Menü öffnen

Wandel der Arbeitswelt: Wie Unternehmen Menschen wieder freiwillig ins Büro bekommen

Wie bekommen Unternehmen Mitarbeitende ohne Zwang zurück ins Büro? inperspective hat mit Sandra Feldmann über den notwendigen Paradigmenwechsel beim Recruiting sowie den Arbeitsorten gesprochen.

Sandra Feldmann findet weltweit Talente für spannende Aufgaben. Ihr Ansatz: Es geht um Gefühle, die Unternehmen bei Bewerberinnen und Bewerbern auslösen. Dabei sind Firmen aber nicht immer stilsicher. Ein Interview über den notwendigen Paradigmenwechsel beim Recruiting und Arbeitsorte, denen die Zukunft gehören kann. 

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Frau Feldmann, Sie sind Expertin darin, Menschen für Unternehmen zu begeistern. Sie gewinnen jedoch keine Kundinnen und Kunden, sondern Mitarbeitende. Was ist Ihr Ansatz?

Sandra Feldmann: Viele Menschen werden es kennen: Plötzlich taucht bei LinkedIn in den Direktnachrichten eine Jobanfrage auf. Doch die wirkt meist eher lieblos, es ist so ein Standardtext, der niemanden abholt. Mit meiner Arbeit möchte ich die Ansprache der Menschen strategischer angehen und innovativer gestalten.

inperspective: Wie sollten Führungskräfte aus dem Personalbereich bei der Talentgewinnung strategisch vorgehen?

Sandra Feldmann: Es beginnt damit, dass wir eine wichtige Sache umsetzen müssen. Bisher priorisierten Unternehmen, was sie in der Anfrage mitteilen wollten. Es ging um die Informationen. Mir ist etwas anderes weit wichtiger: Und zwar nicht das, was wir Talenten mitteilen, sondern das Gefühl, das unsere Kommunikation bei ihnen hinterlässt. Ich führe gerne Simon Sinek’s »Golden Circle« an: Es geht weniger um das »Was« oder »Wie«, sondern um das »Warum«!

inperspective: Als Recruiting-Expertin sind Sie nah an einem der größten Themen im deutschsprachigen Raum: dem Fachkräftemangel. Ist er wirklich so dramatisch, wie Politik und Wirtschaft ihn darstellen?

Sandra Feldmann: Jein. Ja, es gibt eine gewisse Shortage, also eine Knappheit bei hoch spezialisierten Fachkräften. Aber andererseits mangelt es in den Unternehmen nicht an selbst verschuldeten Baustellen. Zum Beispiel die fehlende Flexibilität.

Jetzt inperspective snacks kostenlos abonnieren

inperspective: Flexibilität ist mittlerweile ein sehr abgegriffenes Wort. Was meinen Sie damit?

Sandra Feldmann: Viele Organisationen sträuben sich gegen Menschen, denen vielleicht noch zwei oder drei Qualifikationen für die entsprechende Stelle fehlen. Sie wollen, dass alles passt, dass alles erfüllt wird. Dieser Luxus ist aber in vielen Branchen vorbei. Erste Unternehmen machen es besser. Sie stellen nach Persönlichkeit ein. Sagen: Okay, die Person kann noch nicht alles, aber sie ist so offen, lernwillig und ehrgeizig, dass sie bald das nötige Wissen besitzen wird. Es geht um Potenziale. Und um diese zu bergen, müssen Unternehmen flexibel bleiben. Wenn man nach Erfahrung geht, schaut man immer in die Vergangenheit. Beim Potenzial sollte der Blick nach vorne gerichtet sein.

inperspective: Und was ist mit den Talenten, die das Gegenteil von den Jungspunden verkörpern? Die Erfahrenen, die auf dem Markt etabliert, eher überqualifiziert sind?

Sandra Feldmann: Das ist eine interessante Frage. Denn viele der Hochqualifizierten bewerben sich nicht um einen Job. Sie werden angesprochen und greifen auf ihr Netzwerk zurück. Ich habe schon in Gesprächen erlebt, dass sie verdutzt waren, als es um ihren Lebenslauf ging. Den hatten sie gar nicht. Das bedeutet: Unternehmen müssen – wieder geht es um Flexibilität – mit Gewohnheiten brechen und sich für neue Modelle im Anstellungsprozess öffnen. Und natürlich gehört dazu auch eine gewisse Technologieoffenheit. Nur mit dieser können Firmen das Recruiting personalisieren, automatisieren und skalieren.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen. Der Inhalt ist vom Typ Video.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden und akzeptiere alle Cookies dieser Webseite. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung und Cookie-Erklärung.

inperspective: Wie wichtig bleibt der Faktor Begegnung bei der Einstellung von Menschen?

Sandra Feldmann: Darauf gibt es keine pauschale Antwort, denn es ist abhängig von der Branche. Im Tech-Bereich, in dem Menschen global verstreut arbeiten, ist ein rein digitales Recruiting kein Problem. In der Baubranche, aus der ich ursprünglich komme, zählt ein Handschlag alles. Tools für die digitale Vernetzung mit Bewerbenden sind dort kaum existent. Da wird ein digitales Onboarding nicht gelingen. Am Ende zählt: Wer eine gute technologische Infrastruktur besitzt, braucht in manchen Branchen keinen direkten leibhaftigen Kontakt.

inperspective: Vielleicht eine spannende Frage für die Leserinnen und Leser: Wo und wie arbeiten Sie eigentlich?

Sandra Feldmann: Zu 100 Prozent remote. Aus München für ein Schweizer Unternehmen. Davor habe ich wie eine digitale Nomadin gearbeitet. War viel in Co-Working-Spaces unterwegs, unter anderem in Barcelona. Das war mit die spannendste Zeit, ich brauchte nur ein Office-T-Shirt für die Calls. Ansonsten habe ich im Bikini in Strandnähe gearbeitet. Und das erfolgreich.

inperspective: Wie beeinflusst Remote-Arbeit das Recruiting?

Sandra Feldmann: Auf jeden Fall stellt sie uns vor ein Problem. Alle reden von remote, aber meinen wir überhaupt dasselbe? In der New York Times gab es mal einen sehr empfehlenswerten Artikel dazu. Die Zeitung spricht von fünf Phasen der Remote-Arbeit:

  1. remote-freundlich

  2. remote-fähig

  3. remote-zuerst

  4. remote vollständig ausgerollt

  5. nur remote

 

Bevor wir über remote sprechen, sollten wir also definieren, über welches Remote-Konzept wir reden, also auf welcher Stufe wir digital kollaborieren. Nur ein bisschen – oder ausschließlich - oder meinen wir eigentlich »gelegentlich Homeoffice«? Das ist ein Unterschied.

inperspective: Wie wichtig war Ihnen, dass der Arbeitgeber Ihnen die volle räumliche Flexibilität zugesteht?

Sandra Feldmann: Es war extrem relevant. Ich wollte vor allem remote arbeiten, örtlich komplett unabhängig sein - sprich: work from anywhere. Für die Jobs in der HR, die für mich infrage kämen, fand ich vor Corona weltweit nur 20 Unternehmen, die diesen Anspruch erfüllten.

»Wenn man nach Erfahrung geht, schaut man immer in die Vergangenheit. Beim Potenzial sollte der Blick nach vorne gerichtet sein.«

inperspective: Auch wenn Sie selten im Büro arbeiten: Früher war der Ort extrem wichtig, wenn es um die Anstellung ging. Menschen kamen in ein Office und wurden beispielsweise bereits über die Einrichtung wertgeschätzt. Der Arbeitsort erzeugte idealerweise ein Gefühl von: »Hier möchte ich arbeiten.« Ist das vorbei?

Sandra Feldmann: Nein. Wir müssen aber einen Paradigmenwechsel im Kopf hinbekommen. Denn wir sehen das Büro immer noch zu sehr als räumlichen Ort. Wir müssen es aber kultureller betrachten. Unternehmen sollten kein Office schaffen, sondern eine Community aufbauen. Diese kann sich in der Präsenz organisieren – oder digital. Die alles entscheidende Frage ist nicht, wo eine Firma aus Mitarbeitenden eine Gemeinschaft formt. Es zählt das »Wie?«.

inperspective: Warum eine Community?

Sandra Feldmann: Produktivität und Kreativität entstehen, wenn Leute, die unterschiedlich sind, die verschiedenen Denkmustern verfolgen, sich gegenseitig befruchten. Ich habe oft selbst erlebt, wie kraftvoll das gegenseitige Inspirieren ist. Führende Firmen verstehen das bereits. Sie haben eine neue Rolle geschaffen, sogenannte Community-Manager. Sie sollen aus Kolleginnen und Kollegen eine Gemeinschaft entwickeln, die Themen im Sinne des Unternehmens treibt.

inperspective: Da scheint die Antwort auf die Frage des perfekten Büro-Designs naheliegend: Firmen müssen gemeinsam mit Innenarchitekt:innen für ihre Organisationen einen eigenen Co-Working-Space bauen.

Sandra Feldmann: Das ist ein guter Gedanke. Bisher ziehen Unternehmen in Co-Working-Spaces ein. Da werden die Mitarbeitenden Teil einer Gemeinschaft, und das ist prinzipiell gut. Spannender wäre es noch, wenn das eigene Corporate-Büro ein Platz ist, an dem aus verschiedenen Teams eine gemeinsame Community entsteht.

Jetzt inperspective snacks kostenlos abonnieren

inperspective: Wie sieht für Sie ein gutes Büro aus?

Sandra Feldmann: Ich glaube an die Raumlehre des Agilitätsprinzips.

inperspective: Und die beinhaltet?

Sandra Feldmann: Wenige Einzelbüros, viele Freiflächen. Überall befinden sich sogenannte Arbeitsdecks, also Plätze, die man sich für bestimmte Arbeiten in einem agilen Team aussuchen und mieten kann. Erste Desktop-Management-Systeme existieren bereits. Was die gemeinsame Büroarbeit angeht, wird sich dieses Prinzip durchsetzen. Da bin ich mir sicher.

inperspective: Aus welchen Erfahrungen speist sich diese Überzeugung?

Sandra Feldmann: In einer früheren Arbeitsstation habe ich mit meinen Teams regelmäßig neue, spannende Büros besichtigt. Wir wollten uns inspirieren lassen, Wege finden, mit denen wir unsere Zusammenarbeit noch fluider gestalten können. In dieser Phase waren agile Arbeitswelten besonders inspirierend. Und wir sehen in der IT, wie herausragend das Prinzip funktioniert. Vor allem gut im Sinne von: dynamisch und zielorientiert.

Community-Manager sollen aus Kolleginnen und Kollegen eine Gemeinschaft entwickeln, die Themen zusammen im Sinne des Unternehmens treibt.

inperspective: Auf Büro-Tour gehen und von anderen Unternehmen lernen – ein spannender Ansatz, vor allem ein ungewöhnlicher. Gab es Erlebnisse, die Sie schockiert haben?

Sandra Feldmann: Wir haben mal das Büro eines Konzerns besucht. Das hatte für das moderne Office-Design einige New-Work-Preise abgeräumt. Tatsächlich war es zunächst auch sehr cool. Es gab einen Floor, auf dem verschiedene Unternehmensbereiche in offenen Zonen zusammenarbeiten sollten. Daraus ergaben sich aber Hakeleien. Führungskräfte, denen vertraglich zugesichert wurde, dass sie ein 25-Quadratmeter-Büro mit großem Fenster bekommen, wollten ihre Privilegien verteidigen. Die Kultur im Unternehmen und das Office-Design haben nicht zusammengepasst. Das kann gravierend sein. Denn eine vielleicht nicht ganz so positive Kultur wird dadurch erst recht für alle sichtbar.

inperspective: Was ist das Schlimmste, was dann passieren kann?

Sandra Feldmann: Auch das wurde in den beschriebenen Büros deutlich. Irgendwann erzählte der Mann, der uns herum führte, dass wir uns in einem besonderen Bereich befinden. Es waren kleine Kabinen - sehr ruhig, abgelegen, eine Erholungszone, in der Mitarbeitende nach stressigen Stunden abschalten können. So mein erster Eindruck. Unser Guide erzählte dann süffisant, dass der CEO diesen Ort mag, weil er hier gut Leute feuern kann. Es ist alles schalloptimiert, gut abgeschirmt. Die Menschen können ungestört und unbemerkt alle Emotionen rauslassen, ergänzte der Guide. Mich hat das schockiert. Dieses Unternehmen, das so ein tolles Büro besaß, hat New Work nie verstanden. Im Gegenteil: Es hat das Konzept pervertiert. Emotionen bitte nicht zeigen, sondern vorne an der Pforte abgeben. Mensch sein? Emotionen zeigen? Ja, aber bitte erst nach Feierabend und zu Hause.

inperspective: Was haben Sie aus diesem Negativbeispiel gelernt?

Sandra Feldmann: Man kann Räume schaffen und ändern, wie man will. Das ist nicht entscheidend. Wichtig ist, dass wir die Räume zunächst in unserem Kopf ändern.

Jetzt inperspective snacks kostenlos abonnieren

inperspective: Unabhängig davon ist die entscheidende Frage für Unternehmen, die Menschen in nicht-toxischen Büros zusammenbringen wollen, wie sie eben jene wieder dahin bekommen. Viele haben es sich im Homeoffice gemütlich gemacht. Der Zukunftsforscher Tristan Horx sagt, dass die Büros der Zukunft lebenswerter sein müssen als das eigene zu Hause.

Sandra Feldmann: Er hat recht. Ein Office muss automatisch Mehrwert bedeuten. Warum sonst sollte ich meine Wohnung verlassen? Hier kann ich es mir gemütlich machen und Hygge voll ausleben, wenn mir danach ist. Im Büro geht das oft nicht.

inperspective: Was wäre Ihr erster Ansatz dafür?

Sandra Feldmann: FlixBus hat im Office eine Rutsche, was lustig ist, aber nicht notwendig. Was wirklich immer und an jedem Ort zieht: guter Kaffee. Unternehmen, die es sich leisten können, sollten eigene Baristas einstellen – denn diese erzeugen ein Kaffeehausgefühl, das Menschen eben anlockt. Ansonsten müssen Büros vielseitiger werden. Bisher haben Unternehmen einen Ort zum Arbeiten geschaffen, nun geht es darum, mehrere Bedürfnisse zu befriedigen. Menschen, denen es zu Hause zu langweilig ist, müssen im Office Abwechslung und Austausch finden. Und für Personen, die es umgekehrt erleben, bei denen daheim zu viel abgeht, muss es der Ruhepol sein. Neben dem Community-Aspekt ist die Vielseitigkeit der Schlüssel zu funktionierenden Arbeitswelten.

inperspective: Zum Abschluss: Sie arbeiten täglich daran, Menschen für Unternehmen zu begeistern. Dass Sie, wie Sie eingangs sagten, ein positives Gefühl im Bewerbungsprozess entwickeln. Wann konnte das letzte Mal ein Büro diese Stimmung bei Ihnen erzeugen?

Sandra Feldmann: Erst neulich habe ich gesehen, dass eine Firma diverse Eltern-Kind-Arbeitsplätze einführt. Das fand ich toll. Das sorgt dafür, dass sich Mütter (und Väter) nicht zwischen »Kind fremd betreuen« oder der Fahrt ins Office entscheiden müssen. Wäre ich nicht so glücklich mit meiner Aufgabe, hätte ich mich direkt beworben. Auch das ist eine Zukunft des Büros! Dass es Orte sind, die Menschen bei den Challenges des Alltags unterstützen – und nicht nur bei den Herausforderungen auf Arbeit.