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Nachhaltigkeit: Wie Architekt:innen den ökologischen Fußabdruck von Büros verkleinern

Prof. Dr. Anabel Ternès, Zukunftsforscherin und Expertin für Nachhaltigkeitsmanagement

Bürogebäude zählen nach wie vor zu den größten CO2-Verursachern. Wie Architekt:innen nicht nur nachhaltig, sondern regenerativ planen? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Anabel Ternès, Zukunftsforscherin und Expertin für Nachhaltigkeitsmanagement.

von Elena Stenczl

Die Expertin

Prof. Dr. Anabel Ternès fungiert als geschäftsführende Direktorin des Berliner SRH-Instituts für Nachhaltiges Management. Außerdem ist sie Zukunftsforscherin, mehrfache Gründerin und Autorin für Haufe, Focus und Forbes. 

inperspective: Frau Ternès, Sie haben sicher schon einige Arbeitsumgebungen gesehen. Welche hat Sie – mit Blick auf Nachhaltigkeit – besonders beeindruckt?

Anabel Ternès: Orkla ist für mich ein großartiges Beispiel. Der norwegische Anbieter von Marken-Konsumgütern hat in drei Jahren eines der beeindruckendsten nachhaltigen Büros geschaffen. Zum Office in Oslo gehören mehr als 600 überdachte Fahrradstellplätze, eigene Pop-up-Stores, Restaurants und diverse Räumlichkeiten für diverse Arbeitsabläufe. Insgesamt eine freundliche Atmosphäre.

inperspective: Positivbeispiele sind leider vielerorts eine Ausnahme. Deutschland hinkt bei der Transformation in eine nachhaltige Gebäudewirtschaft hinterher. Auch Büros gehören zu dieser scheinbar ewigen Baustelle. Warum?

Anabel Ternès: Ein wichtiger Aspekt ist die Energieeffizienz von Gebäuden. Die Bürokomplexe verbrauchen hierzulande immer noch zu viel Energie. Somit tragen sie maßgeblich zur deutschlandweiten CO2-Emission bei. Eine mögliche Ursache sind veraltete Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen, die Unternehmen in ihren Büros nutzen. 

inperspective: Was ist nötig, damit es auf dieser hartnäckigen Großbaustelle vorangeht? 

Anabel Ternès: Energieeffiziente Geräte wie entsprechende Drucker, LED-Lampen oder eine zentrale Steuerung der Klimaanlage können den Energieverbrauch senken. Auch optimierte Heiz- und Kühlsysteme sowie die Nutzung erneuerbarer Energien wie Solar- oder Windkraft tragen zu einer nachhaltigen Energiebilanz bei. Die digitale Archivierung von Dokumenten reduziert beispielsweise den Papierverbrauch. Die Verwendung von umweltfreundlichen Reinigungsmitteln sowie das Recycling von Verpackungen mindern die Umweltbelastung.

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inperspective: Die Ansprüche an ein Büro waren selten höher. Sie sollen eine Antwort auf Nachhaltigkeit, aber auch Digitalisierung, Mitarbeitergewinnung, Wellbeing und Kultur geben. Werden Unternehmen dem überhaupt gerecht?

Anabel Ternès: Ja, sie können die hohen Erwartungen abdecken, wenn sie auf innovative Konzepte und Technologien setzen. Es ist jedoch wichtig, dass sie kontinuierlich auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Beschäftigten eingehen und ihre Bürostrukturen anpassen. Nur so können sie langfristig talentierte Mitarbeiter:innen gewinnen und halten.

inperspective: Was meinen Sie mit »innovative Konzepte und Technologien«? 

Anabel Ternès: Viele Unternehmen bieten flexible Arbeitsplatzkonzepte, die traditionelle Bürostrukturen mit modernen Technologien kombinieren. Dabei setzen sie zunehmend smarte Verfahren wie Cloud-Lösungen, Video-Konferenzen und digitale Collaboration-Tools ein. Das erleichtert die Kommunikation und steigert die Produktivität. Immer mehr Unternehmen fokussieren das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden: Pausenräume, Sport- und Wellnessangebote, gesunde Ernährung sowie ergonomische Büromöbel.

Die Bürokomplexe verbrauchen hierzulande immer noch zu viel Energie.

inperspective: Sie sind mitunter Zukunftsforscherin. Wie sehen die Möbel und Einrichtungsgegenstände der Zukunft aus? 

Anabel Ternès: In den vergangenen Jahren haben wir einen wachsenden Trend zu Nachhaltigkeit und zu Minimalismus beobachtet. Viele Menschen legen heute Wert auf umweltbewusste Materialien, natürliche Farben und klare Linien. Upcycling und Recycling gewinnen ebenso an Bedeutung. Büromöbel der Zukunft müssen sich ökologisch anfühlen.

inperspective: Ein weiteres großes Thema in der Gestaltung: Natur im Raum. Expert:innen sprechen von Biophilic Design. Was bewirkt ein grünes Arbeitszimmer?

Anabel Ternès: Biophilic Design verbindet die Natur mit unseren gebauten Umgebungen. Ein grünes Arbeitszimmer kann viele positive Effekte haben. Pflanzen verbessern nicht nur die Luftqualität, sondern können auch Stress reduzieren. Durch größeres Wohlbefinden in der angenehmen Atmosphäre kann man sich dort länger aufhalten, ohne dass man sich müde oder unkonzentriert fühlt. Auch fördert das Biophilic Design die Kreativität. Eine Studie der University of Exeter zeigt, dass Mitarbeiter:innen in grünen Büros um 15 Prozent produktiver waren als in Büros ohne Pflanzen.

inperspective: Biophilic Design wird auch von Unternehmen eingesetzt, die den Eindruck von Umweltbewusstsein nur über schöne Deko erreichen wollen.

Anabel Ternès: Dass Biophilic Design als Mittel zum Greenwashing missbraucht wird, ist bedauerlich. Konzerne täuschen nachhaltiges Wirtschaften vor, ohne Substanzielles zu tun. Dies darf allerdings nicht die Bedeutung und die Vorteile des Konzepts schmälern.

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inperspective: Ist Biophilic Design also ein Konzept mit Zukunft? 

Anabel Ternès: Es ist jedenfalls mehr als ästhetische Dekoration. Es ist ein Konzept, das auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und nachweislich positive Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit hat. Wichtig ist, dass Biophilic Design nicht nur schöne Pflanzen oder grüne Wände beinhaltet. Architekt:innen sollten Elemente wie natürliche Materialien, Tageslicht und Ausblicke auf die Natur in das Design und die Gestaltung von Innenräumen einbeziehen.

inperspective: Welches Unternehmen setzt das Biophilic Design perfekt um? 

Anabel Ternès: Amazon in Seattle. Der Amazon Spheres Komplex ist ein 30 Meter hohes, kugelförmiges Gebäude. Es steht mitten in der Innenstadt und dient als Arbeitsplatz für mehr als 800 Amazon-Mitarbeitende. Das Gebäude beherbergt über 40.000 Pflanzen aus mehr als 400 Arten. Dank ihnen schafft es eine natürliche, biophile Arbeitsumgebung.

Bei der Planung und Gestaltung von Innenräumen sollten Architekt:innen die Verwendung von natürlichen Materialien sowie die Integration von Tageslicht und Ausblicken auf die Natur berücksichtigen.

inperspective: Mit den hohen Ansprüchen an Büros wachsen auch die Herausforderungen für Architekt:innen: Was können – oder müssen – sie bei der Planung neuer Bürogebäude beachten, damit sie den Anschluss halten?

Anabel Ternès: Sie sollten Nachhaltigkeitsaspekte wie die Energieeffizienz oder die CO2-Emissionen berücksichtigen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Integration moderner Technologien und Kommunikationsmittel, die eine effektive Zusammenarbeit ermöglichen und den Anforderungen an eine digitale Arbeitswelt entsprechen. Nicht zuletzt sollte die Gestaltung einer angenehmen Arbeitsatmosphäre eine entscheidende Rolle spielen.

inperspective: Es gibt inzwischen reihenweise Zertifizierungen für Unternehmen, die Nachhaltigkeit bescheinigen. Welche Bedeutung haben B Corp, ISO 14001 und Co. in Zukunft?

Anabel Ternès: Sie werden voraussichtlich noch bedeutsamer. Immer mehr Kund:innen und Investierende priorisieren Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung von Unternehmen. Auch die Politik wird verstärkt mit Nachhaltigkeitszertifikaten das umweltbewusste Wirtschaften fördern. Unternehmen, die frühzeitig die Anforderungen von Nachhaltigkeitszertifizierungen erfüllen, genießen einen Wettbewerbsvorteil und können ihr Image als verantwortungsvolles Unternehmen stärken.

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inperspective: Eine Zertifizierung speziell für Gebäude: BREEAM. Ein komplexes Bewertungssystem für Neu- und Bestandsimmobilien. Was verbirgt sich hinter diesem Akronym?

Anabel Ternès: BREEAM steht für »Building Research Establishment Environmental Assessment Method«. BREEAM bewertet die Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit eines Gebäudes anhand verschiedener Kriterien wie Energieeffizienz, Wasserverbrauch, Abfallmanagement, Luftqualität und Materialien. Das Bewertungssystem umfasst insgesamt neun verschiedene Kategorien. Die decken alle Aspekte des Gebäudes ab, von der Planung bis zum Betrieb. Das eingangs erwähnte Head Office von Orkla hat exemplarisch die BREEAM-Zertifizierung erhalten. 

inperspective: Ein Gedankenspiel: Was würde passieren, wenn Architekt:innen und Unternehmen alle Büro-Neubauprojekte nach BREEAM-Benchmarks planen und errichten?

Anabel Ternès: Durch eine höhere Energieeffizienz würde sich der CO2-Fußabdruck verkleinern. Außerdem hätte man eine bessere Kontrolle über Emissionen von Schadstoffen und Abfällen sowie eine effektivere Wassernutzung. Da BREEAM die Verwendung von umweltfreundlichen Materialien fördert, könnten dadurch auch die Auswirkungen der Bauindustrie auf die Umwelt reduziert werden.

Unternehmen, die frühzeitig die Anforderungen von Nachhaltigkeitszertifizierungen erfüllen, genießen einen Wettbewerbsvorteil und können ihr Image als verantwortungsvolles Unternehmen stärken.

inperspective: Ein weiterer Maßstab für Nachhaltigkeit: die 17 Ziele der Agenda 2030. Wieso sind die sogenannten Sustainable Development Goals auch für Architekt:innen und Gestaltende von Wichtigkeit?

Anabel Ternès: Die SDGs können zu einer Welt beitragen, die sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig ist. Architektur und Design haben einen enormen Einfluss auf die Umwelt und das Leben der Menschen.

inperspective: Welches Ziel der SGDs ist in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung? 

Anabel Ternès: Zum Beispiel Ziel #12, das sich auf nachhaltige Produktion und Konsum konzentriert. Architekt:innen können das Ziel erreichen, indem sie Materialien und Produkte auswählen, die umweltfreundlich und nachhaltig sind. Auch können sie den Lebenszyklus von Gebäuden berücksichtigen und sicherstellen, dass diese so lange wie möglich genutzt werden können.

inperspective: Ziel #11: Nachhaltige Städte und Gemeinden. Jeder zweite Mensch in Deutschland lebt laut offiziellen Zahlen der Bundesregierung in der Stadt. Um eine gute Zukunft zu gewährleisten, braucht es nachhaltige Stadtentwicklungspolitik. Darunter fallen auch große Bürokomplexe, die ebenso wie Grünflächen zum Stadtbild gehören. Wie können Planende beides idealerweise miteinander kombinieren?

Anabel Ternès: Eine Möglichkeit ist die Integration von grünen Dächern und Fassaden, die nicht nur ästhetisch ansprechend sind, sondern auch zur Verbesserung der Luftqualität beitragen. Darüber hinaus dienen sie Insekten als Lebensraum und bereichern so die Artenvielfalt. 

inperspective: Was können Unternehmen noch für die Verringerung ihres ökologischen Fußabdrucks tun? 

Anabel Ternès: Unternehmen können beispielsweise Fahrgemeinschaften oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel subventionieren. Auch die Anschaffung von Elektro- oder Hybridfahrzeugen für den Firmenfuhrpark kann den CO2-Ausstoß reduzieren.

inperspective: Wenn ein Unternehmen argumentiert: »Wir haben aufgrund von Ressourcenknappheit und finanzieller Risiken nicht die Mittel, unser Büro nachhaltig umzugestalten.« Wo können Firmen mit gerafftem Budget bereits beginnen?

Anabel Ternès: Ein erster Schritt kann die Analyse des Energieverbrauchs sein. Günstige Messgeräte oder Softwarelösungen identifizieren Energieverschwendung und decken Einsparpotenziale auf. Auch die Sensibilisierung der Mitarbeiter:innen hilft – oft werden Geräte und Licht unnötig lange eingeschaltet oder der Stand-by-Modus genutzt.

Eine grüne Fassaden ist nicht nur ästhetisch ansprechend, sondern trägt auch zur Verbesserung der Luftqualität bei.

inperspective: Wir haben viel über Nachhaltigkeit gesprochen. Pionierinnen und Pioniere nutzen mittlerweile einen anderen Begriff: regenerativ. Nicht nur Ressourcen schonen, sondern zurückgeben.

Anabel Ternès: Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass das Vermeiden und Reduzieren von CO2-Emissionen nicht mehr ausreicht. Vielmehr müssen sie proaktiv dazu beitragen, dass die Umwelt wiederhergestellt und geschützt wird. Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen wie die Rückgewinnung von Ökosystemen, die Aufforstung von Wäldern oder die Nutzung regenerativer Energiequellen. Für Firmen, die den Begriff »regenerativ« in ihre Nachhaltigkeitsstrategie integrieren, eröffnen sich neue Möglichkeiten. Sie nehmen ihre ökologische Verantwortung wahr und entwickeln gleichzeitig ihr Geschäft. Kund:innen und Investoren werden zunehmend darauf achten, wer sich aktiv für den Umweltschutz einsetzt.

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inperspective: Das Unternehmen PALMBERG veröffentlichte die Vision eines Schreibtisches, dessen Nutzen für die Umwelt größer als der Schaden ist. »Für jedes GRÄTA-Modell werden genügend Bäume gepflanzt, um den ökologischen Fußabdruck guten Gewissens wieder zu verwischen«, so das Unternehmen. Wie bewerten Sie diesen Ansatz?

Anabel Ternès: Ein besonderer Schreibtisch, ein origineller Name: GRÄTA wirkt wie eine Hommage an Greta Thunberg. Der Prozess beginnt laut Aussage des Herstellers beim Fällen der Bäume und endet bei der Auslieferung mit dem E-Lkw. Das Unternehmen optimiert die gesamte Produktions- und Lieferkette: lokale Rohstoffgewinnung, lokale Produktion, lokale Montage. Das Versprechen ist groß. Doch es ist weit mehr als nur gutes Marketing: Es lässt sich nachvollziehen. Anstrengungen wie diese sind wichtig! Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wird geschärft, die Notwendigkeit verdeutlicht, aber auch die Möglichkeit aufgezeigt, wie sich eine positive Klimabilanz erzeugen lässt. In diesem Fall würde ich sagen – GRÄTA ist ein Beispiel für: Gutes tun und darüber reden.

GRÄTA – Der Schreibtisch für eine saubere Welt

inperspective: Frau Ternès, zum Abschluss: Ab wann sprechen Sie von einem nachhaltig gestalteten Büro? Nennen Sie Ihre drei Must-haves.

  1. Energieeffiziente Beleuchtung, durch die Firmen den Energieverbrauch reduzieren und somit die Umweltbelastung minimieren. 
  2. Recycling-Stationen für Papier, Kunststoff, Glas und andere Materialien sowie eine papierlose Politik. Es sollte nur Papier ausgedruckt und verwendet werden, wo es wirklich notwendig ist.
  3. Zukunftsfähige Möbel aus nachhaltigen Materialien, hergestellt aus beispielsweise FSC-zertifizierten Quellen oder recyceltem Kunststoff. Auch Büromaterialien wie Papier, Stifte und Ordner können aus recyceltem Material hergestellt werden.