Wie wichtig ist ein eigener Schreibtisch? Die Hamburger Arbeits- und Organisationspsychologin Prof. Nale Lehmann-Willenbrock untersucht dynamische Teamprozesse und Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. Im Gespräch erklärt sie, wie individuelle Arbeitsplätze und Kommunikationsräume dieses soziale Geflecht beeinflussen.
von Hannes Hilbrecht
inperspective: Frau Professorin Lehmann-Willenbrock, aus arbeits- und organisationspsychologischer Perspektive betrachtet: Wie wichtig ist ein individueller Arbeitsplatz mit einem eigenen Schreibtisch für Mitarbeiter?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Wir verbringen einen Großteil unserer Lebenszeit bei der Arbeit. Deshalb macht die Arbeit einen wichtigen Anteil unserer sozialen Identität aus. Für viele Mitarbeitende ist der eigene Schreibtisch ein bedeutendes Symbol. Viele gestalten ihren eigenen Arbeitsplatz aktiv, indem sie beispielsweise Fotos aufstellen, die Lieblingstasse für den Kaffee oder ähnliche Dinge drapieren. Diese kleinen Maßnahmen können viel für das eigene Wohlbefinden bei der Arbeit tun. Und sie sagen auch etwas darüber aus, wie sehr sich Mitarbeitende mit ihrem Arbeitsplatz identifizieren.
inperspective: Was kann etwas vermeintlich Triviales wie ein Schreibtisch über einen Mitarbeitenden, Teams oder eine gesamte Organisation verraten?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Ein ansprechender Arbeitsplatz und ein vernünftiger Schreibtisch können Wertschätzung für die Mitarbeitenden kommunizieren. Eine Organisation, die in ergonomische Arbeitsplätze oder höhenverstellbare Tische investiert, signalisiert, dass die Gesundheit der Mitarbeitenden ein wichtiges Gut ist, das sie erhalten und fördern will. Wie Schreibtische angeordnet werden, kann auch etwas über Team- und Kommunikationsstrukturen aussagen. Stellen Kolleg:innen ihre Desks zusammen, erleichtert das den Austausch. Natürlich hängt das aber auch von der Art der Tätigkeit ab. Wenn Mitarbeitende überwiegend allein arbeiten und sich konzentrieren müssen, ist eine verteilte Anordnung eher sinnvoll. Generell kann es sehr hilfreich sein, wenn Mitarbeitende die räumliche Struktur aktiv mitgestalten dürfen.
inperspective: Können Tische – zum Beispiel in Meetingräumen – unsere Kommunikation besonders beeinflussen? Und wie überhaupt sieht ein clever designter Konferenzraum aus?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Solche Einflüsse gibt es. Natürlich ist es dabei nicht der Konferenztisch an sich, der Einfluss nimmt. Der Tisch führt ja kein Eigenleben. Die Art, wie ein Meetingraum gestaltet ist, verrät stattdessen viel über die Organisationskultur. Und sie ist teilweise auch Ausdruck dafür, wie wichtig Teams und kollegiale Zusammenarbeit für das Unternehmen sind. Besonders in Organisationen, die auf die Kreativität und Problemlösefähigkeit ihrer Mitarbeitenden angewiesen sind, findet man häufig sehr ansprechend eingerichtete Meetingräume. Sie bieten einen ausreichend großen Tisch, bequeme Stühle und Visualisierungsmöglichkeiten wie Beamer, Flipchart oder Smartboards, die die Zusammenarbeit erleichtern können.
Die Form eines Besprechungstisches und die Anordnung der Bestuhlung kann die Kommunikation indirekt beeinflussen. Aber noch wirksamer ist das, was Führungskräfte tun. Ein Beispiel: Bei einem länglichen Besprechungstisch kann ich mich als Führungskraft ans Ende platzieren und so die Hierarchie betonen. Oder ich setze mich zwischen die Mitarbeitenden und signalisiere, dass mir die Kommunikation auf Augenhöhe wichtig ist und jeder Input gleichermaßen zählt.
Die Meeting-Forschung zeigt außerdem: Meetings im Stehen verlaufen deutlich schneller. Je nach Thema kann es sinnvoll sein, auch mal ganz auf den Tisch zu verzichten. Dafür muss ein Besprechungsraum möglichst flexibel möbliert sein. Oder es werden offene Flächen mit beweglichen Sitzmöglichkeiten angeboten, sodass wir das klassische Set-up für eine Besprechung - und die damit verbundenen, möglicherweise etwas eingefahrenen Kommunikationsroutinen - aufbrechen können.
inperspective: Durch die vermehrte und produktive Nutzung des Homeoffices planen Unternehmen die Reduzierung von Büroflächen. Flex-Desk-Konzepte könnten an Bedeutung gewinnen. Birgt diese Strategie eher Chancen oder Risiken?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Wie in der Frage bereits angedeutet, liegt eine Chance darin, dass Firmen Kosten sparen. Das ist augenscheinlich ein Vorteil, allerdings sind viele Mitarbeitende damit unzufrieden. Um auf die erste Frage zurückzukommen: Der eigene Arbeitsplatz ist ein wichtiger Teil unserer sozialen Identität. Flex-Desk-Konzepte machen das schwierig bis unmöglich, diese am Schreibtisch auszuleben. Mitarbeitende finden aber Wege, sich dennoch einen eigenen Platz zu schaffen: Indem sie beispielsweise eine Dockingstation für den eigenen Laptop anfordern, sodass sie "zufällig" doch immer wieder auf demselben Platz sitzen müssen. Solche Beobachtungen zeigen, dass der feste eigene Arbeitsplatz ein wichtiges Bedürfnis der Mitarbeiten erfüllt. Wenn Unternehmen dennoch auf Flexdesks setzen (müssen), sollten sie die Mitarbeitenden möglichst aktiv einbinden.
inperspective: Wie sollten Unternehmen diese Transformationsprozesse anmoderieren – und wie lässt sich im Vorfeld die Anzahl von Fehlerquellen minimieren?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Aus unserer Forschung zu "resistance to change", also zu den psychologischen Prozessen, die den Widerstand gegenüber Veränderungen erklären können, wissen wir: Für erfolgreiche Transformationsprozesse ist eine gute Kommunikation und das frühzeitige Einbeziehen der Mitarbeitenden essenziell. Wie eine Veränderung eingeleitet wird, kann das Zünglein an der Waage sein. Wenn das Management einen grundlegenden strukturellen Wandel wie die Einführung von Flexdesks ankündigt und mit einem Appell verbindet, dass doch bitte alle bei den Einsparungen mitziehen, kann das starken Unwillen bis hin zur Reaktanz auslösen. Mitarbeiter:innen fühlen sich schnell in ihren Handlungs- und Entscheidungsspielraum eingeschränkt. Stattdessen sollten Mitarbeitende frühzeitig mit einbezogen werden, wenn es um die Arbeitsplatzgestaltung geht. Wer den Eindruck hat, aktiv mitbestimmen zu können, wird viel eher gewillt sein, Transformationsprozesse mitzutragen.
inperspective: Durch das Homeoffice werden Organisationen neu sortiert. Sollte man über digitale Vernetzung alte Muster wie Hierarchien beibehalten – oder braucht es neue, raumunabhängige Strukturen? Und wie könnten diese aussehen?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Ich habe eher nicht den Eindruck, dass Hierarchien wegfallen, nur weil alle im Homeoffice sitzen. Im Gegenteil: Partizipation, Mitbestimmung und das Einbeziehen stillerer Teilnehmender können durch die Hürden der virtuellen Kommunikation deutlich erschwert werden. Außerdem ändern sich nicht automatisch die Entscheidungsbefugnisse, wenn wir von zu Hause arbeiten.
Was sich aber schon in vielen Kontexten verändert hat, ist das Verständnis füreinander. Jede:r vergisst gelegentlich, das Mikro einzuschalten und es kann erfrischend sein, wenn die Führungskraft durch interessierte Zwischenfragen vom Dreijährigen unterbrochen wird. Humor ist sehr hilfreich und ich hoffe, dass viele Teams neben den Herausforderungen des Zwangs-Homeoffices auch positive gemeinsame Erfahrungen mitnehmen. Das ist vielleicht nicht gleich eine "Neusortierung". Kann sich aber trotzdem stärkend auf das Teamklima auswirken.
inperspective: Meetings finden momentan digital statt, und auch Post-Corona werden viele Dienstreisen ausfallen. Ich habe gelesen, dass Sie sich beispielsweise mit dem Thema Humor als Dynamik-Treiber auseinandergesetzt haben. Wie können diese Dynamiken auch in digitalen Meetings entstehen, wenn die Teilnehmer nicht an einem Tisch sitzen?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Humor entsteht – wie auch in Face-to-Face-Meetings – im digitalen Raum oft situativ. Meine Forschungsergebnisse zeigen, dass Humor insbesondere dann hilfreich für das gemeinsame Problemlösen und die Ergebnisse eines Teams ist, wenn die witzige Situation positiv ist, also nicht auf Kosten anderer geht und von allen geteilt wird. In digitalen Meetings entstehen solche Gelegenheiten dank der eben erwähnten Interferenzen, wenn Kinder, Katzen oder die Kaffeemaschine dazwischenfunken oder bei Problemen mit der Technik.
inperspective: Um auf die Tische zurückzukommen: Wie wichtig wird es nach Corona sein, dass die Distanz zwischen den Schreibtischen von Kollegen wieder schwindet, das Büro erneut ein fester Bestandteil der Arbeitsgewohnheiten wird?
Prof. Lehmann-Willenbrock: Ich glaube, dass es vielen ähnlich geht wie mir: Nach den vielen Monaten am Schreibtisch zu Hause wird es ein Befreiungsschlag sein, endlich ins Büro zu dürfen und einfach mal wieder etwas zwischen Tür und Angel oder in der Kaffeeküche klären zu können. Wünschenswert wäre es trotzdem, wenn der erzwungene plötzliche Wechsel ins Homeoffice in vielen Organisationen nachhaltig und nicht nur als schwierige Zeit in Erinnerung bleibt. So erhalten wir Flexibilisierungsmöglichkeiten auch nach Corona. Im Idealfall erleichtert sich durch die Möglichkeit zum Homeoffice die Vereinbarkeit von Berufsleben und privaten Verpflichtungen. Das würde die zeitlichen Ressourcen der Mitarbeitenden schonen.