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Kommunikationsarchitektur: Bricks, Bytes, Behavior

Detlev Artelt gestaltet als Kommunikationsarchitekt innovative Prozesse für Unternehmen.

Detlev Artelt ist Speaker, Autor und Unternehmer mit einem großen Ziel: Die Kommunikation in Firmen nachhaltig verbessern. Warum nicht nur die Auswahl der richtigen Tools entscheidend ist, sondern auch Office Design und Büromöbel wichtige Einflussfaktoren sind. Ein Gespräch mit dem Neu.Work-Denker.

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Detlev, du bist nicht nur Autor und Unternehmer, sondern auch Kommunikationsarchitekt. Was sind deine Aufgaben?

Detlev: Meine Herausforderungen ähneln den Aufgaben eines "normalen" Architekten. Nur entwerfe ich keine Häuser oder Bürokomplexe am Schreibtisch. Ich darf die passenden Kommunikationstechnologien für die Unternehmen ermitteln und daraus ein funktionales Gerüst konstruieren. Kanäle definieren und Tools finden  – und vor allem mitdenken, wie diese im Anschluss genutzt werden sollten.

inperspective: Was sind die Schwierigkeiten deines Berufsalltages?

Detlev: Unsere Kunden stehen an unterschiedlichen Punkten der Digitalisierung und haben deswegen ihre ganz individuellen Probleme. Zudem nimmt die Anzahl der Tools und deren Möglichkeiten immer weiter zu, das Angebot hat sich bereits stark vervielfältigt. Aber nicht jedes Unternehmen hat die wirtschaftlichen Ressourcen, jeden Trend sofort mitzumachen, also jedes Tool zu bezahlen. Ich muss – wie ein Architekt – Lösungen für den Einzelfall maßschneidern und neben den individuellen Anforderungen auch finanzielle Aspekte berücksichtigen.

inperspective: Was ich mir schwierig vorstelle, mal abseits der Start-up-Szene: In einem Unternehmen arbeitet die 19-jährige Auszubildende, leidenschaftliche TikTok-Nutzerin, und direkt daneben sitzt der 55-Jährige, für den die E-Mail noch eine Innovation war. Wie sorgen Firmen dafür, dass niemand abgehängt wird oder sich distanziert fühlt?

Detlev: Wir müssen bei der Integration von neuen Kommunikationskanälen alle Beteiligten mitnehmen. Auch den leidenschaftlichen E-Mail-Nutzer. Das geht nur über Aufklärung, Information, über das Brückenbauen zwischen den Kollegen – und zwischen jedem Mitarbeiter und dem neuen Kommunikationswerkzeug.

inperspective: In der digitalen Kommunikation können Konflikte besonders schnell entstehen. Mitarbeiter und Chefs lesen aneinander vorbei. Kommunikative Feinheiten, die wir mimisch oder über den Sound der Stimme mitteilen, können nicht gesehen oder gehört werden. Und Streitereien und Missverständnisse können langfristig zu Ausgrenzung und Mobbing führen.

Detlev: Damit der digitale Austausch gelingt, braucht es Regeln. Wir sprechen gerne von einer Netiquette. Wann wird welcher Kanal wie benutzt? Wie kommunizieren wir allgemein? Diese Abläufe und Standards müssen wir gemeinsam festlegen und transparent für alle Beteiligten vermitteln. Generell dürfen wir aber nicht den Fehler machen, Kommunikation und die dafür verfügbare Technik isoliert zu betrachten. Ich spreche gerne von drei Begriffen: Bricks, Bytes und Behavior. Wir brauchen die Räume für die Kommunikation, die Technologie und das Verhalten der Menschen. Wenn wir nur Bricks und Bytes haben, und Menschen mit dem vorhandenen Raum und der verfügbaren Technik nicht richtig umgehen, gibt es Probleme.

inperspective: Wie können wir mit der richtigen Auswahl von Kommunikationskanälen Wertschätzung ausdrücken?

Detlev: Wenn wir die richtigen Kanäle und Tools eruiert haben, und den Mitarbeitern erklären können, wie sie von diesen Werkzeugen im Alltag profitieren, dann ist das allein eine Form der Wertschätzung. Die tägliche Arbeit wird erleichtert, dem Beschäftigten etwas Gutes getan. Also besteht die Wertschätzung darin, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, effizient zu arbeiten, Zeit zu sparen und die Ziele schneller zu erreichen. Ein wichtiges Stichwort hierbei ist "ergebnisorientiertes Arbeiten". Also nicht Stunden, sondern Ergebnisse zählen.

inperspective: Aber sorgen digitale Kanäle nicht dafür, dass wir uns voneinander entfernen, weil wir weniger persönlich kommunizieren, der Plausch in der Teeküche durch den Chat bei Slack überflüssig wird?

Detlev: Digitale Kommunikation soll den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch nicht ersetzen. Gerade über Chatprogramme wie Slack lässt sich auch ein persönliches Gespräch schnell vereinbaren. Wichtig ist, dass wir zum Beispiel seltener zu umständlichen Werkzeugen wie der E-Mail greifen, die Kommunikation verlangsamt, sondern effektivere Möglichkeiten nutzen. Dank Video können wir uns aus der Ferne sehen. Warum also nicht einen kurzen Videochat mit Kaffee anstelle eines Schnacks in der Teeküche?

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Für erfolgreiche Kommunikation braucht es die richtigen Räume.

inperspective: Digitale Kommunikationskanäle sind wiederum essenziell, wenn es darum geht, Menschen im Homeoffice mit den Kollegen im Büro zu verbinden. Durch die Corona-Pandemie arbeiten immer mehr Arbeitnehmer von zu Hause. Wird das Homeoffice die Zusammenarbeit künftig dominieren?

Detlev: Zunächst spreche ich persönlich lieber von Remote-Arbeitsplätzen. Generell gibt es viele Orte, an denen Menschen produktiv arbeiten können und wollen. Das ist nicht nur das Homeoffice, sondern auch das Café, der Garten, der Co-Working-Space. Durch die Folgen der Corona-Pandemie und dem Druck auf Firmen, plötzlich Heimarbeit einführen zu müssen, hat sich das Tempo des Wandels weiter erhöht. Allerdings sehe ich die meisten Vorteile in einer flexiblen Lösung. 2,5 Bürotage in der Woche bewerte ich als ideal.

inperspective: Wie hat die Digitalisierung die Büros in den vergangenen Jahren bereits verändert?

Detlev: Unsere Arbeitsräume haben sich immer mehr zum Open Space entwickelt. Und diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren weiter beschleunigen. Büros werden schon in naher Zukunft vor allem Begegnungs- und Kommunikationsort sein, weniger ein Platz für stummes Abarbeiten.

inperspective: Mit welchen Ansätzen sollten Architekten, Planer und Unternehmer die Büros neu denken – und hast du ein konkretes Best Practice?

Detlev: Microsoft hat in München ein ganz spannendes Office entwickelt. Im Foyer befindet sich ein Restaurant, das Mitarbeiter und Kunden nutzen können. In den anderen Stockwerken dominieren die Kommunikations- und Meetingräume. Der gesamte Komplex hat ein primäres Ziel: Austausch ermöglichen. Besonders die Konferenzräume und andere Treffpunkte sind sehr lebhaft und inspirierend gestaltet.

Das Homeoffice erschwert in manchen Unternehmen die Kommunikation – bietet aber trotzdem Chancen.

inperspective: Nun gibt es viele spannende Büros-Designs, die unterschiedliche Stärken und Gestaltungsfixpunkte aufweisen. Gibt es einen Kern, den jedes moderne Büro haben sollte?

Detlev: Die Menschen haben verschiedene Grundbedürfnisse an einen Arbeitsplatz. Wir sprechen von den vier "Ks": Kommunikation, Kollaboration, Konzentration und Kontemplation. Diese vier Bedürfnisse sollten von einem Büro zu jeder Zeit bedient werden.

inperspective: Was ist "Kontemplation"?

Detlev: Damit meine ich das Innehalten und gedankliche Entspannen an einem schönen Ort. Zum Beispiel auf einer Terrasse mit Ausblick. Oder in einem gemütlichen Raum mit vielen Pflanzen. Wo sich Mitarbeiter erholen und gedanklich fallen lassen können, und in dieser Lage ruhig über wichtige Themen nachdenken. Die Kontemplationsphase ist während der Entscheidungsfindung sehr relevant und hilfreich.

inperspective: Mit welchen Bedürfnissen tun sich Unternehmen bei der Umsetzung in den Büros am schwersten?

Detlev: Kommunikation und Kollaboration wurden in den vergangenen Jahren stark fokussiert und die entsprechenden Räumlichkeiten oder Möbel entwickelt. Aber bei all der Hektik und der steigenden Bedeutung von Kommunikation werden richtige Konzentrationsphasen noch wichtiger. Auch dafür muss es Plätze geben, Orte, wo es leise ist, wo nichts piept oder blinkt. Und der Aspekt der Kontemplation wird oft nur unzureichend angesprochen. Das liegt aber weniger an den Räumen oder Plätzen, die meist vorhanden sind, sondern an der Unternehmenskultur.

inperspective: Wie verhindert die Unternehmenskultur die erfolgreiche Integration von "Kontemplation" in den Arbeitsalltag?

Detlev: In vielen großen Unternehmen, zum Beispiel Banken oder Versicherungen, gibt es besonders in den Foyers tolle Möbel oder Einrichtungskonzepte, die dazu einladen, in dieser Atmosphäre kurz innezuhalten oder ein lockeres Kollegengespräch zu führen. Doch diese Plätze werden zu selten genutzt, weil sich die Menschen noch nicht an die Möglichkeiten gewöhnt haben. Oder weil die Führungskräfte nicht beispielhaft vorangehen. Mir wurde von Chefs berichtet, die diese Einrichtungsideen bewilligt haben, dann aber die Mitarbeiter ansprachen und – vielleicht nur als Spaß gemeint – sagten: "Was sitzt ihr hier? Warum arbeitet ihr nicht?" Wenn so etwas passiert, trauen sich Mitarbeiter irgendwann nicht mehr, wichtige Bedürfnisse im Arbeitsalltag zu stillen. Viel sinnvoller wäre es, wenn Führungskräfte und Chefs diese Orte selbst nutzen und als Vorbilder vorangehen würden.

inperspective: Wie kann sich eine Unternehmenskultur dahin wandeln?

Detlev: Besonders wir Deutschen neigen dazu, sehr lange am Bewährten zu hängen und Wände eher zu spät als zu früh einzureißen. Bei diesem Thema ist das Problem eindeutig. Viele glauben immer noch, dass es erst Arbeit ist, wenn wir uns acht bis neun Stunden den Hintern auf einem und demselben Stuhl platt drücken. Dass es nur richtige Arbeit ist, wenn wir an einem Schreibtisch vor dem Computer oder Laptop sitzen. Mit diesen verkrusteten Einstellungen und Gewohnheiten müssen wir brechen, wenn wir zukunfts- und erfolgsorientiert arbeiten wollen.

inperspective: Wir sprachen viel über technische Tools und Design. Doch wie beeinflussen Büromöbel die Kommunikation?

Detlev: Akustikelemente sind von erheblicher Bedeutung. Wenn sich mehrere Leute im Meetingraum befinden, andere Kollegen via Video dazu geschaltet sind und jedes kleine Geräusch oder Piepen im Raum hallt, weil es keine Schallabsorber gibt, dann sinkt die Qualität des Meetings nachweislich. Und damit verschlechtern sich die Ergebnisse.

inperspective: Welche Möbel wünscht du dir abseits von Akustikelementen?

Detlev: Ich benutze täglich bis zu sechs unterschiedliche technische Geräte. Ob Laptop, Tablet, Handy – durch die Kommunikationstools haben wir laufend ein Devices in der Hand, hocken ständig vor einem Bildschirm. Dafür ist der menschliche Körper aber nicht gemacht. Sitzen gilt als das neue Rauchen. Daher war mir ein ergonomischer Bürostuhl besonders wichtig, damit ich, wenn ich sitzen muss, meinen Körper schone. Und ganz generell erhoffe ich mir vor den Herstellern, dass sie den Trend fortsetzen, flexible und vielseitig nutzbare Möbel zu bauen. Tische, die wir beispielsweise in Meetingräumen einfach auf- oder einklappen können, je nach Teilnehmeranzahl und Anlass des Meetings. So etwas könnte hilfreich sein.

inperspective: Wie können Unternehmen erkennen, ob ihre Kommunikationsarchitektur weder digital noch vor Ort im Büro ausgereift ist – und wie schnell gelingt eine Verbesserung?

Detlev: Das ist ein langwieriger Prozess, der sich über bis zu zwei Jahre strecken kann. Ob Kommunikation funktioniert oder nicht funktioniert, das muss im Einzelfall besprochen und entschieden werden. Wir arbeiten mit Workshops, sprechen mit den Mitarbeitern, verstehen die Mechanismen hinter den Aufgaben- und Zusammenarbeitsstrukturen. Aber richtige Messinstrumente, die einem sofort anzeigen, dass die Kommunikation dringend einer Verbesserung bedarf, gibt es leider nicht. Da hilft es nur, tiefer in die Thematik einzutauchen. Damit die Wichtigkeit der Prozesse deutlich wird, sollten sich Führungskräfte aus dem C-Level-Bereich hier aktiv einbringen.

inperspective: Zwei Jahre. Das ist eine lange Zeit. Lohnt sich der Aufwand?

Detlev: Mitarbeiter, die sich wertgeschätzt und respektiert fühlen, die miteinander harmonieren und viel kommunizieren, sind produktiver, treffen zu 80 Prozent schneller bessere Entscheidungen. Das zeigen zahlreiche Studien. Gute Kommunikation lohnt sich immer.

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