Der womöglich größte Schreibtisch der Welt könnte sich über drei Fußballfelder erstrecken. Stattdessen verbiegt und wölbt sich der Superdesk in einem New Yorker Büro. Eine Projektvorstellung.
von Hannes Hilbrecht
Bei Twitter trendete neulich ein Tweet, er handelte von der Pest in Europa im 14. Jahrhundert und den Orgien, die nach dem Verschwinden der Pandemie angeblich gefeiert wurden. Für die "Pestorgien" lassen sich kaum valide historische Beweise finden. Und Zusammenkünfte dieser Art, wie man sie aus den Schlusssequenzen des Films "Das Parfum" kennt, verlangen bekanntlich vor allem eines: viele quietschfidele Menschen. Der Schwarze Tod, wie die Pest genannt wurde, raffte aber schätzungsweise 50 Prozent der europäischen Bevölkerung dahin.
Bei allen negativen Folgen der Corona-Pandemie – Landstrich versengende Ausmaße wie bei der großen Pest drohen Europa diesmal nicht. Angesichts der nahenden Impfstoffe steigt aber hierzulande die Spannung vor dem Danach: Wie wird sich die Welt (zurück)verändern, wenn die entbehrungsreichste Herausforderung der jüngeren Menschheitsgeschichte überstanden ist? Wie werden wir leben, feiern – und arbeiten?
Orgien der Zusammenarbeit – Büros mit voller Besetzung, wiederbelebte Kantinen mit lautem Geschirrgebrüll und freundschaftliche Umarmungen in der Teeküche – vieles kann in einem Jahr wieder möglich sein. Vielleicht sogar die Kollaboration an einem der längsten Schreibtische der Welt. Unsere Projektvorstellung: der Superdesk aus New York.
Das Projekt:
Der Superdesk ist kein einfacher Schreibtisch. Er ist ein Monstrum in weißer Gestalt, die Anakonda unter den Furnituren. Sie mäandert mit einer Länge von 335 Meter und einer maximalen Breite von 3,5 Meter durch das New Yorker Großraumbüro der Barbarian Group (etwa 2.100 Quadratmeter groß). Insgesamt bietet der Schreibtisch 414 Quadratmeter Arbeitsfläche. Zum Vergleich: Wer ähnlich viel "Platz" kreieren möchte, braucht über 200 Schreibtische mit handelsüblichen Maßen.
Maximal 170 Mitarbeiter können sich zeitgleich an den Superdesk fläzen. Jeder Platz ist mit einem Ablagekorb unter der Tischplatte, einem Trolley sowie der nötigen Technik-Infrastruktur ausgerüstet. Ein in der Konstruktion verborgener Kabelschacht sorgt für Strom und schnelle Daten.
Die Firma:
Schon der Name kann als Kampfansage verstanden werden: Die Barbarian Group zaudert nicht lange, sondern sie nimmt sich, was sie begehrt. Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 gewann die Full-Service-Werbeagentur zahlreiche Preise wie den Löwen von Cannes. Dazu kommt eine elitäre Kundenliste: General Electric, IBM, Durex, Garnier und noch viele andere populäre Brands. Während des jüngsten US-Wahlkampfs war die Agentur für die gute Seite der (baldigen) Macht tätig: Die Barbaren warben für Joe Biden und Kamala Harris.
Der Superdesk, entworfen und gebaut im Jahr 2014, sollte für das Wachstum der Firma stehen: Von der kleinen Agentur-Klitsche in das erlesene Feld der Top-Werber in New York – dieses Statement ist den Architekten gelungen.
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Bilder: © Michael Moran / OTTO
Die Architektur:
Der Superdesk schlängelt sich nicht nur durch das Office, er wölbt sich achterbahnförmig hoch und nieder durch den Raum. Die Durchgänge, die durch die Wellen entstehen, dienen möglichst kurzen Wegen innerhalb des Workspaces. Unterhalb des Superdesks sind mehrere gepolsterte Sitzmöglichkeiten für Meetings sowie flexible Arbeitsplätze mit etwas mehr Privatsphäre eingelassen. Die gebogene Decke in den "grottenähnlichen" Bereichen sorgt für eine schalloptimierte Akustik. Die Konstruktion ermöglicht so eine angenehme Meeting-Atmosphäre und reduziert zugleich die Geräuschkulisse für die benachbarten Arbeitsplätze.
Auch setzten die Bauherren robustes, aber verhältnismäßig unspektakuläres Sperrholz ein. Der "rohe" Look war zwar einerseits von den Architekten gewollt, sollte aber vor allem durch die vergleichsweise günstigen Materialien die Gesamtkosten des Projekts senken. Die Tischplatte des Superdesks wurde aus Faserplatten gefertigt, die die Handwerker mit einer ökologischen, auf Wasser basierenden Farbe strichen. Der in Los Angeles lebende Künstler Casper Brindle verzierte den Schreibtisch für die Langlebigkeit mit einer feinen Deckschicht aus natürlichem Harz – so wie es auch bei Surfbrettern üblich ist.
Der Architekt:
Clive Wilkinson ist einer der großen Popstars unter den internationalen Workspace-Gestaltern. Unter anderem vertraute Google bereits mehrfach auf die Ideen des 66-jährigen Südafrikaners.
Wilkinson, der zahlreiche Preise und erfolgreiche Bücher über Design schrieb, gilt als Virtuose im Bereich des Urban Planning und als Spezialist für umfangreiche Büro-Konzepte. Mit seiner Firma Clive-Wilkinson-Architects bebaute er bereits über 500.000 Quadratmeter Bürofläche für über 80 Kunden.
Die Konstruktion:
Die Sperrholz-Komponenten wurden fast 4.000 Kilometer Luftlinie entfernt an der Westküste in Los Angeles hergestellt. Die Firma "Maschineous" sägte die eigens für das Projekt angefertigten Platten mithilfe von Robotern, die ansonsten Automobilhersteller in ihren Fabriken einsetzen.
Anschließend wurden die millimetergenau zugeschnittenen Platten und Gewölberippen nach New York transportiert und dort von den Konstrukteuren zusammengesetzt. Platten aus 4-Zoll starkem Stahl halfen, die wuchtigen Bögen vor dem finalen Verschrauben und Verkleben des Superdesks zu stützen. "Es war im Wesentlichen wie ein riesiger Ikea-Tisch", sagte Chester Nielsen, einer der involvierten Architekten, einem US-Magazin.
Die finale Veredlung des Tisches mit dem Deckharz verlangte dagegen besonders viel Kondition. Damit durch die Trocknungszeiten keine Farbabhebungen entstanden, mussten die Arbeiter den Tisch in einem Rutsch mit dem Harz beträufeln.