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Holger Volland: »Das ist die befriedigendste Form von Arbeit«

Holger Volland erläutert uns im Gespräch seine Perspektiven hinsichtlich der flexiblen Gestaltung von hybrider Arbeit.

Holger Volland ist der digitale Kopf des innovativsten Wirtschaftsmagazins Deutschlands. Eine Frage, die sich da aufdrängt: Wie viel echten Raum und Begegnung braucht eine zukunftsfähige Redaktion? Ein Gespräch mit dem CEO der brand eins.

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Herr Volland, wer Ihren Namen googelt, wird einige Lobeshymnen finden. Wieso arbeitet ein digitaler Pionier erst zehn Jahre für die sehr physische Frankfurter Buchmesse und nun für ein Unternehmen, das für sein Printmagazin bekannt ist?

Holger Volland: Das liegt an meiner Biografie. Meine Mutter war Buchhändlerin, mein Vater einer der ganz frühen Programmierer in Deutschland. Meine Mutter hat gesagt, ich soll Bücher lesen. Mein Vater riet mir, das Programmieren zu lernen. Ich mochte beides. Auch heute finde ich es am interessantesten, wenn ich über die Digitalisierung von Produkten mit kultureller Relevanz nachdenken darf.

inperspective: Was meinen Sie mit kultureller Relevanz?

Holger Volland: Hinter der Buchbranche und dem Journalismus stecken Ideen, die größer sind als die Produkte.

inperspective: Und das bedeutet was für Ihre Aufgabe bei der brand eins?

Holger Volland: Wir wollen mit unserem Magazin Menschen inspirieren. Sie sollen besser leben, besser arbeiten, besser wirtschaften. Eine gut erzählte Geschichte, die Menschen lesen, hören oder sehen, kann genau das bewirken. Das ist die eine Aufgabe von gutem Journalismus. Die andere, die zunehmend Relevantere: Wir müssen Ordnung in die Informationsflut bringen. Das Wichtige vom Unwichtigen trennen. Empfehlungen abgeben. Und ganz wichtig: Dafür gerade stehen. Ich empfinde deshalb diese Branche – ebenso wie den Buchhandel – als Tragpfeiler für unsere Gesellschaft. Ich möchte, dass es diesen Bereichen gut geht. Und dafür möchte ich mein digitales Wissen einbringen.

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inperspective: Messen und guter Journalismus leben von authentischer Begegnung. Von Angesicht zu Angesicht. Mit der Aura eines gemeinsamen Raumes. Selbst wenn man mittlerweile fast alles digitalisieren kann: Gilt das auch für Begegnung?

Holger Volland: Was man kaum in die digitale Welt übersetzen kann, ist der Zufall eines Aufeinandertreffens. Auch die emotionale Tiefe, die durch das Miteinander eines Zusammentreffens entsteht, kann ein Videocall ebenso wenig ermöglichen wie viele Kommunikationsebenen. Die Körpersprache, der Geruch, unsere Bewegung im Raum: All das ist Teil der Kommunikation, die digital verloren geht.

inperspective: Begegnung war früher im Kontext der Wissensarbeit selbstverständlich. Man ging täglich ins Büro. Seit der Corona-Pandemie schwinden diese Kontakte, das Homeoffice ist weiter extrem beliebt. Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag zwischen Heimarbeit und Präsenz vorstellen?

Holger Volland: Ich habe einen perfekten Modus für mich gefunden: die räumliche Unabhängigkeit. Ich suche mir Raum situativ aus. Die entscheidende Frage: Welcher Ort passt zu meiner aktuellen Aufgabe und Stimmung? Jetzt gerade sitze ich in einem kleinen Büro, in einer Zelle. Hier denke und schreibe ich. Oder führe 1-zu-1-Gespräche. Dann gibt es andere Tage, an denen ich nur unterwegs bin, Termine wahrnehme und zwischendurch drei Stunden in einem Café am Laptop sitze. Durch Corona habe ich wie viele andere gelernt, so zu arbeiten, wie es mir passt. Was ich interessant finde: Ich merke momentan, wie sich das Intervall verändert. Es geht nicht mehr darum, dass man einen Tag zu Hause und den anderen im Office arbeitet. Der Arbeitsort wird stundenweise gewählt. Ich bin oft ein paar Stunden im Büro, dann bei einer Veranstaltung und dann noch mal im Homeoffice. Ich denke, dass sich diese Flexibilität, diese Freiheit vielerorts durchsetzen wird. Wenn auch mit Nebenwirkungen.

inperspective: Was meinen Sie damit?

Holger Volland: Dass der eigene Arbeitsplatz unpersönlich wird. Wenn wir an unterschiedlichen Plätzen tätig sein wollen, müssen wir persönliche Orte aufgeben. Ansonsten würde die situative Arbeit zu viel Raum verschlingen.

»Auch die emotionale Tiefe, die durch das Miteinander eines Zusammentreffens entsteht, kann ein Videocall ebenso wenig ermöglichen wie viele Kommunikationsebenen.«

inperspective: brand eins gilt als eine der innovativsten Medienmarken Deutschlands. Ein Magazin, das, wie es etwas abgedroschen heißt, am Zahn der Zeit nagt. Wie organisiert Ihre Redaktion die Zusammenarbeit?

Holger Volland: Ein Jahr vor Corona haben wir in Hamburg-Bahrenfeld ein neues Büro bezogen und flexibel eingerichtet. In diesem gibt es Zellen für die konzentrierte Arbeit. Dann Räume mit mehreren Schreibtischen. Vor allem setzen wir auf Freiflächen. Da stehen einzelne Möbel, die man zusammenschieben kann, wenn man möchte. Es gibt zum Beispiel eine Murmelkonferenzgruppe oder einen besonders langen Tisch, an dem viele Leute ihre Köpfe zusammenstecken können.

inperspective: Zahlreiche Führungskräfte bedauern, dass die Mitarbeitenden zu selten ins Büro kommen. Sie auch?

Holger Volland: Die meisten Kolleginnen und Kollegen wollen zwei, drei Tage im Büro arbeiten und die restliche Zeit bleiben sie zu Hause. Wir leben ein sehr offenes, hybrides Modell.

inperspective: Wann ist in der Redaktion etwas los?

Holger Volland: Wenn eine Produktion ansteht, ein Heft finalisiert wird, herrscht im Office mehr Gewusel. Einfach, weil dann weit mehr auf Zuruf geschehen kann. Ganz anders sieht es in der Sammlungsphase aus. Wenn eine Redaktion Artikelideen überprüft, durchdenkt, welche Autorinnen und Autoren sie für Themen anfragen könnte. Das ist sehr stille Arbeit. Diese gelingt den meisten von zu Hause besser.

inperspective: Hybride Arbeit ist en vogue, das Feedback vielerorts überschwänglich positiv. Wo sehen Sie Probleme?

Holger Volland: Wenn die Arbeitsform zu Brüchen führt, wir die Kanäle nicht ideal nutzen. Bei Meetings in großen Gruppen ist es die totale Crux, wenn ein Teil des Teams vor Ort ist, der andere jedoch überall digital verteilt sitzt. Die Teilnehmenden an den Laptops bekommen nicht alle Informationen einer Konferenz mit. Dazu stockt es oft, weil irgendwo ein Ton klemmt oder Rückmeldungen verzögert ankommen. Die Leute im Konferenzraum schauen zudem permanent auf die Leinwand mit den zugeschalteten Gesichtern. Das mindert den Austausch untereinander, von dem ein Meeting lebt.

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inperspective: Ein weiteres Problem von hybrider Arbeit ist die ausgefranste Loyalität zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden. Wer sich selten sieht, verliert unter Umständen die Bindung zueinander. Noch dazu ist Wissensarbeit – durch Remote-Modelle – kaum mehr an Standorte gebunden. Wer gehen will, kann vom kompletten Buffet des deutschen Arbeitsmarktes wählen.

Holger Volland: Unsere Mitarbeitenden sind sehr loyal, die Fluktuation extrem gering. Das liegt an der großen Liebe, die uns alle mit der Marke verbindet. Und das wiederum ist das Verdienst des Gründungsteams rund um Gabriele Fischer und Susanne Risch, die die Marke brand eins so grandios andersartig, selbstbewusst und unabhängig aufgebaut haben. Jede mögliche Veränderung wird bei uns intern mit Vehemenz zerpflückt, diskutiert und neu zusammengesetzt. Wir hinterfragen jedes Mal, wie sich ein Wandel auf die Marke auswirken könnte. Was macht es damit, wofür wir stehen? Bringt es uns weiter? Schädigt uns das? Trendy Benefits wie das tägliche Frühstück oder das Gym im Keller – beides gibt es bei uns nicht – sind da wenig ausschlaggebend. Die größte Bindung ist die Liebe zum Produkt.

inperspective: Viele Unternehmen feiern sich mit musealen Räumen. Eine Agentur stellt die Trophäen in eine opulente Vitrine, der Maschinenbauer präsentiert seine besonderen Komponenten im Glaskasten. Wie feiert sich die Marke brand eins im Büro?

Holger Volland: Bei uns ist es eine rein gedankliche Verbindung, die aber umso inniger gelebt wird. Sie ist kommunikativ präsent.

inperspective: Und das soll was heißen?

Holger Volland: Wir sind sehr diskussionsfreudig und in Teilen unhierarchisch. Deshalb denken wir gerne laut. Und daraus ergeben sich rasch gemeinsame Sichtweisen auf Dinge. Die konkreten Items, die Marke und Gemeinschaft feiern, brauchen wir nicht. Diese Stimmung wabert ohne diese Gegenstände durch jedes Meeting und jedes Gespräch.

inperspective: Gibt es trotzdem den einen besonderen Ort, eine Art räumliche Herzkammer des Office?

Holger Volland: Wir haben den »Freiraum«. Das ist ein großer und sehr schön gestalteter Konferenzraum, in dem ein paar wichtige brand eins Cover hängen. So was wie: »Kauf, du Arsch!«. Aber auch der Freiraum ergänzt eher die bereits vorhandene Atmosphäre.

Meetings mit allen Beteiligten vor Ort im Büro mindern technische Herausforderungen digitaler Teilnehmer:innen und fördern den gemeinsamen Austausch.

inperspective: Zu Beginn des Gespräches sprachen wir über Raum und Begegnung, und wie schwierig es ist, beides digital abzubilden. Wie denkbar ist es, dass Redaktionen bald ausschließlich digital kollaborieren, also keinen gemeinsamen Nenner in Form eines Büros benötigen?

Holger Volland: Das ist kein Zukunftsthema. Es gibt bereits redaktionelle Modelle, die sich komplett digital organisieren. Sogar erfolgreiche.

inperspective: Und brand eins?

Holger Volland: Wir fahren mit der hybriden Form sehr gut. Die digitale Verbindung ist da, sie ist wichtig. Aber wir brauchen für unsere Kultur die positive Reibung, die oft während oder überhaupt erst durch reale Begegnungen entsteht.

inperspective: Für Sie als Digital-Experte: Gibt es Bereiche der Kollaboration, die Sie stärker digitalisieren möchten?

Holger Volland: Ich würde die Frage umdrehen. Es gibt Themen, da würde ich gerne weniger digital werden.

inperspective: Und die wären?

Holger Volland: Wir müssen wieder mehr Anlässe untereinander schaffen, die zu Begegnungen führen. In den Teams gibt es diese mindestens einmal die Woche, und das ist gut. Aber alle Mitarbeitenden kommen nur zweimal im Jahr zusammen. Zum Sommerfest und zu Weihnachten. Ich möchte, dass das wieder monatlich passiert. Aber nicht mit einem Event, das krampfhaft herbeigezogen wird. So ein Frühstück, auf das niemand Bock hat, und nach dem alle wieder ins Homeoffice verschwinden. Es muss etwas Überraschendes sein, etwas Spannendes. Das ist etwas, was wir als Arbeitgeber durch Corona gelernt haben: Wir müssen Begegnungen für die Mitarbeitenden inszenieren.

»Die größte Bindung ist die Liebe zum Produkt.«

inperspective: Herr Volland, wie würden Sie in zehn Jahren am liebsten arbeiten?

Holger Volland: Die Flexibilität, die ich beschrieben habe, den Wechsel von Arbeitsort und Form, würde ich gerne auf das ganze Jahr und die gesamte Welt ausdehnen. Ich möchte mich eineinhalb Monate für ein Thema auf einer Berghütte einschließen können. Oder über ein paar Wochen in einer bestimmten Stadt sein. Zum Beispiel in Venedig, um zu lernen, wie die Einheimischen damit umgehen, dass sie an einem dem Untergang geweihten Ort leben. Ich möchte die Freizügigkeit des Arbeitsplatzes und die innere Verbindung zum Job noch besser verknüpfen.

inperspective: Zum Abschluss: In brand eins gibt es ein tolles Format, es heißt: »Was wäre, wenn«. Deshalb eine Frage zu einem Szenario: Was wäre, wenn die Menschen irgendwann nicht nur maximal flexibel ihre Arbeitsräume wechseln, sondern auch die Arbeitgeber. Und zwar täglich. Wenn man die berufliche Monogamie aufgibt und für zwei, drei Unternehmen in unterschiedlichen Rollen gleichzeitig tätig ist.

Holger Volland: Ich hatte in den vergangenen Jahrzehnten glücklicherweise nie das Gefühl, dass ich nur für eine Rolle da war. Ich arbeite immer auch für Holger Volland. Also für das, was mir etwas bedeutet. Das ist die befriedigendste Form der Arbeit. Grundsätzlich glaube ich, dass wir nicht nur bei den Orten und Räumen flexibler werden, sondern genauso in den Jobs. Dass wir konstant eine einzige Aufgabe langfristig ausüben, wird sich auflockern, die Arbeitsverhältnisse werden dynamischer werden. Ich fände es gut, wenn Jobs wieder mehr zu den Lebensphasen der Menschen passen. Mal brauchen wir Stabilität und Sicherheit. Und dann wieder eher Aufregung und Abenteuer. Das Leben ist Veränderung, und die Arbeit sollte genau das abbilden.