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Zukunftsforscher Tristan Horx: »Wie Deutschland auf Crack«

Der Zukunftsforscher Tristan Horx über die Erwartungen der Gen Z an das Büro

Tristan Horx ist einer der gehyptesten Zukunftsforscher Europas. Eines seiner Spezialgebiete: Die Generation Z und ihr flauschiges Verhältnis zur Arbeit. Welche hanebüchenen Fehler Unternehmen bei diesem Thema vermeiden müssen – und wie das Büro ein zukunftsfähiger Kosmos bleibt. Ein Interview.

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Tristan, die Zukunftsforschung ist angesichts der aktuellen Herausforderungen ein spannendes Feld. Welche Unternehmen berätst du mit deinem Know-how?

Tristan Horx: Ich mache keine Beratung, ich hasse sie sogar. Ich habe drei Jahre beraten. Mein Metier sind Vorträge auf kleinen und großen Veranstaltungen.

inperspective: Warum lehnst du Beratung ab?

Tristan Horx: Ich bin zu nah an den Befindlichkeiten der Menschen. Das ist mir auf persönlicher Ebene zu anstrengend. Bei Vorträgen komme ich, und dann gehe ich wieder. Das ist zwischenmenschlich erträglich.

inperspective: Du bist erst 29 und trotzdem wirst du als Zukunftsforscher in Talkshows und auf internationalem Parkett sehr respektiert. Warum hat dich das Thema Zukunft so früh begeistert?

Tristan Horx: Ich bin familiär vorbelastet, ich komme aus einer Wissenschaftsfamilie. Aber das ist es nicht nur. Statistisch gesehen haben junge Menschen mehr Zukunft vor sich als die älteren. Völlig normal. Trotzdem sind die meisten Zukunftsforscher ältere weiße Männer mit Bärten. Das finde ich falsch. Wir Jungen sollten unsere Zukunft viel stärker prägen können. Das ist mein Ansinnen.

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inperspective: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten vor allem mit Daten oder historischen Quellen. Als Zukunftsforscher hast du weniger Informationen. Wie kommst du zu profunden Vorhersagen?

Tristan Horx: Klar, die Zukunft ist keine Fortschreibung der Vergangenheit, aber die Geschichte reimt sich manchmal. Es gibt wiederkehrende Muster. Diese historischen Entwicklungszyklen helfen beim Verständnis der Zukunft, auch stützen sie Argumentationsketten. Da mein britischer Großvater Historiker ist, er viele Bücher schrieb, die Geschichte erklären, formte sich für mich früh die Verbindung von Geschichte und Zukunft.

inperspective: Und die Gegenwart? 

Tristan Horx: Die ist ein Problem für sich, da sich die empfundenen Realitäten krass unterscheiden. Wie Menschen die Welt sehen, hängt davon ab, in welcher Filterblase sie sich bewegen und welche Medien sie konsumieren. Für die einen steht Deutschland vor dem Kollaps, für andere ziemlich gut dar. Da hilft nur Objektivität, wenn wir aus der Gegenwart die Zukunft ableiten wollen. Und natürlich gibt es in der Zukunftsforschung einige Methoden, mit denen wir vorausschauen können.

inperspective: Welche zum Beispiel?

Tristan Horx: Szenarien sind eine Möglichkeit. Man spielt von Best bis Worst Case alles durch, definiert für die einzelnen Ausgänge die Wahrscheinlichkeiten. Wir nennen das Prognose. Eine andere Variante ist die sogenannte Regnose. Bei der fixieren wir einen beliebigen Punkt in der nahen Zukunft. Wir blicken beispielsweise nach 2040, malen uns ein positives Szenario aus. Dann analysieren wir von Jahr zu Jahr zurück, was passieren müsste, damit dieser Wunsch erfüllt wird. Das ist ohnehin etwas, was mich stört: Menschen wollen immer das Negative und zu selten das Erstrebenswerte sehen.

»Die meisten Zukunftsforscher sind ältere weiße Männer mit Bärten.«

inperspective: Warum denken Menschen bevorzugt negativ?

Tristan Horx: Das ist das Ergebnis der Evolution. Der Mensch, der freudestrahlend mit dem Speer aufs Mammut zulief, hat im Verhältnis zu vorsichtigen Artgenossen, die sich im Gebüsch verbargen, seltener überlebt. Vorsicht ist eine erfolgreiche Überlebensstrategie.

inperspective: Eine andere Symptomatik ist der begehrende Blick zurück. Früher war alles besser.

Tristan Horx: Das Gift der Nostalgie schmeckt besonders süß.

inperspective: Warum?

Tristan Horx: Weil das Vergangene passiert ist und damit weniger offene Fragen bleiben. Es ist meist das Ungewisse, was uns verängstigt. Dazu kommt die menschliche Psychologie. Negative Momente verarbeiten oder verdrängen wir. Entweder, sie bringen uns weiter, sind also mit der Zeit positiv konnotiert. Oder wir haben sie längst vergessen. Menschen schauen oft durch einen rosa Filter in die eigene Vergangenheit. Deshalb sieht sie besser aus, als sie tatsächlich war. Ich persönlich kann das »Früher war alles besser« kaum ertragen. Wer heute geboren wird, lebt – nüchtern und global betrachtet – so komfortabel wie nie zuvor.

inperspective: Lass uns auf die Arbeitswelt schauen. Die Generation Z ist eines deiner Schlüsselthemen. Sie fordert besonders Unternehmen im Recruiting heraus. Manche wiederum sagen, dass es die Gen Z gar nicht gibt. Dass sie ein Hirngespinst sei, eine Vermarktungsstrategie.

Tristan Horx: Die Generation Z ist definitiv komplex, weil sie sich heterogen aufstellt. Die Menschen, die wir den Zs zuordnen, haben einen hohen Anspruch an ihre Individualität. Das macht es für Unternehmen schwierig, denn das typische Schubladendenken funktioniert nicht mehr. Ein Beispiel für die Diversität: Die einen Zs sind Klimakleberinnen und Klimakleber, andere, hauptsächlich Jungs, fallen auf Typen wie den Kickboxer Andrew Tate rein und lassen alte Chauvinismen wieder aufblühen. Sie wollen unbedingt Lamborghini fahren.

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inperspective: Was ist der Fehler, den die meisten Unternehmen machen?

Tristan Horx: Sie möchten immer noch alle Menschen über einen Kamm scheren. Das funktioniert aber aus den genannten Gründen nicht mehr.

Die Art und Weise, wie Menschen die Welt wahrnehmen, wird maßgeblich von ihrer Filterblase und ihrem Medienkonsum geprägt.

inperspective: Ganz allgemein, so an dich als Zukunftsforscher: Wie wird sich die Bedeutung der Arbeit verändern?

Tristan Horx: Es gibt Druck von allen Seiten. Die Demografie, das Aufkommen von künstlichen Intelligenzen. Arbeit, die auf Redundanz beruht, auf das ständige Ausführen derselben Tätigkeit, können Maschinen besser erledigen. Das hat Auswirkung auf die Bildung. Wir müssen aufpassen, dass unser System nicht für Jobs ausbildet, die bald überflüssig sind.

inperspective: Anders gefragt: Wie wird sich die Beziehung der Menschen zur Arbeit entwickeln?

Tristan Horx: Als Zukunftsforscher glaube ich an Trends. Zum Beispiel daran, dass die Work-Life-Integration die Work-Life-Balance ablöst. Bei jungen Menschen, die eine neue Macht auf dem Arbeitsmarkt haben, sehen wir das bereits. Dass wir arbeiten, um zu leben, ist ein industrialistisch verzerrtes Bild. Es stammt aus der Zeit der Minen und Fabriken. In naher Zukunft werden wir nicht mehr zwischen Arbeit und Freizeit unterscheiden. Das heißt: Wissensarbeit muss lebenswert und komfortabel sein.

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inperspective: Wissensarbeit, die wirtschaftliche Zukunft, wie Vordenker wie Wolf Lotter sagen, findet in Büros statt. Was bedeuten kulturelle Disruptionen wie das Homeoffice für unsere Arbeitsorte?

Tristan Horx: Was ich eben sagte: Dass diese lebenswert sein müssen. Das Gegenteil von den Parzellen, die wir aus US-amerikanischen Büros kennen. Arbeitsorte müssen so gestaltet sein, dass die Menschen freiwillig kommen. Besonders junge Mitarbeitende reagieren allergisch auf Zugzwang, auf das Kommenmüssen. Unternehmen, die das erwarten, die auf die Finger gucken wollen, werden es demnächst am schwersten haben.

»Besonders junge Mitarbeitende reagieren allergisch auf Zugzwang, auf das Kommenmüssen.«

inperspective: Es gibt das Argument, dass die Loyalität leidet, wenn Menschen nicht regelmäßig ins Büro kommen. Durch die Entkopplung von Tätigkeiten und festen Orten – Remote-Arbeit – steigt die Fluktuation in Firmen.

Tristan Horx: Wer so denkt, versteht den Begriff Loyalität falsch. Wenn sie durch räumliche Distanz erodiert, war sie schon vorher beschädigt. Außerdem muss sich die Wirtschaft langsam von den alten Lebensläufen lösen. Mit 20 irgendwo anfangen und mit 60 an selber Stelle aufhören – das funktioniert nicht mehr. Karrieren sind dynamischer geworden – und das ist für alle Beteiligten gut. Ein Unternehmen, das das erkannt hat, ist die Deutsche Bahn. Sie hat ein Alumni-Programm gestartet. Sie bindet damit Abgänge weiterhin emotional ans Unternehmen. Das ist ein Schlüssel für die Zukunft. Die Abwanderungswilligen probieren sich aus, merken vielleicht, dass es vorher besser war. Dann wollen sie zurück. Dieses Ausprobieren wird zunehmen – und damit auch das Erkennen, wie gut das Vergangene vermeintlich war. Schlaue Unternehmen nutzen diese Mechanik bereits. Sie sind aber in der Minderheit.

inperspective: Kommen wir zurück zu Büros: Warum brauchen wir sie überhaupt?

Tristan Horx: Für das Onboarding von neuen Mitarbeitenden sind Büros unerlässlich, weil räumliche Nähe wichtig für das Entwickeln von Identität ist. Und grundsätzlich können Büros extrem wertvoll sein. In ihnen durchbrechen Menschen ihre Filterblasen. Es gibt Austausch zwischen jungen und älteren Mitarbeitenden. Dieses Miteinander ist für unsere Zukunft essenziell. Denn aus der Energie des Nachwuchses und der Weisheit der erfahrenen Köpfe entstehen in Wechselwirkung erfolgreiche Innovationen. Ein gutes Büro fördert und ermöglicht diesen Wissensaustausch. Unternehmen nutzen dieses Werkzeug aber zu selten.

inperspective: Was fehlt ihnen?

Tristan Horx: Generationenübersetzerinnen und -übersetzer.

inperspective: Und wer soll das sein?

Tristan Horx: Das sind Fachkräfte, die zwischen den unterschiedlich geprägten Charakteren im Unternehmen vermitteln. Das klingt nach einer Banalität, ist aber extrem wichtig. Oft erstickt der dringend nötige Austausch zwischen Generationen an Missverständnissen. Das beginnt im Kleinen: Für die Älteren ist der »Daumen-hoch-Smiley« ernst gemeintes positives Feedback. Jüngere deuten ihn eher ironisch. Dieses Aneinandervorbeireden setzt sich unentwegt fort. Als Zukunftsforscher rate ich Organisationen zwingend zu dem Aufgabenprofil der Generationenübersetzerinnen und -übersetzer. Das Potenzial für gewinnbringende gegenseitige Befruchtung und lähmende Konflikte wird in absehbarer Zeit steigen.

»Ein gutes Büro fördert und ermöglicht den Wissensaustausch zwischen den Generationen.«

inperspective: Kommen wir zurück zu den Räumen, in denen Arbeit stattfindet. Was wäre, wenn ein Büro nicht mehr nur ein Büro ist, sondern eine Art Klubhaus. Ein Ort, den man zum Essen und Trinken, zum Quatschen aufsucht. Für eine Partie Billard.

Tristan Horx: Dieses Szenario ist spannend. Die Menschen wollen schon heute nicht mehr nur für die Arbeit ins Büro gehen, sondern für ein Miteinander. Sie erwarten die gleiche oder noch mehr Lebensqualität als im eigenen zu Hause.

inperspective: Kommt dieser Wunsch in der Wirtschaft an?

Tristan Horx: Mancherorts ja. Sony baut beispielsweise für viele Millionen seine Büros in Berlin um. Unter anderem sind Fitnessstudios vorgesehen. Wenn Arbeit nicht mehr ausschließlich im Büro stattfindet, muss dort mehr Leben möglich sein.

inperspective: Neulich haben wir in den inperspective snacks das Thema »Die Bäder im Büro« fokussiert. Es ist überraschend, wie wenig sich Firmen damit auseinandersetzen. Sie vergeuden immenses Potenzial.

Tristan Horx: Ich sehe es ähnlich. Ich war neulich in einem Restaurant und war tief beeindruckt. In den Waschräumen gab es ein großes, rundes Waschbecken mitten im Raum. Wie das Wasser da sprudelte – absolut imponierend. Andererseits habe ich erlebt, wie ein tolles alternatives Restaurant durch ein verkommenes Klo sofort seinen Charme verloren hat. Das, was wir auf Toiletten erleben, wirkt nach.

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inperspective: Woran liegt das?

Tristan Horx: Uns zu waschen und uns zu erleichtern, ist ein menschliches Kernbedürfnis. Oder anders formuliert: Gibt es einen sensibleren Raum als die Toilette in einem Gebäude? Wenn Unternehmen sich hier anstrengen, kommunizieren sie Wertschätzung. Auch beim Thema Bewerberinnen und Bewerber sind diese Bereiche interessant: Vor einem Gespräch macht man sich frisch – oder man muss aus Nervosität austreten. Es ist also wahrscheinlich, dass künftige Mitarbeitende das Klo als ersten Raum intensiv wahrnehmen. Ich selbst fliege aus beruflichen Gründen viel und verbringe Zeit in den Senator Lounges der Lufthansa. In Frankfurt gibt es Duschen, was ich äußerst wohltuend finde. Nach so einer Erfrischung fliegt es sich definitiv besser. Das färbt auch auf das Kerngeschäft, den Flug, positiv ab.

Ein stiller Ort, lauter Potenziale: Steve Jobs nutzte diese Räume für seine Unternehmenskultur.

inperspective: Ein anderes Grundbedürfnis ist Schlaf. Es gibt Firmen, die spezielle Räume für ein Nickerchen anbieten. Deine Meinung?

Tristan Horx: Das ist schlau, weil Schlaf nachweislich die Produktivität verbessert. Als ich in Japan war, habe ich erlebt, wie positiv das Nickerchen dort bewertet wird. Man muss wissen: Das Land ist ein bisschen wie Deutschland auf Crack. Alles noch mal strenger und festgefahrener. Dass Schlaf positiv bewertet wird, grundsätzlich richtig, liegt dort leider daran, dass die Leute zwölf Stunden am Tag arbeiten. Wer am Arbeitsplatz schläft, oft erschöpft im Bürostuhl zusammensackt, hat sich ausreichend verausgabt – und wird nach dem Power Nap weitermachen können. So die Denke.

inperspective: Ist der Mittagsschlaf im Büro – auch wenn er Sinn ergibt – überhaupt salonfähig in deutschen Unternehmen?

Tristan Horx: Die Kultur muss sich dafür positiv verändern. Momentan raunen Kolleginnen und Kollegen, wenn jemand während der Arbeitszeit duschen geht oder sich anderweitig Freiraum nimmt. »Der tut nichts für sein Geld, der ist ja nur am Duschen.« Dass diese Auszeit leistungssteigernd wirkt, verstehen und akzeptieren wenige.

inperspective: Was könnte zu mehr Akzeptanz beitragen?

Tristan Horx: Wenn wir Produktivität endlich in Leistung bemessen. Jemand, der schläft, duscht und gut isst, wird in den acht Stunden wahrscheinlich mehr schaffen als die Beschäftigten, die sich den ganzen Tag müde und unglücklich über einen Bildschirm krümmen.

Das britische Unternehmen XTX Markets bietet seinen Angestellten sogenannte »sleep pods». Die Schlafkabinen ermöglichen behagliche Nickerchen.

inperspective: Zum Abschluss, weil es vorhin international wurde: Welche Reiseziele würdest du Architektinnen und Architekten für neue Inspirationen empfehlen?

Tristan Horx: Kopenhagen und Singapur. In Dänemark sind die Menschen schon viel weiter, was die Verzahnung von Lebensqualität und Arbeit angeht. Diese Lockerheit muss man vor Ort erleben, sie wird auch räumlich mitgedacht. In Singapur ist es überwältigend, wie nachhaltig die Unternehmen bauen. Sie vernetzen in der Architektur das ökonomische perfekt mit dem ökologischen Bauen. Grundsätzlich respektiere ich als Zukunftsforscher die Arbeit von Architektinnen und Architekten sehr: Sie müssen permanent vorausschauend denken, denn sie planen und entwickeln, was erst in fünf Jahren fertig sein wird. Das funktioniert nur mit Weitsicht und Zukunftskompetenz.