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Die 4-Tage-Woche: Was sie verspricht, was sie fordert

In der Zukunft könnte sich Büroarbeit auf vier Tage in der Woche konzentrieren.

Auf Island leben nur 361.000 Menschen. Sie nutzen sogar Apps, die verhindern, dass Cousinen und Cousins vor dem Traualtar landen. Trotzdem könnte der Inselstaat mit einem geglückten New-Work-Experiment die Bürowelten prägen. Mehr dazu in der Probeausgabe von inperspective snacks über: Produktivität.

von Hannes Hilbrecht, Kevin Berg und Rüdiger Laube

Der Lead: Island sehen und nachmachen?

Raufarhöfn ist ein schöner Ort und zugleich ein sterbender. In dem isländischen Kaff mit den pittoresken, weiß bemalten und rot bedachten Häusern gingen erst der Hering und danach die meisten Menschen. Der Ort darb wie so viele andere vor sich hin, weil die lokale Wirtschaft die sinkenden Fischerei-Fangquoten kaum verkraftet.

Aber Island mausert sich. Das Eiland gilt mit seinen wasserspeienden Geysiren ohnehin als Tourismusmagnet und gut vermarkteter Abenteuerspielplatz. Und Island denkt auch die Zukunft herkömmlicher Arbeit offensiver als viele andere Länder. Zuletzt testete die Nation in zwei Feldversuchen (mit 2.500 und später 500 Mitarbeiter:innen) die Vier-Tage-Woche. In Deutschland war das bislang einsamen Revoluzzer:innen wie dem Unternehmer Lasse Rheingans vorbehalten.

Die Ergebnisse des Experiments schlugen weltweit Wellen. Obwohl weniger gearbeitet wurde, blieb die Produktivität auf einem stabilen Niveau und verbesserte sich sogar in manchen Branchen. Die Vier-Tage-Woche führte nicht – wie befürchtet – zu bedeutend mehr Überstunden. Die Proband:innen meldeten sich seltener krank und weniger Arbeitskräfte stellten sich mit psychischen Erkrankungen wie Burn-out beim Hausarzt vor. Die gestiegene Freizeit sorgte dafür, dass Männer mehr im Haushalt und bei der Erziehung halfen. Es blieb Zeit für Wochenendausflüge und Heimatbesuche in den Fischerkaffs der Insel. Góðan Dag Raufarhöfn!

In Deutschland goutieren viele Arbeitnehmer:innen die aus Island herüberschwappenden Ergebnisse. Ist die Vier-Tage-Woche eine Alternative für Unternehmen wie “Werbetechnik Schmidt” oder “EDV Kachorski”? Das klingt gar nicht so abwegig.

Auch für Büros und andere Arbeitswelten hätte diese Entwicklung Folgen. Mitarbeiter:innen säßen dauerhaft seltener am Schreibtisch. Manche Büroflächen würden drei von sieben Tagen, fast die halbe Woche, leerstehen. Das beeinflusst Standortwahl, Fläche und Raumdesign.

Andererseits: Je rarer sich ein Ort macht, desto beliebter wird er für gewöhnlich. Die Vier-Tage-Woche, so darf man vermuten, könnte auch die Bürokultur stärken. Auf jeden Fall würde sie – wie das Homeoffice – den Blick auf unsere Arbeitsorte verändern.

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In Island ist es idyllisch und auch ein bisschen revolutionär.

Der Standpunkt: Ein Office braucht private Territorien

Flexdesk-Konzepte sind für viele Unternehmen eine logische Konsequenz der Corona-Pandemie. Wer kaum im Büro ist, bekommt auch keinen festen Schreibtisch. Das spart Platz, Material und Geld. Die Vier-Tage-Woche könnte diesen Trend noch beschleunigen. Doch das Konzept, so naheliegend es scheint, birgt Risiken. Die renommierte Umwelt- und Design-Psychologin Sally Augustin mahnt zur Vorsicht. Ihre Kernaussagen:

1. Weniger Stress am eigenen Schreibtisch

"Ein ruhiger, eigener Arbeitsplatz macht es wahrscheinlicher, dass Menschen im Büro ihr volles Potenzial ausschöpfen. Menschen fühlen sich im eigenen Raum, im heimischen Territorium wohler und sicherer. Das ist in unserer Vorgeschichte als Spezies begründet. Denn an unbekannten Orten empfinden wir Stress. Der schröpft unsere geistigen Energievorräte."

2. Familienfotos und Bürosukkulenten als Produktivitätsboost

"Ein zugewiesener Schreibtisch beseitigt den ablenkenden Stress der Ungewissheit. Er beherbergt leistungsfördernde, naturverbundene und identitätsstiftende Gegenstände wie Familienfotos und Pflanzen."

3. Zwischenmenschliche Beziehungen lernen

"Arbeitnehmer:innen müssen von Angesicht zu Angesicht Zeit verbringen. Nur so können sie die Gespräche führen, die für den Aufbau von zwischenmenschlichen Beziehungen nötig sind. Augenkontakt, Körperhaltung und persönliche Distanz sind notwendig, um in der Gruppe kreativ zu funktionieren."

Der Weitblick: Das spannendste aus aller Welt

Boston, USA. Weniger zu arbeiten, ohne weniger zu verdienen. Das könnte ein wichtiges, aber schon lang vergessenes moralisches Projekt in Amerika wiederbeleben, schreibt Autor Joe Pinsker für die Zeitschrift The Atlantic.

Dublin, Irland. Viele Arbeitgeber sind mit der gewaltigen Aufgabe vernebelt, das Büro nach der Pandemie neu zu organisieren. FlexDesks bieten eine Chance, müssen aber mit Vorurteilen kämpfen, resümiert das Unternehmen IconicOffices in einem Gastbeitrag für die Irish Times.

Montreal, Kanada. Die Vier-Tage-Arbeitswoche ist in einigen Unternehmen im kanadischen Quebec längst Realität. Wie das in welchen Umgebungen funktioniert, weiß CBC-Journalistin Verity Stevenson.

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Fact Sheet: Hundefreundliche Büros

  1. #thetalkingdead: Produktivität braucht Platz und Ruhe. In Großraumbüros dauert es durchschnittlich 23 Minuten, bis sich Mitarbeitende nach einer ungewollten Unterbrechung wieder voll konzentrieren können.
  2. #wholetthedogsout: Tierische Streicheleinheiten begünstigen produktives Arbeiten. Wer Vierbeiner krault, schüttet dabei das Glückshormon Oxytocin aus. Tierfreund:innen reduzieren Stress und stärken ihre Konzentrationsfähigkeit.
  3. #wedontlikemondays: Die "Boomtown Rats" sangen es schon! In einer Studie fand das britische Unternehmen „Workthere“ heraus, dass nicht Montag, sondern Dienstag für die Mehrheit der Befragten der produktivste Arbeitstag im Büro ist.
  4. #20gradundesgehtnochheißer: Heizung aufdrehen im Herbst und Winter! Die optimale Temperatur für produktive Arbeit im Büro liegt bei 20 Grad.

Projekt der Woche: Völlig losgelöst

Viel Weiß. Viel Licht. Viel abgespactes Zeug. Im Warschauer Büro der skandinavischen Nordea Bank malochen die Mitarbeiter:innen an flexibel nutzbaren Hightech-Arbeitsplätzen. Diese zeichnen sich durch opulente wie großflächige Tische, hochmoderne Gaming-Stühle und kurvenförmige Monitore aus. Highlight des Offices – aus Raumfahrt und Stanley Kubricks Film “Space Odysee” kombiniert – ist das einmalige Lichtkonzept. Treten Störungen oder Probleme auf, können die weiß leuchtenden Lampen bestimmte Räume vorübergehend in rotes Licht tauchen. Alarm!

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Satz der Woche: Chancen sind für alle da

"Wir haben jetzt die einmalige Gelegenheit, unsere Arbeitsplatzkultur von Grund auf neu zu gestalten."

Joanne Lippman

Die Corona-Pandemie zwang Mitarbeiter:innen auf der ganzen Welt ins Homeoffice. Eine Rückkehr an den gewohnten Arbeitsplatz? Für viele zunächst unvorstellbar. Was aber nach einem Abgesang auf das Büro klang, ist in Wahrheit eine große Chance für die Unternehmen, schreibt Joane Lippman, die ehemalige Chefredakteurin von USA Today.

Die Zahl der Woche:              "74"

Während der Corona-Pandemie genossen viele Mitarbeiter:innen die Vorzüge von Remote Work. Das Ende des Büros? Nein! Das geht aus der 2021 erschienenen Studie “The Future of Work: Productive Anywhere“ des Beratungsunternehmens Accenture hervor. 74 Prozent von mehr als 9.000 Befragten gaben an, dass sie sich in der direkten Zusammenarbeit mit Kolleg:innen gesünder und produktiver fühlen. Sie wollen zurück ins Büro. 

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Der Must Read: Einer der ganz Großen


Sinnlose Posten, von denen niemand überzeugt ist, nicht einmal diejenigen, die auf einer dieser Positionen tätig sind? Gibt es! Als Bullshit Jobs taufte der 2020 verstorbene amerikanische Anthropologe David Graeber dieses Phänomen der Wachstumsgesellschaft. Für Graeber die pure Vergeudung von Human Resources. #legendsneverdie

On the Phenomenon of Bullshit Jobs: A Work Rant

by David Graeber

Nach & haltig: Bock auf Bock?

Tipp der Woche: Second-Hand-Möbel ins Bürodesign implementieren. Die aufbereiteten Turnmöbel von Markus Farwick sind uriges, stylisches und recyceltes Accessoire in jedem Büro von Welt.

Früher Turnpferd, heute Designermöbel. Nachhaltig gefertigte Möbel liegen im Trend.