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Schreibtisch-Superstars – und ihre Geschichten

An Schreibtischen wird regelmäßig Weltgeschichte geschrieben.

Friedensverträge, globale Wirtschaftsfusionen, Trauungen oder die Steuererklärung – an Schreibtischen wird täglich Weltgeschichte geschrieben. Was die bekanntesten Schreibtische berühmt machte und was wir von den populären Möbelstücken lernen können – eine Weltreise. 

von Kevin Berg

Wir verschütten Rotwein, kratzen mit unseren Laptops kleine Furchen ins Holz, müllen ihn mit Unterlagen zu oder verkleckern Kerzenwachs: Der Tisch scheint oft zu einem austauschbaren Alltagsgegenstand degradiert. Dabei war eine Unterlage zum Essen oder Arbeiten nicht immer selbstverständlich. Erst im 15. Jahrhundert etablierte sich der Tisch als Möbelstück und erlebte weltbewegende Momente holznah. Auf Tischen wurden Kriege beendet und Designepochen begründet. Fünf bedeutsame Exemplare und ihre Geschichten.

Bureau Plat, irgendwo in Frankreich

Höhenverstellbare Tische erleichterten den Arbeitsalltag vieler Menschen. Stehend über die Tastatur zu gleiten oder Dokumente zu stempeln, schont die Wirbelsäule und fördert die Durchblutung des gesamten Körpers. Was vor wenigen Jahren als Innovation der Work-Health-Balance galt, war bis zum Ende des 17. Jahrhunderts normal. An sogenannten Sekretären verfassten Schriftsteller wie William Shakespeare, Heinrich Albert oder Molière ihre Werke im Stehen. In den zweifelhaften Genuss des Sitzens kam keiner von ihnen. Erst am Ende des 17. Jahrhunderts nahmen Autoren an einem Schreibtisch platz. Der Bureau Plat ersetze den Sekretär. Verzierte Beine, eine Tischplatte und vier Schubladen - spektakulär war der Schreibtisch nicht. Aber kombiniert mit einer Cartonnerie, einem Stehschrank für Unterlagen, war er der erste Arbeitsplatz, an dem Schriftsteller, Verwaltungsbeamte oder Journalisten im Sitzen arbeiteten.

Resolute Desk, Washington D. C., USA

Die mächtigsten Hände der Welt ruhen auf einer massiven Holzplatte. Das Gemälde von Benjamin Franklin scheint beinahe kontrollierend in Richtung des Tisches zu starren. Anstelle einer Ordenssammlung zieren nun Familienfotos die Schränke und auch der triste Teppich ist verschwunden. Als Joe Biden zum ersten Mal das Oval Office betritt, erinnert wenig an seinen Vorgänger. Der frisch vereidigte Präsident der USA richtete das Oval Office im Weißen Haus neu ein, wie es bisher jedes Staatsoberhaupt zu Beginn seiner Amtszeit tat. Ein Möbelstück rührte – bis auf wenige Ausnahmen – aber keiner von ihnen an: den Resolute Desk. Das ist ein massiver Holztisch, den ein Schreiner im Jahr 1879 aus Planken des britischen Polarforschungsschiffes HMS Resolute fertigte. 1880 übergab Königin Victoria den Tisch als Dankeschön an den damaligen Präsidenten Rutherford B. Hayes. Seitdem verrichten Amtsträger ihre Arbeit an dem historischen Möbelstück. Weltbekannt wurde er durch ein Foto, auf dem John F. Kennedy am Tisch weltpolitische Themen bearbeitet, während sein Sprössling aus der unteren Klappe lugt. 

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Tisch E.1207, Paris, Frankreich

E.1207. Was klingt wie ein neues Virus-Gebräu, ist in der Geschichte des Tisches eine bekannte Bezeichnung. Erfunden wurde sie von der irischen Innenarchitektin und Designerin Eileen Gray. Bereits 1900 verließ sie mit 22 ihre Heimat Enniscorthy, um in Paris an den Kunstakademien École Colarossi und Académie Julian zu studieren. Ihre Designkarriere begann Gray mit Entwürfen von Lackmöbeln, die ihr später zu großer Bekanntheit verhalfen. Mit ihrem ersten Architekturprojekt, dem Haus E.1207, kreierte sie eines der wichtigsten Bauwerke der modernen Architekturgeschichte. Die Villa gilt als eines der wichtigsten Erzeugnisse der modernen Architektur. Noch bekannter ist ihr Designtisch E.1207 – bis heute einer der meist plagiierten Entwürfe der klassischen Moderne. Die höhenverstellbare Konstruktion aus Metall und Glas konzipierte Gray so, dass der Tisch jederzeit unter Möbelstücke geschoben werden konnte, um Platz zu sparen.

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Längster Tisch der Welt, Dorfchemnitz, Deutschland

Späne fliegen umher. Dutzende Kettensägen knattern zwischen Holzhütten. Sogenannte Chainsawcarver schnitzen mit ihrem motorisierten Werkzeug an großen Eichenstämmen herum. Das Walderlebniszentrum Blockhausen im Landkreis Mittelsachsen ist seit 2004 Austragungsort des internationalen Huskycups, bei dem Kettensägenkünstler einzigartige Holzskulpturen schaffen. Aber hölzerne Zwerge und Säbelzahntiger sind nicht die einzigen Besuchermagneten. In Blockhausen speisen Besucher an einer riesigen Tafel. 39,80 Meter misst die gigantische Fichtenholzplatte, die samt Tischbeinen über zwei Tonnen wiegt.

Schwedentisch, Radebeul, Deutschland

Im 18. Jahrhundert gab der Ladenbesitzer Richard Edwards einen handgeschnitzten Designertisch bei Thomas Tufft in Auftrag. 4,6 Millionen Dollar ist das Unikat heutzutage wert und damit der teuerste Tisch der Welt. Im Gegensatz dazu ist der Ausstellungstisch im Pfarrhaus Radebeul nahezu langweilig. Er hat weder einen besonderen Namen, noch sticht er durch seine Einzigartigkeit hervor. Jahre der Nutzung haben Spuren auf jeder einzelnen Holzplanke hinterlassen und an manchen Stellen brachen immer wieder Stücke heraus. Er wirkt wenig einladend und leistete dennoch einen wichtigen Beitrag zur Historie Deutschlands. Nach den protestantischen Erfolgen im Dreißigjährigen Krieg strebte Kurfürst Johann Georg I. einen Waffenstillstand an. Im Pfarrhaus von Kötzschenbroda trafen sich sächsische und schwedische Vertreter am 27. August 1645 zur Unterzeichnung der Waffenruhe. Ihr Unterfangen verzögerte sich, da in der Kirchen nirgends ein Pult oder eine Unterlage aufzutreiben war. Beim heimischen Böttchermeister erbaten die Sachsen einen Tisch, während dieser die Hochzeit seiner Tochter ausrichtete. In Aufzeichnungen heißt es, dass die Vertreter nicht nur das Möbelstück erhielten, sondern auch alle darauf befindlichen Speisen. Zurück in der Kirche dinierten sie köstlich, ehe sie gesättigt die Waffenruhe beschlossen. Als Zeugnis des historischen Festmahls steht der Tisch noch heute in der Kirche.

Alt trifft Moderne: Verschlissene Tische erlebten in den vergangenen Jahren ein Revival.