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"Sie glaubten schon einmal an das Ende der Büros"

Der Unternehmensberater Maik Marten beschäftigte sich für sein Buchprojekt mit zurückliegenden Office-Transfomationen.

Maik Marten ist Unternehmensberater, Workspace-Experte und Büroarbeit-Historiker. Ein Gespräch über die Transformationsprozesse von Arbeitswelten – in der Vergangenheit und in der Zukunft.

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Maik, du bist nicht nur Betriebswirt und anerkannter Experte für Workspaces. Du bist auch als Unternehmensberater tätig. Zu was würdest du deinen Kunden raten: Büroflächen abstoßen, Raumkapazitäten neu nutzen oder alles so bewahren, wie es vor Corona war?

Maik Marten: Das hängt sehr stark von den individuellen Gegebenheiten ab. Keine Bürofläche gleicht der anderen. Da kommt es immer auf den Einzelfall an. Ich glaube aber, dass die meisten unserer Kunden bereits sehr flexible, anpassungsfähige Arbeitsprozesse haben und insofern Raum, Bürotechnik und Arbeitskultur gut zueinander passen.

inperspective: Das Homeoffice genießt gerade einen echten Hype. Brauchen wir überhaupt noch Büros und räumliche Strukturen, so wie wir sie vor Corona kannten?

Maik: Wir dürfen das Homeoffice nicht als dauerhafte und ausschließliche Lösung verstehen. Viele Unternehmen boten ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bereits vor Corona die Möglichkeit zum gelegentlichen Homeoffice. Andere Firmen, die dies bisher kategorisch ablehnten, wurden seit März mehr oder weniger dazu gezwungen, sich flexibleren Arbeitsmodellen zu öffnen. Dies wird man nach Corona nicht ganz zurückdrehen können. Das ist eine positive Entwicklung.

Homeoffice wird allerdings nur eine Ergänzung zum eigentlichen Büroarbeitsplatz sein. Also, ja: Unternehmen brauchen Büros. Vielleicht wird der eine oder andere, bisher nicht sehr effektiv genutzte, aber teure Quadratmeter Bürofläche wegfallen. Dafür können die Unternehmen den vorhandenen Platz qualitativ weiter aufwerten. Die Fragen, die man sich öfter stellen wird, sind: Was sind die Stärken des Büros? Was kann das Büro besser als der heimische Arbeitsplatz? Was kann ich meinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bieten, damit sie produktiv und motiviert im Büro arbeiten können?

inperspective: In der vergangenen inperspective-Episode haben wir uns mit Standorten beschäftigt – du hast dem Thema auch Platz in deinem Buch gewidmet. Wie beeinflusst die Digitalisierung und die Wucht des Homeoffice-Hypes die Relevanz des Bürostandorts?

Maik: Bereits in den 1980er-Jahren glaubten einige Visionäre an das baldige Ende des Büros. Damals zogen massenhaft Personal Computer in die Büros und Haushalte. Die neue Technik sollte es ermöglichen, von überall aus zu arbeiten. Der Standort würde demnach auch nach und nach an Relevanz verlieren. Der Publizist Alvin Toffler träumte beispielsweise von Electronic Cottages, in denen die Menschen fern der Unternehmen in Ballungszentren und Städten arbeiten würden. Später, in den 1990er-Jahren, beflügelte die aufkommende Mobilfunktechnik nochmals derartige Visionen.

Damals wie heute ist aber ein gewisses Paradox zu beobachten: Je mobiler wir arbeiten können, umso mehr scheint das Bedürfnis nach räumlicher Nähe zu wachsen. Das hat viel mit dem Wandel der Wirtschaft zur Wissensökonomie zu tun. Hier ist eine enge, intensive Zusammenarbeit ausgesprochen wichtig. Und genau das geht an einem einzigen Ort, dem Büro, am besten.

Hinzukommen noch die veränderten Bedürfnisse der Menschen. Heutige Wissensarbeiter und Kreative suchen die Nähe zu anderen Menschen. Sie brauchen die Vielfalt und Abwechslung, die ihnen insbesondere Großstädte und die sogenannten Cluster der Informationsökonomie bieten können. Hier hat sich in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren der Trend noch mal intensiviert. Zogen früher die Menschen in die Nähe der Industrie, sind es heute die Unternehmen, die den Wissensarbeitern folgen. Man wählt daher seinen Bürostandort dort, wo sich der größte Pool an Fachkräften befindet. Und das sind eben oft die attraktiven, aber teuren Innenstadtlagen.

inperspective: Auch geht es in deinem Werk um die Geschichte der Büroarbeit. Wie wir alle wissen, können und müssen wir aus der Historie lernen. Was besonders spannend ist, gerade in dieser Zeit: Wie sehr hat sich die Büroarbeit über die Zeit entwickelt? Gab es radikale Brüche, Revolutionen, oder verlief der Wandel schleichend und evolutionär?

Maik: Die Büroarbeit entstand aus einem fundamentalen Wandel. Die Industrielle Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts schuf erst den riesigen Bedarf an Administration und Management. Seitdem vollzog sich die Entwicklung der Büroarbeit in evolutionären Schritten. Mit dem Aufkommen der Mikrocomputer in den 1970er-Jahren erhofften viele den Beginn eines größeren Befreiungsprozesses. Das Gegenteil war leider der Fall. Der Computer machte uns zunächst nicht freier, sondern er fesselte uns mehr als jemals zuvor an den festen Arbeitsplatz. Wenn man von einer revolutionären Technologie sprechen möchte, die die Büroarbeit maßgeblich verändern wird, dann denke ich sofort an die Cloud-Technologie. Mit ihrer flächendeckenden Verfügbarkeit könnte die Büroarbeit sich tatsächlich von einem konkreten Arbeitsort befreien. Das heißt aber nicht, dass das Büro damit "endlich" obsolet wird. Es sollte sich vielmehr auf das konzentrieren, was es immer noch am besten leisten kann: Einen idealen Ort für die formelle und insbesondere für die informelle Kommunikation bieten.

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Marten lebt in Berlin und ist Teilhaber eines Achitekturbüros.

inperspective: Welcher Aspekt der Büroarbeit steht vor dem einschneidendsten Wandel?

Maik: Ich glaube, dass uns die große Revolution auf dem Arbeitsmarkt erst noch bevorsteht. Die technologische Entwicklung setzt zu sehr weiten Sprüngen an. Routine- und Standardtätigkeiten werden zukünftig von immer intelligenteren Computerprogrammen übernommen. Dahingegen wird der Bedarf an kreativen, wissensintensiven Tätigkeiten eher noch zunehmen. Das verändert auch die Zusammenarbeit in den Büros. Dafür braucht es andere Räume und Umgebungen als zu Zeiten des sogenannten Scientific Managements.

inperspective: In der Biologie läuft es vermeintlich simpel: Wenn sich die Bedingungen in einem Ökosystem verändern, hängt das Überleben der Bewohner von ihrer Anpassungsfähigkeit ab. Wie müssen Architekten und Unternehmen jetzt Workspaces an die Zeit nach Corona anpassen?

Maik: Ich rate eher zu einer "wachsamen" Besonnenheit. Ohne Zweifel: Die Corona-Pandemie nimmt uns alle stark mit. Irgendwann wird diese Krise aber überwunden sein. Die aktuellen Meldungen bezüglich der schon bald verfügbaren Impfstoffe lassen sehr hoffen. Wir sollten daher auch nichts überstürzen. Wir alle haben es aber verdient, bald wieder ein Stück weit zur Normalität zurückzukehren. Ich wünsche mir, dass die Unternehmen ihre Büros eher hinsichtlich der zukünftigen Herausforderungen anpassen. In den Büros von morgen werden wir ein stärkeres Gewicht auf Kreativität, Innovationsfähigkeit und Nachhaltigkeit legen. Darauf gilt es die Räume vorzubereiten. Ich rate aber von voreiligen Maßnahmen anlässlich der aktuellen Situation ab und plädiere für ganzheitliche Konzepte.

inperspective: Beim Navigieren durch schwere Zeiten hilft es, sich an Vorbildern oder Best Practices zu orientieren. Bist du bei deinen Recherchen auf ein solches Musterbeispiel für eine perfekte Office-Transformation gestoßen?

Maik: Das ist das Interessante, wenn man sich mit der Bürogeschichte intensiver auseinandersetzt. Es gab schon von Anfang an Best Practices, von denen wir noch heute viel lernen können. Ich denke automatisch an die Bell Labs, die Forschungseinrichtung des Telekommunikationskonzerns AT&T, die im Jahr 1924 gegründet wurde. Über Jahrzehnte hinweg leistete das Labor hervorragende Innovationsarbeit. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Standardisierung und Rationalisierung von Arbeitsprozessen auf einem vorläufigen Höhepunkt stand und sich Büroarbeiter auf der ganzen Welt immer mehr dem Takt der Maschinerie unterwerfen mussten, genossen die Angestellten der Bell Labs ausgesprochen hohe Freiheitsgrade. Mit Erfolg: Ihnen verdanken wir viele bahnbrechende Entwicklungen in der Rundfunk- und Fernmeldetechnik: Das Radar; den Transistor, der die Basis jedes Computerchips ist; das Glasfaserkabel. Sogar die Grundlagen unserer heutigen Mobilfunktechnik sind einige wenige Beispiele ihres Schaffens.

Aber wir können nicht nur von den Best Practices etwas lernen, sondern genauso viel von gescheiterten Konzepten. So versuchte beispielsweise Jay Chiat, Chef der Werbeagentur Chiat/Day, in den 1990er-Jahren nach Fertigstellung seiner neuen Firmenzentrale in Los Angeles das "virtuelle" Büro einzuführen. Es gab dort keinen einzigen festen Arbeitsplatz, dazu eine begrenzte Anzahl von Laptops und Mobilfunktelefonen, die sich die Mitarbeiter jeden Tag an einem "Concierge-Schalter" umständlich ausleihen mussten. Beide Technologien waren damals teuer und selten. Man muss Chiats Konsequenz und Mut bewundern, allerdings trieb er es etwas zu weit. Die anfängliche Euphorie unter seinen Mitarbeitern verkehrte sich nach ein paar Wochen in Frust und führte zu einer sinkenden Arbeitsleistung. Viele kündigten. Dieser Misserfolg zeigt die Grenzen der virtuellen Zusammenarbeit auf. 

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inperspective: Kaffeesatzleserei ist immer gefährlich, aber du siehst die Entwicklungen als Unternehmer, Berater und auch als Historiker aus gleich mehreren Perspektiven. Vielleicht kannst du besser lesen als andere. Worüber reden wir nächstes Jahr um die Zeit?

Maik: Der Blick in die Zukunft ist eine schwierige Aufgabe. Wer kann schon wirklich sagen, wie es in fünf oder zehn Jahren aussieht. Vielleicht lenkt uns das Vorausschauen zu sehr von der aktuellen Lage ab. Wichtiger erscheint es mir, sich mit der Frage zu beschäftigen, was BüroarbeiterInnen genau jetzt brauchen, um optimal und sinnstiftend zu arbeiten. Das ist auch immer eine Einzelfrage. Unternehmen, deren Angestellte hauptsächlich Routinearbeiten erledigen, stellen andere Anforderungen an den Raum als Firmen, denen es um die Steigerung ihrer Innovationsfähigkeit geht.

Mir gefällt zudem die Vorstellung vom Büro als Lebensraum. Immerhin verbringen wir einen Großteil unserer Erwerbstätigkeit darin; mit oder ohne Homeoffice. Corona regt uns zudem dazu an, über den Sinn des bloßen kapitalistischen Agierens intensiver nachzudenken. Wie lange können wir noch so weitermachen wie bisher? Büros können eben auch die Orte sein, in denen wir an einer gemeinsamen, nachhaltigen Zukunft arbeiten.