Unproduktivität, Stress und Krankheit – die Auswirkungen von zu viel Lärm im Büro sind bekannt. Doch wie folgenreich ist Krach am Schreibtisch wirklich? Ein Streifzug durch die weltweite Wissenschaft verrät Architekten und Planern: Die Akustik ist und bleibt ein Kernelement der gesunden Büroplanung.
von Hannes Hilbrecht
“Die Stille stellt keine Fragen, aber sie kann uns auf alles eine Antwort geben”, schrieb der niederösterreichische Lehrer Ernst Festl in einem seiner Aphorismen-Bände. Die Ruhe ist seit jeher ein Lieblingsthema von Dichtern und Denkern. In ihr liege schließlich die Kraft, behauptet sogar der Volksmund.
Neben Ruhe ist auch die richtige Akustik ein zusehends bestimmendes Thema in der Arbeitswelt. Die Büros haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Sie sind bunter, schnelllebiger – und eben lauter geworden. Eine Herausforderung für Unternehmen, Architekten, Planer und sogar Büromöbelhersteller, die mit neuen Produkten auf junge Bedürfnisse reagieren müssen.
Herausforderungen des Großraumbüros
Im Berufsalltag spüren viele den Wandel der Arbeitsumgebungen intensiv. Immer mehr Arbeitgeber setzen auf Open-Space-Bereiche oder das Großraumbüro. Mitarbeiter führen dort Videokonferenzen, Webinare, Kundentelefonate und Privatgespräche. Bei Arbeitgebern mit flexiblen Arbeitszeiten herrscht ein stetes Kommen und Gehen. In Flex-Desk-Offices rollen zusätzlich Mitarbeiter mit ihren mobilen Bürocontainern auf der Suche nach einem Schreibtisch durch die Flure. Es hallt und schallt überall. Von der Baustelle, draußen auf der Straße, ganz zu schweigen.
Über die Auswirkungen von Lärmbelastung und schlechter Akustik wird viel geforscht. Lärm und der damit verbundene Stress machen krank, das ist seit Jahren Konsens unter Medizinern. „Viele Menschen wissen nicht, dass dauerhafter Lärm nicht nur dem Gehör schadet, sondern auch immense Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System sowie das Schlafverhalten hat”, sagte zum Beispiel Martina Wenker, Präsidentin der niedersächsischen Ärztekammer, der Zeitung Die Welt.
Wir gehen auf einen Streifzug durch die Wissenschaft und stellen drei Learnings aus der Schweiz, den USA und Deutschland vor.
1. Unproduktivität: Bürolärm und die dreifache Überlastung
“Erlebt ihr häufiger einen dieser Tage?”, fragte Beat Bühlmann auf einem Panel in Berlin im Frühjahr 2018.
Bühlmann, ein ehemaliger Evernote-Manager und New-Work-Vordenker aus Zürich, zielte mit seiner Frage auf das Gefühl der Unproduktivität. Ein Gefühl, das viele Mitarbeiter zermürbt. Ein anstrengender Tag im Büro mit wenigen Ruhepausen, trotzdem bleibt das Vorankommen – zumindest gefühlt – überschaubar. Für Beat Bühlmann ist der sogenannte “Triple Overload” einer der Hauptgründe für Unproduktivität. Die dreifache Überlastung von Knowledgeworkern (Wissensarbeiter) stützt sich laut Bühlmann auf folgenden Säulen:
Daten-Überlastung
Ein durchschnittlicher, sogenannter Wissensarbeiter verbringt nach Datenerhebungen des Harvard Business Review (HBR) etwa 2,5 Stunden pro Tag mit der Suche nach Informationen.
Kommunikations-Überlastung
Der Autor Rob Cross schreibt in seinem HBR-Report, dass Wissensarbeiter etwa 80 Prozent ihrer Arbeitszeit mit der internen Kommunikation verbringen. Durch die rege Nutzung von Kommunikationstools wie der E-Mail, dem Telefon oder dem firmeneigenen Chattool bleibt kaum Zeit für tiefgründige Arbeit.
Die kognitive Überlastung
Journalisten wie Paul Hemp wiesen bereits vor einem Jahrzehnt auf Studien hin, dass Wissensarbeiter im Büro alle drei bis fünf Minuten bei der Arbeit durch äußere Einflüsse unterbrochen werden. Das führt zu einer ungesunden kognitiven Überlastung, die langfristige Erschöpfungserscheinungen verursacht.
Eine laute Geräuschkulisse ist eine direkte Gefahrenquelle des Triple Overloads – sie zahlt auf jede der drei Überlastungen unmittelbar ein. Jedes Geräusch, das Mitarbeiter bewusst wahrnehmen, also auch jedes Gespräch eines Kollegen, füttert das Hirn mit unerwünschten Daten. Durch laute Büros wird die Kommunikation erschwert. Und durch die permanente Unterbrechung mit auditiven Reizen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer kognitiven Überlastung. “Lärm sorgt für vermehrte Unterbrechungen. Das begünstigt den Triple Overload”, schreibt Bühlmann auf inperspective.
2. Bürolärm sorgt für nachweisbaren Stress
Die meisten Büroplaner und Architekten haben ein großes Ziel: Die Angestellten sollen sich in den Büros wohlfühlen. Eine einladende und inspirierende Atmosphäre soll in den Räumen wirken und Mitarbeiter zu besseren Leistungen motivieren.
Doch Bürolärm ist seit jeher eine der größten Herausforderungen bei diesen Plänen. Und das ist schon seit Beginn der Achtzigerjahre eine wissenschaftlich belegte Tatsache. Forscher wie Franklin Becker und Eric R. Sundstrom machten schon damals Bürolärm als das größte und am weitesten verbreitete Ärgernis von Mitarbeitern aus. In einer weiteren Langzeitstudie untersuchte Sundström, wie sich der Wechsel von einer ruhigen in eine lautere Arbeitsumgebung auf Mitarbeiter auswirkt. Die klaren Ergebnisse: Die Mitarbeiter waren unzufriedener mit ihrer Arbeitsumgebung. Und das führte ebenfalls zu einer allgemeinen Jobunzufriedenheit der Betroffenen.
Auch auf die Produktivität wirkt sich der Bürolärm aus. Forscher fanden heraus, dass auditive Belastungen die Merkfähigkeit der Probanden senkten. Je lauter die Büroatmosphäre, desto schlechter konnten die Büroarbeiter Informationen gedanklich abspeichern. “Die Fehlerhäufigkeit steigt um über 40 Prozent, wenn eine Fremdsprache im Hintergrund eingespielt wird. Auch die Konzentrationsleistung sinkt”, sagt Dr. Georg Wiesinger, ein renommierter Akustik-Experte, im Interview mit inperspective.
Die Auswirkungen von Bürolärm wurden auch von den Wissenschaftlern Gary Evans und Dana Johnson untersucht. In einem Experiment, über das beide in einem Journal für angewandte Psychologie berichteten, wurden 40 Büro-Arbeiterinnen sowohl in einer ruhigen als auch in einer künstlich laut gestalteten Umgebung typische Büroaufgaben gestellt. Nach den Versuchen gaben die Probandinnen Urinproben ab. Diese untersuchten die Wissenschaftler auf die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol. Der Vergleich der Ergebnisse aus den Urinproben nach der Arbeit in leiser und lauter Arbeitsatmosphäre brachte deutliche Ergebnisse: Einige Proben wiesen nach der Arbeit in den künstlich mit Bürolärm beschallten Räumen auffallend mehr Stresshormone auf. Teilweise waren diese Werte mehr als doppelt so hoch, wie die Proben der Probandinnen, die in ruhiger Atmosphäre gearbeitet hatten.
Überraschenderweise gab es beim wahrgenommenen Stress kaum Unterschiede. Die Probandinnen waren gestresster, spürten das aber nicht.
3. Warum Bürolärm mental und physisch krank macht
Das japanische Wort Karoshi ist ein Begriff, der in der deutschen Sprache zum Glück keine direkte Übersetzung findet. Karoshi bezeichnet den “Tod durch Überarbeitung”. In der rigorosen Leistungskultur Japans ist Karoshi kein seltenes Phänomen, sondern ein gesellschaftliches Problem, das sich durch Überlastung, Erschöpfung und Stress speist.
Stress ist auch in Deutschland eine Volksbeschwerde. 87 Prozent der Deutschen geben an, gestresst zu sein. Jeder Zweite fühlt sich vom Burnout bedroht, einer der Hauptfolgen von dauerhafter mentaler Überlastung, schreibt das Ärzteblatt. Beat Bühlmann warnte erst kürzlich in einem Interview: “Die Mitarbeiter werden jeden Tag massiv mit Daten und Informationen überfrachtet. Forscher arbeiten an dem Nachweis, dass diese kognitiven Unterbrechungen Burnouts fördern.”
Doch Stress wirkt nicht allein auf die Psyche. Auch der Bewegungsapparat leidet, besonders der Rücken, schreiben Evans und Johnson in ihrer Experiment-Auswertung. Verschiedene Studien und Laborexperimente lassen außerdem auf einen Zusammenhang zwischen dem lärmbedingten Stress am Arbeitsplatz und muskulären Problemen schließen. So ermittelten Forscher schon vor mehr als 20 Jahren, dass Mitarbeiter unter Bürolärm ihre Körperhaltungen am Arbeitsplatz deutlich seltener anpassen als Kollegen in einer ruhigen Arbeitsumgebung. Und das verharren in einer starren Sitzposition ist bekanntlich eines der Hauptrisikofaktoren bei Rückenleiden. Kurz und knapp: Sogar Bürolärm kann schlecht für den Rücken sein.
Zusammenfassung
Lärm kann nicht nur in Wohnungen in Flughafen- oder Autobahnnähe krank machen, sondern auch dort, wo deutsche Angestellte die zweitmeiste Zeit ihres Alltags verbringen: im Büro.
Auditive Belastungen, die häufig durch schlechte Akustik entstehen, sind Stressauslöser. Ein gesundes Büro sollte also nicht nur auf die richtigen Büromöbel, ein ausbalanciertes Klima und gute Lichtverhältnisse achten, sondern auch auf den Schall und seine Wirkung in unseren Köpfen.
Das mag im ersten Schritt teuer sein. Doch Experten wie Georg Wiesinger sagen: Langfristig sparen Unternehmen so viel Geld und profitieren – am allerwichtigsten – von gesunden und glücklichen Mitarbeitern.