Supermärkte und Hotels integrieren bereits kleine Gewächshäuser in ihren Hallen. Das sogenannte Indoor-Farming soll Frische symbolisieren, das Image verbessern und Räume lebendiger machen. Könnten Treibhäuser bald in Büros gedeihen? Ein Szenario.
von Hannes Hilbrecht
Die erste Erfahrung mit einem – nennen wir es nachwachsenden Supermarkt – machte ich in Cala Bona, an der Ostküste Mallorcas. Wir waren dort im Familienurlaub, und bei einem unserer aufgeblähten Ausflüge huschten wir mit unseren Sandaletten an einer Hacienda vorbei. Ein Bauer saß vor seinem Anwesen, trug abgewetzte Latschen, eine helle Hose mit Gamaschen und über ihm bog sich ein orangefarbener Sonnenschirm. Vor ihm auf dem Tisch stand eine rostige Waage.
Der Bauer, wie er hieß und ob er wirklich Landwirt war oder nur ein älterer Señor, weiß ich nicht mehr, winkte uns heran. Er bot an, dass wir in der benachbarten Plantage Orangen ernten, an seinem Tischlein abwiegen und dann kaufen könnten. „Precio atractivo”, sehr günstig, sagte er. Wir ernteten einen Beutel voll und zahlten einen Wucherpreis. Doch das selbst gepflückte Obst schmeckte nicht nur vorzüglich süß, sondern besaß eine eigene Geschichte. Die Orangen waren die Früchte eines Abenteuers.
Nun soll es in diesem Text aber nicht um Zitrusfrüchte und iberische Verkaufstricks gehen, sondern um ein Szenario, eine Vision. Und das, was in meinem Kopf schwirrt, hat mit nachwachsenden Supermärkten zu tun. Oder noch präziser: sogenannten Indoor-Farming-Konzepten in Büros.
1. Das Szenario: Indoor-Farming in Büros
Das Indoor-Farming boomt. Noch nicht in Büros. Aber beispielsweise in urbanen Supermärkten. Dort stehen Gewächshäuser rum, in denen Gartenkräuter oder Salatköpfe gedeihen. Meist sind die Kästen prominent in der Gemüseabteilung platziert. Das Ziel: Lebensmittel ohne den Verschleiß von Ackerfläche anbauen und bürgernah produzieren. Nicht horizontal in die Breite gärtnern, sondern hoch nach oben. Deshalb sprechen manche Expert:innen lieber vom "Vertical Farming".
Warum Lebensmittelhändler die Mini-Treibhäuser nutzen, ist rasch erläutert: Im Zeitalter der Nachhaltigkeit sind Indoor-Farming-Projekte gut für die Imagepflege. Das nachwachsende Grün demonstriert Frische, was in der Gemüseabteilung besonders wichtig ist und Kund:innen ködert. Und noch dazu wächst die Anfrage nach lokal erzeugten Lebensmitteln beständiger als der Spargel im Frühjahr. In Berlin Kreuzberg wollen sie auch Gemüse aus Berlin Kreuzberg. Das Problem: Weil dort immer mehr Grundfläche mit Beton versiegelt wird, gibt es schlicht keinen Platz für Beete. Außer man findet diesen inner- oder oberhalb von Gebäuden.
Wenn Indoor-Farming-Treibhäuser in Supermärkten stehen können, wieso dann nicht in Büros? Immerhin setzen Architekt:innen immer häufiger biophile Konzepte um, bringen das Grüne ins Office. Egal, ob es mit Moos beklebte Wände sind, Armadas von Sukkulenten oder Pflanzbottiche zwischen Schreibtischen. Grün gewinnt. "Das motiviert die Mitarbeitenden, drückt Wertschätzung aus", sagt beispielsweise der dänische Unternehmer René Lund im inperspective-Interview.
Gewächshäuser in Büros wären die Weiterentwicklung des lebendigen Bürodesigns. Tomaten beim Wachsen beäugen, Salate ernten, in der Mittagspause zubereiten und dann über Regrowing-Techniken wieder einpflanzen? Das scheint möglich. Dazu kommt: Bürofläche wird durch den Homeoffice-Hype momentan zusammen gestutzt wie das frisch vertikutierte Gras in deutschen Vorgärten. Bis zu 20 Prozent Büroflächen könnten in den nächsten Jahren abgebaut werden, vermuten Expert:innen. Wieso nicht Bürotürme aus Glas und Beton partiell zu Gewächshaus-Monolithen umgestalten?
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2. Der Experten-Blick: Eher utopisch
"So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es nun nicht", sagt Volkmar Keuter. Der Wissenschaftler und Indoor-Farming-Experte forscht für das renommierte Fraunhofer-Institut UMSICHT. In Deutschland gibt es wenige, die sich mit dem Thema besser auskennen.
Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Glas. Denn das, was Büroarbeiter:innen freut, nämlich dass die Fenster immer besser gegen die Sonne beschichtet sind, die Hitze draußen bleibt, macht unter Umständen Pflanzen den Garaus. Keuter erklärt: "Das Licht, das die Pflanzen brauchen, dringt gar nicht mehr in die Räume ein. Ein modernes Bürogebäude mit zeitgemäßer Verglasung ist nicht für ein Gewächshaus geeignet."
Und es sind nicht nur die Fenster. Kulturpflanzen brauchen die richtigen Temperaturen, genügend Feuchtigkeit, Nährstoffe, bestimmte Luftbedingungen. Während Büroarbeiter:innen im Alltag ausreichend CO2 produzieren, müssen Unternehmen für ambitioniertere IndoorFarming-Projekte weitreichende Umbaumaßnahmen tätigen. "Es wären hohe Investitionen nötig, damit ein Raum zugleich Büroarbeit ermöglicht und für den Anbau von Gemüse oder Kräutern geeignet ist. Das ist schwer zu realisieren, eher utopisch", sagt Keuter. Der Traum vom spanischen Orangenhain in der IT-Abteilung – er scheint mehr Wahnvorstellung als Zukunftsprognose.
Doch es gibt Hoffnung für das Planspiel. Denn zwei Möglichkeiten, das Szenario umzusetzen, sind plausibel.
3. Plan A: Alles auf einem Dach
Wenn das Gewächshaus nicht im Nachbarbüro entstehen kann, dann oben auf dem Dach. "Wir haben schon Modellprojekte begleitet, zum Beispiel hier in Oberhausen, die sehr ergiebig sind und weitreichende Potenziale andeuten", sagt Keuter.
Auf einem Bürogebäude ist nach dem inFarming®-Konzept des Fraunhofer-Instituts ein gebäudeintegriertes Dachgewächshaus entstanden. Jetzt im Frühjahr wachsen dort Minze, Erdbeeren und weitere Pflanzen. Der Haken für Architekt:innen, die ihren Kundenunternehmen so etwas empfehlen wollen: Auch die Gewächshäuser auf dem Dach sind kostspielig, noch dazu braucht es Fachkräfte, die die Pflanzen betüdeln und später die Ernte auf dem Wochenbasar vermarkten. "Für diese Projekte müssen Unternehmen nicht nur investieren, sondern auch Know-how finden. Ein grüner Daumen reicht für professionelles Indoor-Farming nicht aus", so Keuter.
Immerhin: Das Gemüse aus dem Altmarktgarten kommt an. Vorteil, die Erzeuger:innen vermeiden lange Wege zu den Endverbraucher:innen, sparen Transportkosten und schonen die Umwelt. Für Keuter ist das weit wichtiger als grüne Design-Highlights im Großraum-Office. Er erklärt: "Mit unserem inFarming®-Konzept können wir die Nahversorgung mit frischem Obst und Gemüse perspektivisch verbessern und beispielsweise den CO2-Verbrauch, der durch lange Transportwege entsteht, deutlich reduzieren."
4. Plan B: Eine Frage des Nutzungsziels
Bleiben noch die Kräuter-Inkubatoren. Herstellerunternehmen versprechen viel: frische Salate und Kräuter ohne Gentechnik, ohne Pestizide, supereasy via App gesteuert. Kostenpunkt: Ab 3.000 Euro geht's bei den Anlagen für Produzenten los. Für Geräte, die so groß sind wie Weinkühlschränke und fast genauso aussehen. Allerdings auch ordentlich Plant Power besitzen. Bis zu 28 Salatköpfe können auf zwei Quadratmetern Hydrokultur wachsen – und das binnen 24 Stunden.
Die Informationsbroschüren lesen sich auch auf den folgenden Seiten beachtlich. So sollen die Mini-Gewächshäuser gegenüber der klassischen Landwirtschaft 90 Prozent Wasser einsparen, geschlossene Kreisläufe machen es möglich. Spezielle LED-Beleuchtungssysteme ersetzen die Sonnenkraft. Aber ist so viel Hightech nachhaltig? Immerhin müssen auch für die aus redlichen Motiven ersonnenen Pflanzenschränke Ressourcen aus der Erde gerissen werden. Produktion und Transport verursachen CO2 und davon nicht wenig.
Das Thema Indoor-Farming wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass in den kommenden 15 Jahren etwa 60 Prozent der Weltbevölkerung (heute 7,5 Milliarden) in Städten leben werden. Da wäre es nur ein Anfang, wenn wir auch in Büros vorhandene Kapazitäten nutzen, um Lebensmittel ökologisch und nachhaltig zu produzieren. Genau das wäre doch ein redliches Nutzungsziel, das zukunftsgewandte Mitarbeiter:innen anspricht.