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In Beleuchtungsinseln denken

Das richtige Licht beeinflusst Wohlbefinden und Produktivität der Mitarbeiter.

Es werde Licht, heißt es in der Bibel. Doch gilt das auch fürs Homeoffice und Bürowelten? Wie wichtig die richtige Beleuchtung für Konzentration, Gesundheit und Wohlbefinden ist, weiß der Schweizer Wissenschaftler, Licht-Experte und Chronolight-Gründer Dr. Oliver Stefani. 

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Wir riechen mit unserer Nase, schmecken vor allem mit dem Mund. Wie begreifen wir das Licht?

Dr. Oliver Stefani: Zu etwa 80 Prozent nehmen wir das Licht über die Augen wahr. Zum Teil, und das ist interessant, ist auch unsere Haut involviert. Unsere Zellen reagieren beispielsweise auf die UV-Strahlung.

inperspective: Was passiert im Gehirn, wenn wir Lichtreize wahrnehmen?

Dr. Stefani: Lichtreize werden an das Sehzentrum weitergegeben und auch an unsere "innere Uhr". Seit kurzem wissen wir, dass Lichtreize direkt an unser emotionales Zentrum geleitet werden. Der Bereich ist beim Menschen aber noch relativ unerforscht. Bei Mäusen fanden Wissenschaftler heraus, dass es eine direkte Nervenverbindung von den Rezeptorzellen, mit denen sie Lichtreize aufnehmen, bis ins emotionale Zentrum des Gehirns gibt. Die Lichtwahrnehmung beeinflusst bei Mäusen neurologisch die Emotionalität. 

inperspective: Wie beeinflusst Licht den Menschen?

Dr. Stefani: Wir können durch das Licht überhaupt erst sehen, also unsere Umgebung visuell wahrnehmen. Das ist schon mal eine große Wirkung. Dazu können bestimmte Lichtverhältnisse unsere Stimmung und das Gefühl für ein Ambiente beeinflussen. Diese Momente kennt jeder vom gemeinsamen Lagerfeuer, vom Kerzenschein am Abend oder dem Betreten einer lichtdurchfluteten Wohnung. Die biologische und die gesundheitliche Wirkung von Licht ist uns Wissenschaftlern jedoch noch nicht in allen Belangen bekannt. Wir wissen aber, dass es sicher Auswirkungen gibt.

inperspective: Gab es schon Studien, die aufzeigen, wie Licht beispielsweise unser Wohlbefinden oder unsere Produktivität im Büro beeinflussen kann?

Dr. Stefani: Es gab bereits Feldversuche, bei denen wir erkannten, dass ein eher kaltes, helleres Licht mit vielen blauen spektralen Bestandteilen die Konzentrationsleistung und die Wachheit der Probanden im Durchschnitt steigerte. Dass ein Effekt da ist, konnten wir also feststellen. Warum es ihn gibt, können wir noch nicht final erklären.

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Dr. Oliver Stefani ist anerkannter Licht-Experte. Mit seinem Unternehmen Chronolight berät er Unternehmen.

inperspective: Gibt es einen Leitfaden dafür, wie die Lichtverhältnisse in einem Büro designt sein sollten?

Dr. Stefani: Das Tageslicht ist ein guter Orientierungspunkt. Die üblichen Lichtverhältnisse beeinflussen unsere sogenannte "innere Uhr". Wenn es mittags eher zu dunkel im Büro ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir müde werden, rasant. Diese unverhältnismäßige Dunkelheit kann unseren biologischen Takt komplett durcheinanderwirbeln. Folgen wie Schlafstörungen drohen auch lange nach Feierabend. Diese sind bereits kurzfristig ein ungesunder Stressfaktor.

inperspective: Wie lässt sich dafür eine Lösung finden?

Dr. Stefani: Schon beim Bau der Bürogebäude sollten die Verantwortlichen einen möglichst hohen Tageslichteinfall berücksichtigen, also die Räume unabhängiger vom künstlichen Licht machen.

inperspective: Ist das so einfach, wie es klingt?

Dr. Stefani: Im Gegenteil: Das ist für Architekten und Planer sehr kompliziert. Viele oder besonders große Fenster beeinflussen unmittelbar das Raumklima. Räume heizen sich schneller auf oder verlieren rascher an Wärme. Das erhöht die Betriebskosten deutlich und ist klimaschädlich. Energetisch klug bauen und gleichzeitig die optimalen Tageslichtverhältnisse garantieren – das ist ein Spagat. 

inperspective: Dabei gibt es mittlerweile vielfältige Beleuchtungssysteme, die den Tageslichteinfall eigentlich obsolet machen könnten: Warum reicht  künstliches Licht nicht an das Tageslicht heran?

Dr. Stefani: Das können wir nicht vollständig erklären. Was wir aber in Experimenten schon herausfinden durften: Es gibt tatsächlich signifikante Unterschiede zwischen natürlichem und künstlichem Licht. In einem Versuch haben wir die Arbeitsplätze der Probanden mithilfe von LEDs beleuchtet. Dabei stellten wir die Lampen einmal möglichst genau auf das Tageslichtspektrum ein, das andere Mal auf eine übliche Raumbeleuchtung. Visuell waren die Unterschiede für Laien nicht zu bemerken. Dennoch ergaben die Tests, dass das tageslichtähnliche Licht effektivere Arbeitsbedingungen schuf und sich die Probanden wohler fühlten.

inperspective: Warum ist Tageslicht für unser Glücks- und Wohlempfinden so bedeutsam?

Dr. Stefani: Alles auf diesem Planeten ist unter dem Licht der Sonne entstanden. Der Homo sapiens hat sich bis auf wenige Jahrhunderte ohne elektrische Beleuchtungssysteme entwickelt. Erst seit etwa einhundert Jahren steht uns das künstliche Licht in der Form zur Verfügung, wie wir es heute kennen. Im Tageslicht zu leben, liegt in unserer Natur. Studien zeigen außerdem: Menschen, die im Winter viel draußen sind, also genügend natürliches Licht abbekommen, neigen seltener zu Depressionen als andere. Wie das mit der Helligkeit korreliert und wie viel andere Aspekte wie Bewegung und frische Luft dazu beitragen, ist unklar. Trotzdem sollten wir die Wirkung von natürlichem Licht nicht unterschätzen.

inperspective: Wir haben gelernt, dass Tageslicht nur schwer zu kopieren ist und das Gebäude mit zu vielen Fenstern womöglich keine umweltschonende Alternative sind. Worauf sollten sich Unternehmen und Architekten konzentrieren?

Dr. Stefani: Der Anteil an diffusem Licht sollte hoch sein. Diffus heißt: Es gibt keine einzelne Strahlquelle, sondern die gesamte Decke ist möglichst breit erleuchtet. Damit kann man erreichen, dass die vertikalen Beleuchtungsstärken am Auge höher sind. So gelangt viel Licht in unsere Augen, ohne zu blenden.

inperspective: Wie gut die Akustik in einem Raum ist, können wir mit Testgeräten und in der Einheit Dezibel messen. So wissen wir: 50 bis 70 Dezibel sind schon zu hohe Werte, die in Großraumbüros aber alltäglich sind. Gibt es ähnliche Richtwerte beim Licht?

Dr. Stefani: Mit 500 Lux – horizontal auf den Tisch – sollte ein Raum schon beleuchtet sein. Ansonsten ist er zu dunkel. Für eine biologische Wirksamkeit müsste es sogar noch heller sein. Darüber hinaus gilt: Je älter ein Mensch wird, desto mehr Licht braucht er, weil das Sehvermögen mit der Zeit nachlässt. Auch das sollten wir bei Lichtkonzepten bedenken.

inperspective: Die Akustikplanung hat sich mittlerweile fest in den Prozess der Bürokonzeption etabliert. Wie verhält sich das mit dem Licht? Also welchen Stellenwert genießen Lichtkonzepte mittlerweile bei der Büroplanung?

Dr. Stefani: Die Normen, die es gibt, werden von den Involvierten fast immer gewissenhaft erfüllt. Ein Arbeitsplatz muss ein Mindestmaß an Helligkeit aufweisen, ansonsten ist das konzentrierte Arbeiten nicht möglich. Darüber hinaus gibt es viele Potenziale, die es noch zu erforschen gilt. Das Licht ist im Büro aber ganz gewiss mindestens so relevant wie die Akustik. 

inperspective: Die Arbeitswelt gliedert sich in immer mehr Fragmente. Mittelzone, Arbeitsplatz, Meetingraum, Küche. Steigert das die Komplexität von Beleuchtungskonzepten?

Dr. Stefani: Wir sollten die Lichtkonzepte nutzungsorientiert entwickeln. Jeder Bereich verlangt nicht nur spezifische Möbel, sondern auch bestimmte Lichtverhältnisse. Ich spreche gerne von Beleuchtungsinseln. Wie sehr das ideale Licht in einem Raum vom Nutzen abhängt, erkennen wir in Pflegeheimen. Dort erleben wir, dass viel direktes Licht, das lange Schatten verursachen kann, für die Bewohner kontraproduktiv ist. Menschen mit Demenz verlieren beispielsweise die Fähigkeit, den eigenen Schatten als solchen zu verstehen. Sie fühlen sich verfolgt. Flure in diesen Einrichtungen sollten dringend diffuse Lichtquellen einsetzen. 

inperspective: Building Information Modeling (BIM) und Smart-Office-Technologien erscheinen als verlockende Alternativen. Können künstliche Intelligenzen nicht aktuelle Lichtverhältnisse erkennen und die Beleuchtung je nach Lage dimmen oder verstärken?

Dr. Stefani: Sensoren, die in Echtzeit diese Verhältnisse messen und entsprechend dafür sorgen, dass Jalousien runter- oder hochgefahren werden oder dass das künstliche Licht automatisch heller oder dunkler wird, gibt es bereits. Diese Techniken erscheinen erfolgversprechend, müssen sich aber noch dauerhaft im alltäglichen Gebrauch beweisen.
 

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