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Risikofaktor Lärm: Akustische Sünden

Dr. Georg Wiesinger ist einer der führenden Experten für Raumakustik in Deutschland.

Dr. Georg Wiesinger ist Architekt und Experte für Raumakustik in Arbeitswelten. Er erklärt im Interview, warum der Zeitpunkt der akustischen Planung über ein erfolgreiches Projekt entscheidet und warum der richtige Klang der Büros so wichtig ist.  

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Georg, wie sieht eigentlich dein Büro aus?

Georg: Ich habe aktuell gar kein Büro und arbeite entweder zu Hause am Küchentisch oder in öffentlichen Räumen. Zum Beispiel in der Bahn, in Cafés oder in der Bibliothek. 

inperspective: Ich möchte mit dir heute über die akustische Planung von Büros sprechen, und wie diese es verhindern kann, dass laute Büros die Nerven der Mitarbeiter strapazieren. Wie definierst du eigentlich Lärm?

Georg: Lärm ist ein als zu laut und störend empfundener Ton. Wir können auch von einem Geräusch sprechen. Lärm beschreiben wir häufig als durchdringend und ohrenbetäubend. In Kurzform: Wir Menschen hören ein Schallereignis immer als Lärm, wenn wir es als störend empfinden. 

inperspective: Warum sind Menschen so sensibel, was das Gehör betrifft? 

Georg: Da wir in den vergangenen 30.000 Jahren unsere Umwelt als Jäger und Sammler genau wahrnehmen mussten, sind unsere Ohren als Sinnesorgan für den Alarm ausgebildet. Daher können wir diese – anders als unsere Augen – nachts nicht schließen. Wenn in der Vergangenheit abends die Sonne unterging und es dunkel wurde, mussten unsere Ohren vor Gefahren warnen oder uns die Orientierung im dunklen Raum ermöglichen. Dieses sensible Empfinden über die Ohren prägt uns bis heute.

inperspective: Du giltst als absoluter Spezialist auf dem Fachgebiet der Akustik. Warum hast du dich auf dieses Thema konzentriert – und wie lief deine Ausbildung?

Georg: Ich habe in meiner Jugend Geige gespielt und ein absolutes musikalisches Gehör. Ich spüre oft ohne Messgerät, wie ein Raum klingt. In meinem Architekturstudium hatte ich im Fach Bauphysik einen gefürchteten Professor. Als Experte für Raumakustik hatte er viele Opern- und Konzertsäle in Europa geplant. Sein Anspruch war sehr fordernd. Und in diesem Fach sind leider viele Kommilitonen und Kommilitoninnen durchgefallen. In der Regel lernen Architekten und Innenarchitekten im Schwerpunkt die Bauakustik, also das Schalldämmmaß verschiedener Konstruktionen, und nur wenig über die Raumakustik und wie man diese einstellen kann. Doch dank des Professors musste ich mir die physikalischen Grundlagen der Raumakustik bereits im Studium aneignen. Dieses Verständnis über die Physik des Schalls hat mir sehr geholfen, innovative Lösungen und Produkte für die Raumakustik planen, berechnen und entwickeln zu können. 

inperspective: Laute Büros sind immer noch ein großes Problem. Obwohl Forscher seit beinahe 40 Jahren die Gefahren dieser Arbeitsumgebungen betonen. Warum sind wir noch nicht weiter?

Georg: Oft beschränkt sich die Planung der Raumakustik nur auf das Erfüllen der Mindestanforderungen, also zum Beispiel der gesetzlich vorgegeben DIN-Normen. Es geht weniger um eine gute Akustik, sondern um das bloße Erreichen eines Mindest-Lärmpegels oder einer Mindest-Nachhallzeit. 

inperspective: Nun sind in der Büroplanung viele Details gesetzlich sehr streng vorgegeben. Zum Beispiel, wie breit die Gänge in einem Büro sein müssen oder wie viel Platz einem Büromitarbeiter zusteht. Sogar die Mindestbreite der Türen ist genormt. Ist die Akustik in den Büros zu wenig reguliert? 

Georg: Die Mindestanforderungen an Nachhallzeit und Absorptionsflächen sind mit relativ geringem Aufwand und wenigen Absorbern zu erfüllen. Die Folge sind Räume, in denen die Nachhallzeit nach Norm “gerade so“ erfüllt ist. Doch diese Räume werden oft als akustisch unangenehm empfunden. Die Nachhallzeit oder das Mindestmaß an äquivalenter Absorptionsfläche sagen also noch nicht viel über eine gute Raumakustik aus. Daher ist es so wichtig, dass neben den akustischen Elementen zur Erfüllung der Mindestanforderungen auch Elemente direkt im Umfeld des Arbeitsplatzes angeboten werden. Hersteller wie PALMBERG haben in einer Designlinie aufeinander abgestimmte, hochwirksame Produkte für die Raumakustik entwickelt. Zum Beispiel Deckensegel und Breitbandabsorber.

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inperspective: Die dauerhafte Belastung durch Lärm, ständige Ablenkung durch Geräusche und Sprache sind wesentliche Gründe für Stress und mentale Erkrankungen. Wie ernst nehmen Unternehmen und Innenarchitekten dieses Thema?

Georg: Die sogenannte „Psychoakustik“ beeinflusst wesentlich das Wohlfühlen in einem Raum. Außerdem belegen viele wissenschaftliche Studien die gesundheitlichen Auswirkungen von Lärm am Arbeitsplatz. Die Sprache der anderen Kollegen ist die größte Störungsquelle im Mehrpersonenbüro. Die Fehlerhäufigkeit steigt beispielsweise um über 40 Prozent, wenn eine Fremdsprache im Hintergrund eingespielt wird. Auch die Konzentrationsleistung sinkt. Trotz dieser Erkenntnisse über die erwiesenen Auswirkungen schlechter Raumakustik wird sie von vielen Entscheidungsträgern leider noch immer allein als Kostenfaktor betrachtet. Dabei ist die dramatische Verschlechterung der Arbeitsleistung sicher teurer als die eingesparten Möbel- oder Baukosten. Die Unternehmer verschwenden viel Geld, weil sie an der falschen Stelle sparen. 

inperspective: Welche gesundheitlichen Folgen hat dauerhafter Lärm auf Mitarbeiter im Büro?

Georg: Mit der schlechten Raumakustik sinkt nicht nur die Arbeitsleistung der Mitarbeiter. Über einen längeren Zeitraum wird Bürolärm zu einem Stressor, einer psychischen Belastung, die zu mehr Krankheitstagen führt. Immer mehr Mitarbeiter wünschen sich deshalb die Schaffung ergänzender ruhigerer Zonen im Büro für Erholungspausen. Dieser Wunsch entspricht aktuellen Trends wie dem "Cocooning". Der Begriff bezeichnet das bewusste Verbringen von Freizeit im eigenen Zuhause. Gute Raumakustik, die durch wirksame Breitbandabsorber im Nahfeld des Mitarbeiter entsteht, wird als äußerst angenehm, konzentrationssteigernd und inspirierend beschrieben.

inperspective: Stellen wir fest: Viele Unternehmen sind für die Bedeutung von Akustik noch nicht genügend sensibilisiert. Doch welche Fehler machen die Unternehmen, die aktiv akustisch planen?

Georg: Es wird bei der Planung zu spät an die Akustik gedacht. Optimal wäre eine möglichst frühzeitige Einbindung des Themas in die Büroplanung. Je früher wir die Akustik berücksichtigen, desto qualitativ hochwertiger und kostengünstiger können wir die Maßnahmen umsetzen. 

inperspective: Was ist der perfekte, erste Schritt auf dem Weg zum angenehm klingenden Büro?

Georg: An erster Stelle sollte die genaue Analyse der Raumnutzung erfolgen. Nur so können wir die geeignete raumakustische Qualität definieren. Ist die Buchhaltungsabteilung in einem Raum angeordnet, so wird sich diese eher selten gegenseitig stören. Ist jedoch in einem anderen Raum der Vertrieb organisiert, welcher in der Regel viel Kundenkontakt hat und daher eifrig Telefonate führt, so ist dieser Raum ganz anders akustisch einzustellen. 

inperspective: Warum rückt die Akustik so weit nach hinten?

Georg: Oft sind die genauen Nutzungspläne in dieser Bauphase nicht bekannt. Es wird lediglich ein „veredelter Rohbau“ für den flexiblen Ausbau durch den Mieter zur Verfügung gestellt. 

inperspective: Wann wird es auch für dich problematisch, die richtige Akustik einzustellen?

Georg: Dramatisch wird es, wenn Unternehmen verschiedene Nutzungen wie die Buchhaltung oder den Vertrieb in akustisch nicht abgeschirmten Flächen durchmischen. Dann stören sich diese gegensätzlichen Nutzungsformen gegenseitig. Oder es werden sehr ungünstige Raumzuschnitte, extrem reflektierende oder fokussierende Raumoberflächen in der Architektur vorgegeben.

inperspective: Kannst du uns an einem Beispiel erklären, wie absorbierende Möbel in der Praxis funktionieren?

Georg: Wenn wir den Stehtisch für Besprechungen vor einer Absorberwand anordnen, sprechen die Personen an diesem Tisch automatisch leiser. Sie können sich flüsternd sehr gut verstehen. Die lauten Stimmanteile der Sprache, die tieffrequenten Vokale, werden durch die Breitbandabsorber geschluckt. Die leisen und hochfrequenten Anteile unserer Sprache, die Konsonanten, treten in den Vordergrund. Wir können uns selbst und die anderen viel besser verstehen. Doch bei der konventionellen Büroraumplanung wird oft nicht zwischen den unterschiedlich in den Frequenzen wirksamen Absorbern differenziert. Die Räume werden meist in den hohen Frequenzen überdämpft, da viele der eingesetzten Materialien und Flächen nur hochfrequent wirken (wie zum Beispiel Vorhänge, normales Mobiliar, Teppichboden). Das führt dazu, dass man die leisen Konsonanten nicht mehr so gut versteht und die tiefen Frequenzen im Raum dröhnen. Die Folge ist, dass alle Personen im Raum lauter sprechen.

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inperspective: Da der Begriff Absorber jetzt schon häufiger fiel: Wie funktioniert so ein Element?

Georg: Schallabsorber sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Schallenergie aufnehmen und in Wärmeenergie umwandeln. Die Absorber wirken unterschiedlich stark und können verschiedene Frequenzen in ihrem Wirkspektrum absorbieren. Wenn ein Raum tieffrequent dröhnt, so nützt es nichts, einen nur hochfrequent wirksamen Absorber einzuplanen. Dann sind beispielsweise die Akustiksäulen, Deckensegel oder der Breitbandabsorber von PALMBERG geeignete Produkte. 

inperspectiveIch stelle mir jetzt ein Großraumbüro vor, zum Beispiel eine Redaktion. 100 Arbeitsplätze in einem riesigen Raum. Wie bekommen Akustiker dort “Ruhe” rein?

Georg: Das erfordert eine hohe Disziplin der Mitarbeiter. So wie in einer Bibliothek. Also Silentium für alle! Das aber lässt sich nur bedingt in unserer heutigen Arbeitswelt umsetzen, da die heutige Arbeit oft einen schnellen Wechsel zwischen kommunikativem Austausch und konzentriertem Arbeiten erfordert. 

inperspective: Welche Probleme drohen konkret im Großraumbüro?

Georg: Wissenschaftliche Studien belegen, dass Belästigungsreaktionen der Mitarbeiter in diesen Flächen hervorgerufenen werden. Ich spreche von Befindlichkeitsstörungen wie Gereiztheit, Nervosität und Erschöpfung. Auch das Kommunikationsverhalten kann sich stark verändern. Mitarbeiter ziehen sich zurück. Es gibt weniger Interaktionen. Das Ziel des Großraumbüros, Teams über Abteilungsgrenzen hinweg zu formen, wird damit gegebenenfalls nicht erreicht, sondern eher eine gegenteilige Situation herbeigeführt.

inperspective: Wie können Unternehmen rasch Lösungen finden?

Georg: Wir können ein solches Großraumbüro mit Schallschirmen aus Glas in Kombination mit Breitbandabsorbern so untergliedern, dass sich bereits hohe Schallpegelabfälle auf kurzer Distanz einstellen. Dieses Prinzip des Innenausbaus existiert bereits seit über 20 Jahren in Deutschland und wurde mehrfach erfolgreich angewandt.

inperspective: Warum wird in vielen anderen Großraumbüros auf dieses Ausbauprinzip verzichtet?

Georg: Die Planer wünschen sich die Offenheit eines Großraumbüros. Die transparenten Glasscheiben werden deshalb als störend empfunden. Da der Schall sich über die Luft ausbreitet, kann er jedoch nur durch möglichst raumhohe und dichte Bauteile gelenkt und in Kombination mit hochwirksamen Absorbern reduziert werden. Wir kennen auch das aus unserem Alltag. Wenn wir Zuhause ein Fenster nur wenige Zentimeter öffnen, hören wir alles, was draußen passiert. Mit Lösungen wie Akustikbaffeln oder mittelhohen Stellwänden können wir manchmal keine ausreichende Reduzierung des Schallpegels bewirken. Raumhohe Lösungen können das hingegen effektiv leisten.

inperspective: Akustikelemente sind Werkzeuge, mit denen sie akustische Herausforderungen lösen. Was macht ein gutes Element aus?

Georg: "Ein gutes Element". Jetzt kommen wir zu den philosophische Fragen des Produktdesigns. Als Produktdesigner gilt bei mir stets der Grundsatz: „form follows function“ – die Form folgt der Funktion. Das Produkt sollte daher zuerst in der Funktion möglichst optimal wirken. Dann sollte es möglichst unauffällig sein oder ein gutes Design besitzen, und wirtschaftlich gegenüber Mitbewerberprodukten konkurrenzfähig sein. Eine Akustiklösung muss für Kunden bezahlbar sein. 

inperspective: Warum sollten sich Unternehmen und Architekten mehr mit Akustik beschäftigen?

Georg: Schön gestaltete Räume müssen letztendlich vor allem gut nutzbar sein. Die Raumakustik ist durch die Nutzer direkt wahrnehmbar – die Mitarbeiter fühlen sich entweder wohl oder unwohl. Solange die akustischen Anforderungen nur sehr spärlich beschrieben und gemessen werden, wird weiterhin von Architekten und Unternehmen hier wenig beziehungsweise nur das geforderte Minimum aufgewendet. Und das Problem wurzelt tiefer. Ich habe ja selbst Architektur studiert. Die Gestaltungsmaxime, die man in der Tradition des Bauhauses im Studium lernt, sind meist klare, auf das Wesentliche reduzierte Räume und rohe Materialien wie Glas und Beton. Diese Räume sind akustisch automatisch sehr hallig. 

inperspective: Klima, Licht, Akustik – was hat auf die Mitarbeiter die größte Wirkung – und sollte von den Unternehmen und Architekten zunächst optimiert werden?

Georg: Klima, Licht und Akustik wirken direkt auf die Psyche des Menschen. Alle drei können als äußerst störend oder sehr angenehm wahrgenommen werden. Die Ohren sind jedoch im Wirkspektrum, in der Geschwindigkeit und in der Sensibilität viel feinfühliger und reagieren schneller als die Augen auf Licht. Auch das räumliche Hören ist viel umfassender als das räumliche Sehen. Beim Sehen erkennen wir Details und Farbe im Wesentlichen nur punktuell im Fokus. In der Haut ist die Wahrnehmung von Temperatur und Zugluft noch wesentlich träger. Daher sehe ich die größte Wirkung auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter bei der Akustik.

inperspective: Was ist deine Wunschvorstellung für die Zukunft der Büroplanung und Gestaltung?

Georg: Ein integraler und ganzheitlicher Ansatz, welcher den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Hier sollten die Planer, die Baustoffindustrie und die Möbelindustrie gemeinsam die optimale Lösung suchen, welche Akustik, Licht und Klima vereint. Hier sollte viel mehr geforscht werden und viele neue wirksame Produkte mit psychoakustischer Wirkung im Nahfeld entwickelt werden. In der Möbelbranche ist PALMBERG mit seinen akustisch hochwirksamen Produkten aktuell ein Vorreiter mit den innovativen Akustikprodukten.