen. Auf diese Weise definieren Raum und Interieur die Beziehung zwischen Gastgebenden und ihren Besuchenden.
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inperspective: Schlösser, Kreml, gibt es Beispiele für raumpsychologische Sünden in einem näheren Kontext?
Uwe Linke: Ich habe mal ein Softwareunternehmen begleitet, das eine zerfahrene Entwicklung durchleben musste. Viele Jahre war die Firma in einer alten Stadtvilla beheimatet. Es war nicht modern, dafür rustikal gemütlich. Die große Küche fungierte als sozialer Treffpunkt. Dann ist das Unternehmen umgezogen. Raus aus dem häuslichen Umfeld in ein perfektes Bürogebäude. Open Space, New Work. Weiße Tische, Glaswände und Aussicht. Alles piekfein, aber keine Privatsphäre.
inperspective: Was hat das mit den Menschen gemacht?
Uwe Linke: Sie wurden eingeschüchtert. Sie haben alles verloren, was ihr gewohntes Territorium ausgemacht hat. Noch dazu waren sie mit der Akustik überfordert. Statt kleiner Territorien, in die flüchten können, saßen nun fast alle zusammen.
inperspective: Welche Fehler haben die Führungskräfte gemacht?
Uwe Linke: Sie nutzen als einzige geschlossene Räume, waren von den Problemen des Open Spaces abgeschirmt. Sie haben sich gefragt, warum es überall hakt, warum ihre langjährigen Mitarbeitenden unglücklicher sind. Sie haben die Störfaktoren nicht selbst wahrgenommen.
inperspective: Akustische Belästigungen sind dramatisch. Sie stressen, mindern die Produktivität, verursachen sogar Rückenschmerzen.
Uwe Linke: Wir dürfen laute Menschen nicht stigmatisieren. Genauso wenig sollten wir die Bedürfnisse der Ruhebedürftigen missachten. Es gibt nun mal Personen, die mit mehr Volumen sprechen. In manchen Jobs wird mehr geredet. Also braucht es Konstellationen, die zu den Menschen und ihren Aufgaben passen. Dieses Hintergrundwissen muss man jedoch er- und verarbeiten wollen. Unternehmen machen es sich gerne leichter. Hauptsache, es sieht funktional und hip aus. Wer so denkt, benötigt keine Architekt:innen, sondern Dekorateur:innen.
inperspective: Heute sollen Büros die Menschen vereinen. Cawa Younoussi, Head of People von SAP, sagte kürzlich, das Office müsse die sozialen Aufgaben eines Lagerfeuers erfüllen. Unterschätzen Unternehmen die Bedeutung von Privatsphäre und Rückzugsraum?
Uwe Linke: Das Büro ist kein Rückzugsraum. Aber in der Zeit, wo ein Arbeitsplatz benutzt wird, stellt es ein Territorium dar. Manche unterschätzen die Kraft dieses abgegrenzten Bereichs. Wer beispielsweise über Jahrzehnte in dieser Struktur das Arbeiten gelernt hat, wird das selten von heute und morgen aufgeben können.
inperspective: Wie wichtig werden Territorien in Zukunft sein?
Uwe Linke: Wenn es um Konzentration geht, dann sehr relevant. Wir schleppen eimerweise Schweiß rum, weil uns das Konzentrieren schwerfällt. Die Menschen arbeiten viel, schaffen aber wenig. Ein gutes Büro sorgt dafür, dass sich unterschiedliche Individuen besser konzentrieren können. Eine passende Raumgestaltung erleichtert immer die Arbeit.
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inperspective: Woran erkennt man Büros, die an diesem Anspruch scheitern?
Uwe Linke: Wenn sich Mitarbeitende ständig um Abgrenzung bemühen. Sich mit Aktenstapeln auf dem Tisch isolieren, im Homeoffice bleiben oder dauerhaft Kopfhörer aufsetzen. Das sind relativ sichere Anzeichen dafür, dass aktuelle Büroräume unzureichend für die Arbeit geeignet sind.
inperspective: In einer Liebesbeziehung zwischen Menschen braucht es für Lebendigkeit immer wieder neue Impulse. Wie ist es bei der Büroarbeit?
Uwe Linke: In der Gastronomie oder in Shops hat man den Wert von regelmäßiger Veränderung besser verstanden. Erfolgreiche Restaurants nuancieren alle paar Jahre ihr grundsätzliches Konzept. Die Speisekarte wird monatlich angepasst. Nur, wenn sich Erlebnisse verändern, spannend bleiben, kommen Menschen wieder. Das gilt noch sehr viel stärker in Büros.
inperspective: Was kommunizieren – dramatisch formuliert – »tote Büros«?
Uwe Linke: Wenn nur die Technik aktualisiert wird, sich sonst nichts auf die neuen Gegebenheiten und Menschen einstellt, fühlen sich Mitarbeitende ausgenutzt und ausgeliefert. Sie spüren weniger Selbstwirksamkeit, haben nicht das Gefühl, dass sie bewegen dürfen. Darunter leidet die Beziehung zum Arbeitgebenden.
inperspective: Veränderungen lassen sich initiieren. Warum tun das wenige Arbeitgebende?
Uwe Linke: Wer etwas anpassen will, tut das oft mit Provisorien, aber selten mit einem Plan. Und es fehlen Menschen, die Veränderungen antreiben und begleiten. Die sind unverzichtbar. Denn Umbauten und Veränderungen lassen sich nicht einfach delegieren. Sie müssen intern begleitet werden.
inperspective: Mirko Kaminski, Agentur-Unternehmer aus Hamburg, berichtet in unserem Interview von der Kraft kleiner Veränderungen. Salopp gesagt: Regelmäßig die Bilder oder Teppiche im Vestibül austauschen. Welche Wirkung zeigt der Austausch von kleineren Artefakten?
Uwe Linke: Eine enorme. Mit jeder sichtbaren Veränderung entsteht Lebendigkeit. Und diese Dynamik ist für Mitarbeitende entscheidend. Alle ein, zwei Jahre sollte im Büro merklich etwas verändert werden. Alle fünf sollten die Beteiligten zudem über weitreichende Maßnahmen nachdenken.
inperspective: Wie können Unternehmen die Veränderung erfolgversprechend initiieren?
Uwe Linke: Ich habe ein gutes Fallbeispiel: An einem einzigen Vormittag durfte ich den gesamten Komplex eines Unternehmens mit 70 Mitarbeitenden neu konzipieren. Mit insgesamt acht Personen – aus allen Abteilungen – habe ich offen gesprochen. Das waren intensive Momente. Doch die Eindrücke, das Wissen, die Ideen, alles, was rauskam – absolut beeindruckend. Doch Unternehmen wollen dieses Know-how manchmal bewusst nicht anzapfen. Sie fürchten Kritik, vermuten, dass es persönlich wird, es um Zwischenmenschliches geht. Das stimmt und ist entscheidend. Um Beziehungen zu verbessern, muss man über Beziehungen reden. Und zwar offen.
inperspective: Zum Abschluss: Müssen Unternehmen ihre Mitarbeitenden für effektiv nutzbare Büroräume besser verstehen – vor allem auf psychologischer Ebene?
Uwe Linke: Ja. Und dabei geht es nicht um das Offenbaren von Schwächen, nicht um Stigmatisierung. Menschen sind introvertiert, hypersensibel, extrovertiert. Keine Form ist schlecht, niemand hat die Wahl, so oder so zu sein. Das entwickelt sich epigenetisch, also aus dem Zusammenspiel von äußeren Einflüssen und unserer Genetik. Unternehmen müssen Bedürfnisse erkennen, akzeptieren und gerecht adressieren. Und dafür ist das Wissen über die Persönlichkeiten der Mitarbeitenden essenziell.