Hipp oder spießig. Verspielt oder konservativ. Farben eines Büros sagen viel über Personal, Unternehmen und Atmosphäre aus. Farbforscher Axel Buether erzählt, was farbliche Fürsorge bedeutet, wie Kontraste und bunte Mischungen die Arbeit beeinflussen.
von Jule Fuchs
inperspective: Herr Buether, was kann die optische Erscheinung von Büros über Unternehmen verraten?
Axel Buether: Farben prägen unseren ersten Eindruck von Menschen, Dingen, Räumen, Unternehmen und Institutionen. Sie sind die Visitenkarte jedes Büros. Sie zeigen uns das Maß der Wertschätzung, die ein Unternehmen seinem Personal entgegenbringt. Die Raum- und Objektfarben sagen mehr als Worte, denn sie vermitteln uns einen unverfälschten Eindruck von den Arbeitsbedingungen, der Atmosphäre und der Unternehmenskultur.
Wirkt ein Büro konservativ oder gar spießig, wirkt sich das ganz selbstverständlich auch auf die Wahrnehmung der dort arbeitenden Personen aus. Niemand würde bei diesen Menschen Eigenschaften wie Kreativität, Innovation oder Offenheit vermuten, was nicht unbedingt stimmen muss. Wir tun uns in jedem Fall schwer damit, unseren ersten Eindruck zu revidieren. Farben sind Medien und Kommunikationsmittel, die uns über inhaltliche Bedeutungen von Räumen und Dingen wie auch über Charaktereigenschaften und Handlungsabsichten von Menschen informieren. Das ist ihre biologische und kulturelle Funktion.
Farben geben Auskunft über unser soziokulturelles Milieu, über unser Einkommen, unsere Bildung und unsere Wertvorstellungen. Das ist die eine Seite der Medaille. Die Farben unserer Arbeitswelten haben nicht nur repräsentativen Charakter, sondern sind ebenso wichtig für unser Wohlbefinden, unsere Arbeitsleistung und unsere Gesundheit.
inperspective: Was sagt denn Ihr Büro über Sie selbst aus? Geben Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeitswelt.
Axel Buether: Ich habe lange Zeit in einem 60er-Jahre-Gebäude gearbeitet, in dem ich einige Wände entfernt und einen durchgängigen hellen Holzboden verlegt habe. Als Wandfarben hatte ich mir Kombinationen von Pastellweiß mit frischen, anregenden Bunttönen wie Himmelblau, Senfgelb oder Lindgrün ausgesucht, die zum Stil der 60er passen. Mir ging es um Lebensfreude und Authentizität. Eigenschaften, die mir sehr wichtig sind.
Heute arbeite ich in einem Gründerzeithaus, dass große helle Büroräume besitzt. Das originale Eichenparkett gibt einen Eindruck davon, was nachhaltige Materialien sind. Wie der ganze Bau, der inzwischen 130 Jahre alt ist und immer noch wunderbar als Büro und Wohnung funktioniert. Die klassischen Raumfarben bestehen aus mineralischen Pigmenten, die ebenso nachhaltig sind, eine wunderbare Farbtiefe und samtige Oberfläche besitzen. Diese Farben entsprechen dem Megatrend unserer Zeit, der auf gesunde, nachhaltige und beständige Materialien setzt. Im Kontrast dazu stehen moderne Möbel, die eine eigene Farbwelt in die alten Räume bringen.
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inperspective: Können Räume die Psyche der in ihnen Arbeitenden beeinflussen, zum Beispiel Stress mindern, Kreativität fördern und Wohlbefinden steigern?
Axel Buether: Ich habe in mehreren Studien herausgefunden, dass ein Wechsel der Raumfarben vom Personal tatsächlich als Fürsorge empfunden wird. Die Menschen gehen lieber zur Arbeit, sie fühlen sich dort sehr viel wohler, sind leistungsfähiger und deutlich weniger krank. Der Krankenstand sank um mehr als 30 Prozent in unseren Untersuchungen, die im besonders anspruchsvollen Arbeitsumfeld von Intensivstationen stattgefunden haben, beim medizinischen wie pflegerischen Personal.
Allerdings gibt es auch andere Untersuchungen, die zeigen, dass wir uns in kühlen, hellen Atmosphären besser konzentrieren können und weniger Fehler bei geistigen Aufgaben machen. In wärmeren Umgebungen können wir uns hingegen schneller und wirksamer entspannen. Wir kommunizieren mehr und fühlen uns dabei wohler.
Mit der Kreativität ist das so eine Sache. Manche Menschen haben die besten Ideen, wenn es in ihrer Umgebung bunt, lebendig und anregend zugeht. Andere hingegen sind Minimalist:innen, die eine graue, weiße, in jedem Fall ruhige und karge Umgebung brauchen, damit ihnen etwas einfällt.
inperspective: Grün soll entspannen, Blau den Geist weiten. Können wir Farben wirklich bestimmte Bedeutungen zuschreiben?
Axel Buether: Ich habe mein neues Buch: "Die geheimnisvolle Macht der Farben. Wie sie unser Erleben und Verhalten beeinflussen" auch deshalb geschrieben, um solchen Allgemeinsätzen den Boden zu entziehen. Natürlich ist an unseren Vorurteilen etwas dran. Doch ein Grünton wirkt keinesfalls immer gesund, sondern kann genauso auch schimmelig oder giftig erscheinen. Himmelblau und Weiß sind Lichtfarben, die Räume weiten, aber auch immateriell und kühl aussehen lassen. Es kommt also immer darauf an, was wir konkret mit einem ganz bestimmten Farbton oder einer Farbkomposition assoziieren und in welchem Kontext wir Farben einsetzen. Das ist wie mit den Worten unserer Sprache, die uns je nach Kontext völlig andere Bedeutungen vermitteln können.
Farben haben immer etwas mit dem Zeitgeist zu tun, also mit den großen Themen, die Menschen einer Epoche bewegen. Das sehen wir sehr gut, wenn wir die Stilepochen und ihre Farbigkeit vergleichen. In unserer Zeit sind das Naturfarbtöne: Sand, Erde, Greige (Mischung von Grau und Braun), aber auch Lichtgelb, Lindgrün oder Gletscherblau. Farben, die möglichst gesund und nachhaltig wirken. Weder chemisch noch giftig. Am besten wie ungefärbte Naturprodukte und Naturphänomene.
inperspective: Welche Farben oder Mittel werden in Arbeitsräumen Ihrer Meinung nach am häufigsten falsch eingesetzt?
Axel Buether: Das größte Problem habe ich mit komplett weißen Büroräumen, denn kaum jemand arbeitet gerne in einer kühlen, sterilen und abweisenden Atmosphäre. Die meisten Menschen kennen es nicht anders und können ihr Unbehagen daher nicht artikulieren. Es fehlt ihnen schlichtweg der Vergleich.
Wenn wir mit einem Büroprojekt fertig sind, sind die Reaktionen der Beschäftigten daher meist enthusiastisch, wie es dieses Zitat deutlich macht: "Gerne wollten wir Euch zurufen, wie unglaublich wohl wir uns hier in den schönen Räumen fühlen. Alle Besucher sind ebenfalls völlig begeistert. Abends können wir uns immer kaum losreißen."
Damit mich niemand falsch versteht: Für mich ist Weiß eine wunderbare Farbe, doch nur dort, wo sie ihre positiven Wirkungen entfalten kann. In einer Galerie oder einem modernen Shop kann die Farbe genau richtig sein. Auch in Weltregionen, die klimatisch überwiegend warm sind, besitzen weiße Gebäude und Interiors einen angenehmen Kühlungseffekt. Rund um das Mittelmeer wirkt die kalkweiße Farbe authentisch, denn sie folgt dort einer langen Tradition. Wir haben das kopiert, obwohl es mit dem Klima in den nördlichen Weltregionen – wie bei uns in Mitteleuropa – völlig anders aussieht. Wir wünschen uns mehr Wärme und Geborgenheit. Farben, die wir ebenso gerne mit unserem Blick wie mit unseren Händen berühren.
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inperspective: Welche Tipps können Sie Raumplaner:innen, Architekt:innen und Unternehmer:innen an die Hand geben, damit sich Mitarbeitende wohler fühlen?
Axel Buether: Der Architekt Bruno Taut bezeichnete Farben seinerzeit als das "günstigste und zugleich wirksamste Mittel der Architektur". Seinem Zeitgenossen le Corbusier waren sie "ebenso wichtig wie der Grundriss und der Schnitt". Es ergibt daher in jedem Fall Sinn, sich vor einem Neubau oder einer Renovierung Gedanken zu machen. Ein Farbkonzept für alle Oberflächen, Materialien und die Qualität des Lichts zu entwickeln, in dem die Wirkungen auf das Erleben und Verhalten der betroffenen Menschen berücksichtigt sind.
Ich selbst teste diese Effekte vor und nach jeder farblichen Umgestaltung. Alle Beteiligten sind immer wieder erstaunt, mit wie wenig Mitteln sich messbar positive Effekte erzielen lassen. Denn ob sie Weiß, Grün oder Blau streichen, macht preislich kaum einen Unterschied.
Bei Bodenbelägen und Möbeln steigt die Auswahl der Standardfarben. Das gilt ebenso für den Farbwiedergabeindex und die Farbtemperatur moderner Leuchtmittel. Es muss sich nur jemand die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, welche Wirkungen wir erzielen sollen.
Im zweiten Schritt kommt es darauf an, die richtigen Farben zu finden, die nicht immer die schönsten, aber in jedem Fall die wirksamsten sind. Farben sind Umwelteinflüsse, die vielfältige Funktionen haben, die zu berücksichtigen sind. Farben dienen unserem Wohlbefinden und unserer Gesundheit, schaffen Orientierung und bilden Identität. Sie tarnen, warnen und können für uns werben, wenn wir für jede Funktion die richtige Auswahl treffen.