Das Office ächzt unter aufstrebenden Konkurrenten, einer schwierigen Wirtschaftslage und dem zuletzt erschlafften Innovationsstreben. Wenn das Büro ein Weltkonzern wäre, müsste es gewittrige Zeiten erwarten. Warum die Lage ungewiss ist und auf wen die Hoffnungen bauen – ein Gedankenspiel.
von Hannes Hilbrecht
Nokia besaß beinahe alles. Internationales Renommee. Unfassbar viel Geld. Genügend Moneten, um zigtausende Dagobert-Duck-Geldspeicher mit 100-Dollar-Noten vollzustopfen.
Vor allem strotzte Nokia vor Macht. Zeitweise dominierte der Konzern mit 50 Prozent Marktanteil den wichtigen Mobiltelefon-Markt. Dazu wob er ein Erdball umspannendes Netzwerk aus internationalen Geschäftspartnern, lukrativen Werbepartnern und Zulieferfirmen. Anfang des 21. Jahrhunderts waren nur vier Marken wertvoller als Finnlands First Enterprise.
Ein beinahe unbegreiflicher Absturz
Trotz allem schrumpfte Nokia binnen weniger Jahre dahin wie ein Eisblock in der iranischen Lut, der heißesten Wüste der Welt. Im Fahrstuhlschacht der Marktökonomie stürzte der Konzern innerhalb von 36 Monaten auf 3,5 Prozent Marktanteil ab. Und das war noch nicht die Endstation Tiefgarage.
Nokia scheiterte aus mehreren Gründen. Da war ein Konkurrent aus dem Silicon Valley, der mit dem iPhone ein hoch überlegenes Produkt kreierte und dabei war, den Begriff Weltmarke neu zu erfinden. Dazu kamen interne Probleme. Nokia war schwerfällig geworden, zu einem bräsigen Tanker verkommen. Der schien zwar so unsinkbar wie die Titanic, kam aber im Ozean schon lange nicht mehr vorwärts.
In einer ähnlichen Situation wie Nokia
Wer keine Probleme hat, wird eben nicht zu Innovationen gedrängt. Ein Smartphone, das Nokia noch vor dem Launch des iPhones entwickelt hatte, gelangte nicht durch die interne Produktprüfung. Die Manager belächelten die neue Technologie, unterschätzten sie. Auch beim üblichen Falltest, bei dem die Produkttester die Unkaputtbarkeit eines Testgerätes prüfen, fiel der Prototyp durch. Diese Narren!
Wäre das Büro eine Company, befände es sich momentan in einer ähnlichen Situation wie Nokia vor zwanzig Jahren. Jahrzehntelang beherrschte das Office uneingeschränkt den Markt. 2018 arbeiteten fast 15 Millionen Deutsche in Büros. In den sechs Vorjahren war die Zahl noch um 3 Millionen Mitarbeitende gestiegen.
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Noch keine Thronfolger, aber Konkurrenten
Innovationen kamen nicht als große Sprünge, sondern wenn überhaupt als bedächtige Hopser daher. Wieso sich anstrengen, wenn es läuft. Homeoffice? Coworking-Spaces? Allenfalls schüttere Randerscheinungen. Keine Bedrohung. Keine Konkurrenz. Dann kam Corona.
Nun ist das Büro in seiner Marktmacht bedroht. Andere Alternativen treffen die Bedürfnisse der Menschen besser. Durch die Pandemie waren Angestellte weltweit dazu gezwungen, etwas Neues auszuprobieren. Büros machten dicht, das Homeoffice erfreute sich der Hochkonjunktur. Coworking-Spaces locken unterdessen mit immer mehr Sex-Appeal. Und auch die Bahn arbeitet bald – ganz sicher (sic) – an einem Konzept für ein funktionales Office auf Schienen. Die Alternativen zum Büro sind noch nicht zu Thronfolgern, bestimmt aber zu selbstbewussten Konkurrenten aufgestiegen.
Es braucht immer Veränderung
Das Unternehmen Büro schmort in einer ernsten Lage, jedoch in keiner aussichtslosen. Noch immer sind viele Kund:innen treu ergeben. Die meisten wollen zurück ins Büro. Die Macht der Gewohnheit bricht nicht sonderlich schnell. Dass sie überhaupt zerbröseln kann, wie vor Äonen im finnischen Espoo geschehen, ist eine Warnung.
Die Digital-Unternehmerin Franzi Kühne, die durch ihre forsch auftretende Werbeagentur erst erfolgreich und später populär wurde, repetierte neulich im NDR-Fernsehen einige prägnante Sätze: “Always change a running system. Es geht immer um Veränderungen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.” Genau diese Lektion müssen die Büros verstehen. Auch wenn es gerade noch irgendwie läuft, ist Veränderung unabdingbar.
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Treibhäuser für Talente
Das Unternehmen Büro steht vor vielen Herausforderungen. Neue Pandemien könnten folgen. Da ist die Digitalisierung, die vieles verbessern wird, aber dafür manch Bewährtes umstoßen muss. Dazu kommen Diskussionen über neue Arbeitsformen wie die 4-Tage-Woche und die Homeoffice-Romantik. Volksbarde Hannes Wader hat wie immer recht, wenn er aus dem Schallplattenspieler klingt: “Dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, wie es war.”
Die große und einzige Hoffnung für das Büro sind daher diejenigen, die Arbeitswelten auf einem weißen Blatt Papier aufmalen und dann mit Akribie in die Realität übersetzen. Architekt:innen und Büroplaner:innen können Workspaces gestalten, die Menschen auch in Zukunft anziehen und binden. Sie müssen Räume entwickeln, in denen Mitarbeiter:innen und ihre Ideen unter idealen Bedingungen gedeihen dürfen. Treibhäuser für Talente.
Architekt:innen entscheiden über die Zukunft der Büros
Es sind externe Architekt:innen und Planer:innen, die mit ihrem kreativen Wirken darüber entscheiden, ob das Büro auch in den nächsten 50 Jahren den Arbeitsmarkt dominieren wird. Ob Homeoffice und Coworking nur mit dem Office diffundieren oder es gänzlich abkömmlich machen.
Büros sind ein Kulturgut. Sie bieten Freiraum. Sie bringen Menschen zusammen. In ihnen wuchsen Ideen, die die Welt positiv veränderten. Büros geben Arbeit einen Rahmen, der Produktivität fördern und zugleich die Gesundheit der Beschäftigten bewahren kann. Deshalb sind sie kostbar. Ein Verlust wäre nur schwer zu verschmerzen. Architekt:innen und Büroplaner:innen können mit Konzept und Poesie verhindern, dass es der Plattform Büro so wie dem Unternehmen Nokia ergeht.
inperspective SNACKS wird die Zukunftsgestalter:innen bei diesem Vorhaben wöchentlich begleiten.