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Feedback und Wertschätzung brauchen Raum

Gabriel Rath ist ein Homeoffice-Fan, den es immer häufiger raus ins Office zieht.

Gabriel Rath ist Vater von drei Mädchen, New-Work-Experte und Modernisierer der internen Kommunikation. Was er nach einem Jahr Corona-Pandemie über die Notwendigkeit von Büros und die Anforderungen an einen Remote-Arbeitsplatz gelernt hat – ein Gespräch. 

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Gabriel, vor einem Jahr hast du geschrieben, dass du durch den Pandemie-bedingten Wechsel auf mehr Homeoffice viele Vorteile siehst: für die Arbeit, für die Familie, für dich selbst. Wie bewertest du die Situation mittlerweile?

Gabiel Rath: Immer noch so ähnlich wie vor einem Jahr. Nur dass ich mehr Zeit im Office verbringe, als ich es damals erwartet hätte. Ich bin darum bemüht, möglichst oft rauszukommen, die Kolleg:innen persönlich zu sehen.

inperspective: Du hast schon vor Jahren für mehr Flexibilität plädiert, du sprichst mit schlauen Köpfen regelmäßig über New Work und die Chancen, die entstehen, wenn wir starre Strukturen aufweichen. Ich hätte dich anders eingeschätzt. Eher so als Sofa-Laptop-Cowboy.

Gabriel: Zu Hause ist immer viel Action. Und das meine ich maximal positiv. Ich habe drei Mädchen, sie stecken alle in unterschiedlichen Phasen. Die Älteste kommt langsam in die Pubertät, die mittlere Tochter in der Grundschule an, die jüngste geht seit Kurzem in die Kita. Das sind junge Menschen mit sehr großen Bedürfnissen an einen Vater, mit vielerlei Interessen, die ausgelebt werden wollen. Die will ich bedienen können, ich will da sein und vor allem auch: dabei. Je weniger Arbeit ich aktiv mit nach Hause nehme, desto leichter fällt es, Zeit zu finden und vor allem den Kopf frei zu haben. Da kann ich mir bei meiner Frau eine Scheibe abschneiden. 

inperspective: Die Corona-Pandemie macht es vielerorts noch unmöglich, guten Gewissens ins Büro zu fahren. Wie schaffst du den Spagat zwischen Abstandhalten und Normalität?

Gabriel: Wir haben Glück. So deutlich muss ich das sagen. In Rostock war die Inzidenz lange gering, es wurde viel getestet. Die Bereitschaft, Maßnahmen mitzutragen, ist in der Bevölkerung hoch. Das liegt auch daran, dass es genügend Lichtschweife für die Menschen gibt. Beim Fußball waren neulich etwa 700 Fans. Der Verein und die Stadt haben das infrastrukturell möglich gemacht. Auch wenn das eher ein symbolisches Ereignis ist, zeigt es trotzdem, wie bemüht die Behörden sind, Prävention und Alltag zusammenzubringen. In unserem Büro im Warnemünder Containerhostel DOCK INN haben wir die Infrastruktur, damit es mit Abstand gehen kann. Es ist weitläufig, es wurde großzügig geplant. Und die Abstimmung im Team läuft gut. Wir wissen immer, wann wer da ist und wann es vielleicht zu eng wird.

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inperspective: Du berätst Unternehmen in der internen Kommunikation, du weißt also, wo und wann Probleme aufgrund einer räumlichen Distanz entstehen. Welche Folgen fallen dir besonders häufig auf?

Gabriel: Das voneinander Fernbleiben kann dazu führen, dass die Strukturen erodieren, dass die Bindung verloren geht. Es fehlen wichtige Informationen, die wir normalerweise  über die Körpersprache von Kolleg:innen erhalten. Hängt jemand momentan durch, gibt es Probleme, vielleicht etwas Familiäres? Diese Sachen erkennt man am besten über räumliche Nähe, über Mimik und Auftreten. Digital versäumen wir zu oft den Blick für unsere Mitmenschen.

inperspective: Wann fehlt die gemeinsame Präsenzzeit im Büro am stärksten?

Gabriel: Meines Erachtens bei der kreativen Zusammenarbeit. Die ist besonders wichtig für den Erfolg einer Organisation oder eines Projekts. Es geht um Lob, Diskurs, Wertschätzung, Feedback und Wissenstransfer. Äußern wir Feedback ausschließlich digital oder telefonisch, erleiden wir durch die Remote-Konstellation inhaltliche und emotionale Streuverluste. Es kommt nicht an, was ankommen soll. Das kann Teams schaden, Menschen entzweien – obwohl es dafür keinen Anlass gibt.

inperspective: Brauchen Feedback und Wertschätzung Raum, der aus vier Wänden besteht und ein Dach besitzt?

Gabriel: Manche können auch digital sicher feedbacken und wertschätzen. Doch selbst diejenigen, die es vermeintlich können, packen das nicht immer. Ich bilde mir ein, digital gut klarzukommen. Aber auch ich verliere häufiger, als ich mir eingestehen mag, den Grip zu Kolleg:innen. Vor Missverständnissen und Missinterpretationen ist niemand gefeit. Klar – auch im selben Raum passiert Misskommunikation. Aber dort fällt sie viel eher auf, weil es schwieriger ist, eine Reaktion körperlich zu verbergen. Auch beeinflussen Raum und Ort die Wahrnehmung von Diskurs sehr massiv. Draußen in Warnemünde am Strand spazieren gehen, das Meer riechen, durch den Sand latschen – das macht locker, sogar für ernste Themen. Eine ähnliche Atmosphäre schaffen Büros über flexible Sitzelemente, Farben, Gestaltungen. In meinem vorherigen Office wurde die Stabilität von zwischenmenschlichen Beziehungen an der Tischtennisplatte getestet und gestärkt. Am Ende müssen wir das Büro so weiterentwickeln, dass es ein Produkt ist, das die Mitarbeiter auch kaufen.

inperspective: Beruflich entwickelst du momentan mit deiner Crew eine App für interne Kommunikation. Wie stiftet ein digitales Werkzeug so was wie Nähe zwischen Remote-Kolleg:innen?

Gabriel: Vorab: Eine App, wie wir sie mit moin! bauen, ersetzt keinen gemeinsamen Kaffee, keinen Spaziergang, kein Brainstorming in einem Raum mit einem Flipchart und vielen unterschiedlich gestrickten Gedanken. Aber eine App kann Beziehungsgeflechte, die von Angesicht zu Angesicht gewachsen sind, bewahren und verstärken. Wichtig ist: Als wir mit der Entwicklung von moin! begonnen haben, gab es noch keine Pandemie und Corona war ein Bier aus dem Getränkeland. Wir dachten damals vor allem an Arbeitsverhältnisse, denen bislang ein Büro oder eine andersartige Basis fehlten. Bauarbeiter:innen oder Straßenbahnfahrer:innen, Leute im Lkw und in der Produktionshalle, die vielen Menschen in der Pflege. Die haben keinen Computer, manchmal keine E-Mail-Adresse, keinen Schreibtisch. Sie sollten das Büro in einer App finden. Kommunizieren, Erfahrungen teilen, Krankenscheine ohne Aufwand einreichen können. Eine App kann dann eine Basis sein und nachweislich die Mitarbeiter:innenzufriedenheit und -Bindung stärken. Sie ersetzt aber kein Büro. Sie springt hilfreich ein, wenn wir es gerade nicht nutzen können oder es generell fehlt. Und letztlich wollen wir doch alle die Mitarbeiter:innen in den Organisationen happy machen. Studien zeigen deutlich, dass sich Frust häufig aus fehlender Klarheit speist. Wir bringen Transparenz in die Läden.

inperspective: Wir sprachen über Feedbackkultur und darüber, wie sie unter fehlenden Face-to-Face-Begegnungen leidet. Was kann eine App tun?

Gabriel: Sie kann digitale Räume für Feedback schaffen. Und sie kann es möglich machen, per Mausklick Wertschätzung zu zeigen. Wir kennen es aus den sozialen Medien: Ein Like zu bekommen, beschert einem ein positives Gefühl. Im Büro sind die Likes normalerweise keine Likes, sondern Umarmungen, Blicke, Aufmerksamkeit, verbale und non-verbale Bestätigung. Ein digitales Like kann in einer App als Kompensation wirken, solange wir es aufrichtig kommunizieren.

inperspective: Zum Abschluss: Wie sieht eine neue Normalität zwischen Büro und Remote-Arbeitsplatz aus, wenn Corona vorbei ist?

Gabriel: Wenn die Kinder und auch wir Eltern nicht als Arbeitende, sondern als Menschen wieder flexible Strukturen gestalten können und das Homeoffice eine freiwillige Entscheidung ist, wird die Sehnsucht nach einem hybriden Arbeitsplatz rasch wachsen. Ohne Büro wird es sogar für mich als Homeoffice-Fan nie gehen. Dafür brauche ich diese fachliche und emotionale Resonanzkammer zu sehr. Im Büro wird einfach mehr gelacht. Und Spaß bei der Arbeit sollte nie zu kurz kommen.

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