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Ist empathische Führung die Zukunft?

Was genau ist empathische Führung? Warum dieser Führungsstil so erfolgreich ist & wie man ihn umsetzt, verrät uns Lunia Hara im Interview.

Hierarchielos und demokratisch - sehen so die Unternehmen der Zukunft aus? Wohl kaum. In krisenreichen Zeiten ist Führung wichtiger denn je. Doch wie müssen Verantwortliche heutzutage führen? Im inperspective-Interview spricht Lunia Hara über individuelle Fürsorge, Teamspirit und Produktivität. 

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von Anne Ziegler

inperspective: Frau Hara, wenn wir uns die Unternehmenslandschaft angucken. Welche CEOs finden Sie gut? 

Lunia Hara: International ist es Satya Nadella, CEO von Microsoft, der Empathie als die schwierigste Fähigkeit und zeitgleich auch als den Schlüssel zum Unternehmenserfolg bezeichnet. In Deutschland fasziniert mich die Wandlung von Unternehmer Bodo Jansen von einem unbeliebten, distanzierten Chef zu einem reflektierten, empathischen und nahbaren Chef. Wer wirklich anders führen will, kann es auch. Es fängt mit der Arbeit an sich selbst an. Eine Arbeit, die viele scheuen. 

inperspective: Was sind die häufigsten Probleme, die Organisationen beim Thema Führung haben? 

Linia Hara: Fehlende Vision und Ziele, sowie unzureichende Kommunikation und fehlendes Vertrauen. Das zeigt sich zum Beispiel durch fehlende Führungsprinzipien. Dadurch existieren unterschiedliche Führungsstile innerhalb eines Unternehmens. Den Führungskräften fehlt eine klare Orientierung. Den Teams fehlt Verlässlichkeit und das schwächt die Unternehmenskultur. Eine Geschäftsführung mit Vision sollte eine Idee haben, wie die Belegschaft geführt werden soll und das auch definieren und nachhalten. Ein gutes Leadership ist die Basis für eine gute Unternehmenskultur.

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inperspective: Wie sieht die Arbeit mit Führungsprinzipien idealerweise aus? 

Lunia Hara: Diese Prinzipien dienen als Leitfaden, der ein gewünschtes Führungsverhalten fördert. Sie müssen mit den Werten und Zielen des Unternehmens übereinstimmen. Auch Mitarbeitende sollten diese Prinzipien kennen. Führungskräfte, die sich damit schwertun, müssen unterstützt werden. Wichtig ist, dass Unternehmen reagieren, wenn sich Personen nicht an die Prinzipien halten. Vermehrte Verstöße sollten Konsequenzen nach sich ziehen. Passiert das nicht, kann die Motivation und das Vertrauen einzelner Mitarbeitender leiden. Das schadet der gesamten Unternehmenskultur. 

inperspective: Manchmal fragen sich Mitarbeitende, wie ausgerechnet diese Person an eine Position mit Personalverantwortung gekommen ist. Fehlen doch offensichtlich Kompetenzen und das nötige Quäntchen Feingefühl. Warum passiert so etwas? 

Lunia Hara: Die Ausbildung der Führungskräfte kommt zu kurz. Häufig werden die besten Expertinnen und Experten aus den Teams zu Führungskräften gemacht. Ohne zu prüfen, ob Führungskompetenzen oder gar aufrichtiges Interesse an Menschen vorliegen. Leider ist das in vielen Unternehmen die einzige Möglichkeit, Karriere zu machen. Viele gehen diesen Schritt einfach aus Mangel an Alternativen. Den Führungskräften können wir nur bedingt einen Vorwurf machen. Es ist ein Fehler des Systems. Ein Fehler der Unternehmen.

inperspective: Was wäre die Lösung? 

Lunia Hara: Unternehmen müssen herausragenden Fachkräften einen gleichwertigen alternativen Karriereweg aufzeigen. Aufgaben gibt es genug. Dadurch werden nur diejenigen, die wirklich geeignet sind, Führungskraft. Hier sind andere Skills gefordert. Du kannst fachlich schwächer sein, aber trotzdem eine sehr gute Führungskraft werden. Mitarbeitende motivieren, sie weiterzuentwickeln - das hat eine große Wirkung auf das Unternehmen.

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inperspective: Jetzt sind Sie bekannt für den Stil der empathischen Führung. Was zeichnet diesen Ansatz aus? 

Lunia Hara: Es geht um den Menschen. Dieser steht im Mittelpunkt des unternehmerischen Erfolgs. Dabei werden empathische Leader von einfachen Fragen geleitet: Was könnte beim Mitarbeitenden Frust verursachen? Kann ich diesen Frust verhindern oder wenigstens mindern? Dieser Blick schärft den Fokus fürs Gegenüber. Ein Beispiel: Feedback vorenthalten kann bei einer Person zu Frustration führen. Die Person entwickelt sich langsamer, das führt zu schlechteren Leistungen, was wiederum negativ für das Unternehmen ist. Außerdem erreicht die Person dadurch ihre persönlichen Ziele nicht. 

Jetzt stellen Sie sich vor, alle im Unternehmen stellen sich diese eben genannten, einfachen Fragen in der Interaktion miteinander. Diese Sichtweise würde uns bei allem, was wir tun, helfen. Den Menschen wieder mehr Aufmerksamkeit schenken. Letztendlich haben wir nur verlernt, uns zu fragen: Was braucht der Mensch eigentlich? Etwas mehr Menschlichkeit am Arbeitsplatz.

inperspective: Das klingt sehr human und umsichtig. Es gibt Entscheiderinnen und Entscheider, die jetzt fragen werden: Und nun, was bringt mir das? 

Lunia Hara: Das bringt mir motivierte und zufriedene Mitarbeitende, die sich gesehen fühlen, bessere Leistungen erbringen und loyaler sind. Das ist nachhaltiger als immer wieder neue einzuarbeiten, wenn welche aufgrund von schlechtem Leadership kündigen. Wenn diese Denkweise sich in den Teams etabliert und in der Zusammenarbeit mit Kundinnen und Kunden gefördert wird, hat empathische Führung das Potential, die gesamte Unternehmenskultur zum Besseren zu verändern.

»Empathische Führung stellt den Menschen ins Zentrum.«

inperspective: Welche Bedürfnisse sollten Unternehmen und Führungskräfte denn unbedingt bei ihren Mitarbeitenden beobachten?

Lunia Hara: Die Erwartungen an Unternehmen sind andere als früher. Hier als Unternehmen für alle Seiten eine gute Balance herzustellen, ist eine Herausforderung. Steigen wird der Wunsch nach Life-Work Balance, die Sehnsucht, jetzt mehr vom Leben zu haben und das nicht aufzuschieben. Da akzeptieren sogar einige weniger Gehalt. Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, wo es möglich ist. Der Wunsch nach sinnstiftender Arbeit. Da schlummert noch viel ungenutztes Potenzial aufseiten der Unternehmen. Den eigenen Wunsch, soziale Verantwortung zu übernehmen, übertragen Mitarbeitende auf den Arbeitgeber. Mit einmal im Jahr spenden ist es nicht mehr getan. Da wird mehr Engagement erwartet. Empathische Führung kann helfen, diese Bedürfnisse besser zu steuern und mit Unternehmenszielen und Projekten in Einklang zu bringen.  

inperspective: Für diese Art der Führung ist sehr viel Kommunikation nötig. Gibt es noch andere Skills, die man mitbringen sollte, wenn man empathisch führen möchte? 

Lunia Hara: Am Anfang geht es darum, Vertrauen aufzubauen. Wir brauchen dafür eine klare und ehrliche Kommunikation. Das kann anfänglich etwas umfangreicher ausfallen, weil ich mir Zeit nehme, die Person kennenzulernen. Wenn Vertrauen erst einmal besteht, ist es effizienter. Weniger Missverständnisse und Misstrauen führen dazu, dass Mitarbeitende Dinge weniger in Frage stellen und sich eher auf Neues einlassen können. Studien belegen, dass empathische Führung sowohl Effizienz und Produktivität als auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden signifikant erhöhen.

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inperspective: Das sind Aufgaben, keine Fähigkeiten.

Lunia Hara: Skills, die man haben sollte, sind vor allem Zuhören und Fragen stellen. Die Menschen wissen meistens sehr gut, was sie brauchen oder was ihnen fehlt. Wir müssen sie nur fragen: »Was benötigen Sie du von Ihrer Führungskraft, um besser arbeiten zu können?« Das wird zu wenig gemacht. Mit Fragen kann ich zeigen, dass ich an meinem Gegenüber interessiert bin und ihn oder sie ernst nehme. 

inperspective: Warum tun sich viele Führungskräfte damit schwer? 

Lunia Hara: Wir haben verinnerlicht, dass Gefühle am Arbeitsplatz nichts zu suchen haben. Und wo Gefühle keinen Platz haben, wird auch weniger auf die Bedürfnisse des Einzelnen geschaut. Hinzu kommt fehlendes Vertrauen in die Teams. Wer glaubt alles besser zu wissen, stellt automatisch weniger Fragen. 

Und ich höre oft, es fehlt schlicht die Zeit für Mitarbeitende. Es liegen schlichtweg zu viele Aufgaben auf dem Tisch neben der Personalverantwortung.

»Je besser ich mich selbst kenne, desto besser kann ich andere Menschen verstehen.«

inperspective: Lassen Sie uns nochmal kurz auf die junge Generation eingehen. 70% der Gen Z setzen sich intensiv mit den Werten eines Unternehmens auseinander, bevor sie sich überhaupt bewerben. Jetzt ist die empathische Führung nach außen nicht direkt sichtbar. Was empfehlen Sie? 

Lunia Hara: Meine Empfehlung wäre, Empathie als Unternehmenswert zu ergänzen. Empathische Führung ist eine Frage der Haltung. Dies sollte sich nicht nur im Bewerbungsgespräch zeigen, sondern auch in der Art und Weise, wie kommuniziert wird oder für welche gesellschaftlichen Themen sich ein Unternehmen einsetzt. 

inperspective: In jüngster Vergangenheit warben Unternehmen immer mit hierarchieflachen oder hierarchielosen Strukturen. Was kann empathische Führung besser? 

Lunia Hara: Empathische Führung ist nicht hierarchielos. Was eigentlich dahintersteckt, ist das Prinzip von Mitgefühl: Ich sehe ein Problem oder Leidensdruck bei einer Person. Es entsteht der Wunsch zu helfen, um den Leidensdruck zu verhindern oder zu mindern. Dafür muss ich etwas tun. Mitgefühl ist etwas Aktives. Empathie ist passiv, aber eine wichtige Brücke zum Mitgefühl. 

Als Führungskraft kann ich mich fragen: Welches Bedürfnis hat meine Mitarbeiterin oder mein Mitarbeiter? Noch einfacher ist einfach die Person selbst zu fragen. Viel Frust entsteht aufgrund mangelnder und intransparenter Kommunikation. Viele Bedürfnisse, zum Beispiel der Wunsch nach mehr Gehalt, lassen sich nicht sofort lösen. Aber einen Weg aufzuzeigen, was nötig ist, um das Gehaltsziel zu erreichen, bietet eine Perspektive und das lindert das Leid. Auch hier ist Ehrlichkeit und Offenheit wichtig.

»Das Prinzip hinter empathischer Führung ist das Verständnis von Mitgefühl. Und Mitgefühl ist etwas Aktives.«

inperspective: Trägt jeder Mensch Empathie in sich? Oder kann man das auch erlernen?

Lunia Hara: Wir werden alle mit Empathie geboren. Durch Sozialisierung und Erziehung wird es uns nach und nach abtrainiert. Beispielsweise werden viele Kinder von ihren Eltern weitergezogen, wenn sie auf der Straße eine obdachlose Person sehen. Es ist Erwachsenen unangenehm, sie wollen sich und ihr Kind vor diesen unangenehmen Emotionen schützen. So lernen Kinder, dass es besser ist, wegzugucken. Damit wird leider auch Empathie abtrainiert. Aber wir können uns Empathie auch wieder antrainieren. Der erste Schritt ist die Selbstreflektion. Je besser ich mich selbst kenne, desto besser kann ich andere Menschen verstehen. 

Außerdem bin ich ein Fan von Prof. Tania Singer. Die Neurowissenschaftlerin und Psychologin forscht zu Empathie und Mitgefühl. Prof. Singer hat ein System entwickelt, mit dem Menschen Empathie und Mitgefühl trainieren können. Es gibt sogar eine App, über die man neun Wochen lang u.a. Empathie trainiert. 

Die Kernaspekte empathischer Führung sind: 

  1. Menschlichkeit. Der Mensch mit seinen Bedürfnissen, Herausforderungen und Zielen steht im Zentrum.
  2. Feedback. Regelmäßiges, ehrliches und offenes Feedback hilft der individuellen Entwicklung und verbessert die Feedbackkultur. 
  3. Offenheit. Sich verletzlich zeigen und auch Fehler zugeben, Transparenz und Authentizität bilden die Basis für eine gute Kommunikation.
  4. Selbstreflektion. Je besser ich mich und meine Werte kenne, desto besser kann ich andere verstehen und für das einstehen, was mir wichtig ist.

inperspective: Gibt es Grenzen der empathischen Führung? Oder anders gefragt: Können Mitarbeitende diesen Führungsstil auch ausnutzen? 

Lunia Hara: Das kann passieren, aber das liegt nicht an empathischer Führung. Das kann einem mit allen Führungsstilen passieren. Ich kann die Schuld bei meinem Gegenüber suchen oder mich fragen, warum mir das passiert. Wenn eine Führungskraft zum Beispiel konfliktscheu ist, sollte sie dem nachgehen. Da kommt die Selbstreflexion ins Spiel. Die Frage bekomme ich oft gestellt. Für mich zeigt das einen veralteten negativen Blick auf Mitarbeitende. Diese wollen nicht arbeiten, nutzen jede Situation aus und müssen deshalb kontrolliert werden. Die meisten Menschen wollen aber unter guten und fairen Bedingungen arbeiten und sich entfalten können. Wer das wiederholt ausnutzt, passt nicht zum Unternehmen. 

inperspective: Jetzt arbeiten viele Teams remote, treffen sich nur zu bestimmten Anlässen. Wie behalten Führungskräfte alle im Blick? 

Lunia Hara: Ich bin als Führungskraft viel konsequenter was die Einhaltung meiner 1:1 Gespräche betrifft. Ich erkundige mich nach dem Wohlbefinden, hake nach, wenn ich den Eindruck habe, dass etwas im Argen liegt. Ich erzähle auch mal was mich beschäftigt. So signalisiere ich der anderen Person, dass er oder sie das auch tun kann. Diese Termine sollten nicht abgesagt werden, nur weil man denkt: »Ach, wir haben heute gar kein wichtiges Thema zu besprechen«. Auch dann sollte der Termin eingehalten werden. Regelmäßiger Austausch auch zu privaten Themen schafft Vertrauen und stärkt die Bindung. Zusätzlich sollten auch bei hybrid und remote work, ausgehend von der Führungskraft, persönliche Treffen initiiert werden.