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Präsenzarbeit bei Otto: »Anwesenheit ist ein Wert«

Nach dem »Shitstorm bei Otto« kehrte wieder Ruhe ein – Martin Frommhold erklärt im Interview mit PALMBERG, wie das Traditionsunternehmen die Wende schaffte.

»Shitstorm bei Otto«, titelte eine große Zeitung, als das Traditionsunternehmen eine straffere Präsenzregelung im Büro einführte. Seit dem medialen Tohuwabohu ist einiges passiert. Vor allem ist es wieder ruhiger im Unternehmen geworden. Auch weil Otto danach vieles richtig gemacht hat. Was genau, berichtet der Unternehmenssprecher Martin Frommhold im Interview mit PALMBERG.

von Alina Scheibe | Hannes Hilbrecht

inperspective: Starten wir das Interview mal ganz aus der Hüfte. Wer ist eigentlich Martin Frommhold?

Martin Frommhold: Beruflich bin ich Leiter der Unternehmenskommunikation der OTTO Einzelgesellschaft. Wir sind das größte Unternehmen der Otto Group. Zu dieser gehören bekannte Unternehmen wie Heine, Witt, Bon Prix und viele mehr. Die Einzelgesellschaft OTTO ist zudem so etwas wie die Keimzelle für alles, was sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem weltweit tätigen Konzern entwickelt hat. Uns gibt es seit 1949 – vergangenes Jahr haben wir unser 75-jähriges Firmenjubiläum gefeiert. Und ich habe die große Freude, dass ich für dieses Unternehmen die Kommunikation leiten darf.

inperspective: Kommunikation. Das war im vergangenen Jahr ein sehr spannender Job im Bürokontext. Magst du das mal erzählen für alle, die es nicht wissen?

Martin Frommhold: Du spielst darauf an, dass wir im vergangenen Jahr unsere Präsenzregelung neu formuliert haben. Die Regeln zur Anwesenheit waren, aus der Pandemie-Phase resultierend, bis dahin sehr liberal. Nun setzen wir auf ein 50/50-Konzept. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter kann die Hälfte der Arbeitszeit von zu Hause oder von wo auch immer arbeiten. In der anderen Zeit wünschen wir uns nun aber die persönliche Anwesenheit auf dem Campus.

Als wir diese Entscheidung mitgeteilt haben, gab es schon einen leichten Furor im Unternehmen. Auch medial ging das Ganze ziemlich steil. Im Hamburger Abendblatt hieß es beispielsweise „Shitstorm bei Otto“. Dieser bestand aus über 300 teilweise sehr kritischen Meinungsäußerungen zur neuen Anwesenheitsregelung, die in unserem Intranet von Mitarbeitenden veröffentlicht wurden. Das ist in der Tat eine Menge, aber auch ein gutes Zeichen: Bei uns können sich alle über die bestehenden Kommunikationskanäle einbringen. Und Transparenz ist mehr als ein Hygienefaktor, sondern steht für eine lebendige, offene Kultur. Zu dieser gehört auch, dass es Tausende Kolleginnen und Kollegen gab, die sich eben nicht äußerten. Mittlerweile haben wir uns mit der neuen Regelung aber eingeschwungen.

inperspective: Das Ganze ist nun sechs Monate her. Seitdem hat man nicht mehr viel Kritik gehört. Wie habt ihr es hinbekommen, die Situation kommunikativ zu befriedigen?

Martin Frommhold: Kritik gibt es schon noch, aber die hat sich deutlich versachlicht. Wozu sicher beigetragen hat, dass wir in den Dialog gegangen sind und Partizipation in der Ausgestaltung ermöglicht haben. Klar, das hätte man vielleicht auch vorher machen können. Aber ich halte nicht viel davon, sich lange mit „hätte, wenn und aber“ aufzuhalten. Insofern zählt, dass wir im Nachgang gute Lösungen gefunden und den Teams Freiheiten eingeräumt haben. Unsere Mitarbeitenden konnten selbst entscheiden, wie sie auf dem Campus zusammenkommen möchten. In welcher Intensität, in welchen Konstellationen – das ist von Team zu Team sowie hinsichtlich der Aufgabenstellungen unterschiedlich. Es ist beispielsweise auch möglich, in einer Woche vier Tage im Büro zu sein und in der anderen nur einen Tag. Auch haben wir uns weitere Fragen gestellt: »Was muss auf dem Campus verändert werden, damit die unterschiedlichen Gewerke gut arbeiten beziehungsweise zusammenarbeiten können?«

IT-Kräfte organisieren ihre Workstreams nun mal anders als Teams im Marketing. Also: »Was brauchen sie, um sich die 50 Prozent ihrer Arbeitszeit auf dem Campus wohlzufühlen?« Dafür schaffen wir auf dem Campus – wo immer möglich – nun noch mal bessere Möglichkeiten. 

inperspective: Was macht den Campus so besonders?

Martin Frommhold: Der Otto Group Campus in Hamburg-Bramfeld ist ein sehr großes Gelände. Auf diesem befinden sich viele Bürogebäude, teilweise aus den 60er- und 70er-Jahren. Der Familie Otto war es im Zuge unserer konzernweiten Nachhaltigkeitsinitiativen immer sehr wichtig, dass diese Gebäude erhalten bleiben und von innen heraus modernisiert und saniert werden. Das ist, denke ich, sehr gut gelungen. Wir bei OTTO haben im April 2024 beispielsweise unser neues Headquarter bezogen. Das ist topmodern mit einem wunderschönen Lichthof versehen in einem ehemaligen Speicher eingerichtet, wo früher Waren eingelagert wurden.

Wenn es wärmer wird, können wir auch das Außengelände, den Boulevard als Büro nutzen. Dieser ist komplett WLAN-fähig ausgestattet und man kann draußen auf einer Bank sitzen und am Laptop arbeiten. Es gibt definitiv schlechtere Arbeitsplätze. 

»Aber Arbeit ist nicht nur etwas schaffen, Arbeit ist auch gemeinsam kreativ zusammensitzen.«

inperspective: Du bist nicht nur Unternehmenssprecher, sondern auch Führungskraft für 21 Mitarbeitende. Nun kommen welche zu dir und sagen: Vorher im Homeoffice hab ich mehr geschafft. Wie pitchst du das Büro als gemeinsamen Arbeitsort?

Martin Frommhold: Du hast eben gesagt »Ich schaffe mehr zu Hause«. Aber Arbeit ist nicht nur etwas schaffen, sondern auch gemeinsam kreativ zusammensitzen, überlegen, sich austauschen, Ziele formulieren und diese über abgestimmte Wege erreichen. Dafür ist das „sich und andere“ erleben, aufeinander eingehen, diskutieren unerlässlich. Zusammen sein und gemeinsam etwas zu planen, zu motivieren, zu unternehmen – das ist alleine schon ein Wert an sich. Und diesen leben wir bei Otto. Anwesenheit ist ein kultureller Wert. Und genau den wollen wir ein Stück weit wieder mehr herausstellen. 

inperspective: Was bedeutet das für dich persönlich?

Martin Frommhold: Mein Team zu erleben. Stimmungen aufzunehmen, zu lernen, Orientierung zu vermitteln – oder auch nur mal Small Talk. Auch mit denen, die du eben fiktiv zitiert hast und die sich im Homeoffice effektiver fühlen. Was ich in den meisten Fällen nachvollziehen kann. Aber auch für die bietet unsere 50-Prozent-Regelung doch eine enorme Flexibilität. Der Activity-Based-Working-Ansatz – nämlich dort zu arbeiten, wo die gerade aktuelle Tagesarbeit am besten gestaltet werden kann – gilt weiterhin. Er kann von allen Mitarbeitenden für die eigene Arbeitsplanung angewandt werden. 

»Anwesenheit ist ein kultureller Wert. Und genau den wollen wir ein Stück weit wieder mehr herausstellen.«

inperspective: Wie oft reißt Martin Frommhold die 50-Prozent-Regelung und ist nur 40 Prozent da?

Martin Frommhold: Die Regelung reiße ich stetig, aber nach oben. Ich bin jeden Tag am Campus, fühle mich dort wohl und kann da sehr konzentriert arbeiten. Ich nehme mir weiterhin auch Arbeit mit nach Hause. Als Unternehmenssprecher ist man eigentlich immer erreich- und ansprechbar, aber mein Arbeitsplatz ist der Campus.

inperspective: Hältst du es für wichtig, dass Führungskräfte eher überpräsent sind und so Kollaboration vorleben?

Martin Frommhold: Wie gesagt, ich bin gerne im Büro. Aber ich erwarte das nicht gleichermaßen von meinen Kolleginnen und Kollegen. Im Team erreichen wir die 50-Prozent-Anwesenheit gut, damit bin ich absolut zufrieden. Viel wichtiger ist mir, dass ich für meine Leute ansprechbar bin. Sie mich und ich sie erreiche. Und das eben auch regelmäßig in Präsenz, live vor Ort und nicht eingeschränkt am Bildschirm. Das hat einfach eine andere Qualität des Zusammenseins. Das finde ich wichtig, aber ich gebe keine Direktiven über die 50-Prozent hinaus. Und was Leistung und Zielerreichung angeht, bin ich sowieso jederzeit informiert, weil wir unsere Arbeit transparent über die OKR-Methodik organisieren. 

inperspective: Weil in diesem Interview so oft das Wort »Campus« fiel: Hast du einen Lieblingsort?

Martin Frommhold: Ich mag unsere Kantine, die Elbe, sehr gerne. Die ist baulich super gelungen und die Kolleginnen und Kollegen in unserem Kochwerk sorgen für ein tolles, vielfältiges und echt leckeres Angebot. In unserm neuen Gebäude haben wir zudem neun Social-Spaces. Das sind große Räumlichkeiten mit Kaffee-Ecken, Sitzrunden, Tischtennisplatten und so weiter. Die sind individuell gestaltet – von Meer über Wald bis Berge. Die machen schon Spaß.

inperspective: Guter Kaffee ist für viele Mitarbeitende ein Grund, ins Büro zu kommen. Wie wichtig ist dir Kaffee auf der Arbeit?

Martin Frommhold: Das ist ein ganz wichtiger Punkt für mich. Mein erster Weg führt mich entsprechend morgens im 8. Stock in den Social-Space Berge, um mir einen Cappuccino (übrigens mit Hafermilch bei uns) zu holen. Das ist einfach cool und mein morgendliches Ritual. 

inperspective: Du bist Kommunikationsprofi seit mehr als zwei Jahrzehnten. Wie würdest du die Vorteile von gemeinsamen Arbeitsorten kommunizieren? Also gerade jetzt, wo sich Unternehmen schwer tun, die richtigen Worte zu finden.

Martin Frommhold: Zusammenkommen ist ein Wert an sich. Das zeichnet Unternehmen aus. Man unternimmt etwas gemeinsam, unterstützt sich, nimmt andere mit, verfolgt im Team Ziele und leistet dafür miteinander auch die Arbeit. Gegenseitiges Erleben ist wertvoll und sozialer Zusammenhalt, egal in welcher Umgebung, schlicht ein elementarer Betriebsstoff.