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Die Zukunft des Coworkings

Tobias Kremkau gilt als der deutsche Experte für das Thema Coworking.

Tobias Kremkau ist der deutschsprachige Experte für Coworking, in der Branche wird er sogar als Evangelist gefeiert, als Vordenker. Wie das Coworking die Corona-Pandemie überstanden hat, welche Spaces Zukunft haben und warum das Arbeitsmodell weitere Unternehmen infiltrieren kann – ein Gespräch.

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Vor zwei Jahren, als wir in unserem allerersten Beitrag mit WeWork über Coworking sprachen, waren die Zukunftsaussichten des Arbeitsmodells rosig. Neue Vernetzung, flexible Möglichkeiten, Arbeitswelten voller Impulse. Wie haben eineinhalb Jahre Corona-Pandemie die Akzeptanz und die Entwicklung vom Coworking beeinflusst?

Tobias Kremkau: Die Entwicklung der Coworking-Branche ist trotz der Corona-Pandemie positiv verlaufen, aber vielleicht nicht für WeWork. Aufgrund der bis Mai 2021 ausgesetzten Insolvenzantragspflicht lässt sich momentan noch nicht klar beurteilen, wie die Coworking-Branche durch die pandemische Krise gekommen ist.

Aus Erzählungen von Betreiber:innen weiß ich, dass sich besonders bei den großen Coworking-Spaces in den Großstädten hohe Mietschulden angehäuft haben. Durch den Wegbruch von Einnahmen aus Eventvermietungen waren viele der hochpreisigen Mietflächen ungenutzt, mussten aber weiterhin bezahlt werden.

Kleineren Coworking-Spaces geht es deshalb im Vergleich besser, vor allem außerhalb der großen Städte. Sie können sich über eine gesteigerte Nachfrage freuen, denn mobile Arbeit ist nun bekannter als vor der Corona-Pandemie. Offen ist allerdings, ob daraus auch langfristig mehr Umsatz entstehen wird.

inperspective: Es gibt Unternehmen, die von Corona wirtschaftlich profitieren, andere waren gezwungen, neue Strukturen zu schaffen und in die Zukunft zu investieren. In manchen Branchen durften sich Organisationen über wichtige Learnings freuen. Was hat das Coworking nach Corona im “Gepäck“?

Tobias: Noch haben die Coworking-Spaces nicht wirtschaftlich von Corona profitiert, aber die Perspektive ist wirklich gut, dass genau das passieren kann. Die wichtigste Lektion ist, dass ein auf Vernetzung aufbauendes Geschäftsmodell, bei dem Unternehmen auf einer gemieteten Fläche Einnahmen generieren müssen, in einer Pandemie nicht funktioniert.

Dass Umsätze wegbrechen, die Miete aber weiterhin fällig ist, ist die Achillesferse von Coworking-Spaces. Deshalb haben einige Anbieter neue Geschäftsfelder entwickelt, die sie von der Mietfläche unabhängiger machen. Das sind Beratungsdienste oder virtuelle Coworking- und Vernetzungsangebote.

Durch veränderte Arbeitsweisen ist auch ein stärkeres Interesse nach Räumen für Video-Calls, Online-Konferenzen und Podcast-Aufnahmen entstanden. Einige Coworking-Spaces haben ungenutzte Flächen dahingehend entwickelt oder haben das perspektivisch vor, um die neue Nachfrage nach Orten mit guter Akustik zu bedienen.

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inperspective: Es gibt zahlreiche Unternehmen, die Coworking-Space-Anbieter nutzen, um flexibel und schnell zu wachsen. Andere Firmen implementieren Workspaces in ihre Büroinfrastruktur. Welche Variante ist smarter?

Tobias: Beide Wege sind klug gewählt, wenn sie zur Kultur des jeweiligen Unternehmens und den strategischen Zielen passen. Dies ist keine Entweder-oder-Frage, beide Möglichkeiten können gleichzeitig in einer Organisation funktionieren. Wichtig ist, dass sie den gewählten Weg kulturell begleitet und mit Verstand umsetzt.

Die Nutzung von Coworking-Spaces erlaubt einem Unternehmen beispielsweise, sich für Projekte kurzfristig zu vergrößern, ohne langfristig mehr Flächen anmieten und einrichten zu müssen. Außerdem haben Angestellte so die Möglichkeit, die eigene Tätigkeit selbstbestimmter und mobiler zu planen.

Ein Workspace-Konzept im eigenen Büro trägt der Entwicklung Rechnung, dass Arbeit heute vernetzt und dezentral in Projekten organisiert wird. Es braucht deshalb weniger Einzelbüros, aber mehr Raumoptionen, in denen Menschen für kollaborative Aufgaben zusammenkommen können. Die fehlen oft noch.

inperspective: Der Weg ins Homeoffice zeigte auf, wie unterschiedlich die Bedürfnisse sind, die Mitarbeiter:innen an einem Arbeitsplatz haben. Manche profitierten von der neuen Freiheit, andere vermissten Struktur, Sicherheit, die Distanz zwischen Arbeit und Familie. Ist Coworking für jede:n geeignet?

Tobias: Nein, ein Coworking-Space als Arbeitsort ist nicht für alle Menschen gleich gut geeignet. Dies liegt zum einen an der sehr individuellen Wahrnehmung von Räumen, also wie sie auf uns wirken und uns beeinflussen. Aber auch an den unterschiedlichen Aufgaben, die wir im Rahmen unseres Arbeitsalltages zu erledigen haben.

Das Konzept Büro ist deshalb eine schizophrene Idee, denn verschiedene Menschen mit unterschiedlichen Aufgaben sollen im selben Raum gleich gut arbeiten können. Das kann nicht klappen. Den Menschen muss die Handlungsfreiheit übertragen werden, selber zu entscheiden, wann sie von wo welcher Aufgabe nachgehen.

Einige Mitarbeitende können sehr gut im Homeoffice wirken. Anderen ist es aber nicht möglich, sich neben den unerledigten Aufgaben im Haushalt auf die eigene Arbeit zu fokussieren. Andere fühlen sich hier isoliert. Das Büro kann Struktur bieten, aber auch einschränkend wirken. Es braucht einen Mix an Lösungen.

inperspective: Ist New Work in Coworking-Spaces leichter lebbar als in herkömmlichen Büros?

Tobias: Ja, ich bin davon überzeugt, dass "Neue Arbeit" in einem Coworking-Space besser erlebt werden kann. Herkömmliche Büros sind funktional gedacht und nicht auf das Machen von Erlebnissen ausgerichtet. Außerdem ist eine Belegschaft oft sehr homogen und bietet weniger Möglichkeiten für neue Impulse.

inperspective: Eine große Wende, die sich abzeichnet: Mitarbeiter:innen werden in Zukunft häufiger aus der Distanz für Unternehmen arbeiten. Es gibt Beispiele von Ausgewanderten, die in Skandinavien leben, aber täglich für deutsche Firmen tätig sind. Aus dem Homeoffice. Aus dem Coworking-Space. Wie gut sind diese Räume bereits auf die Remote-Arbeit vorbereitet?

Tobias: Coworking-Spaces sind Orte, die ein professionelles Umfeld für zeit- und ortsunabhängige Arbeit bieten. Sie sind also bereits bestens für Remote-Arbeit geeignet. Sie müssen sich eher darauf einrichten, dass in Zukunft vermehrt auch Teams aus einem Unternehmen von dort aus arbeiten möchten.

Homeoffice sollte stets in einem Raum stattfinden, der nur dieser einen Nutzung verschrieben ist. Die meisten Wohnungen bieten diesen Luxus heutzutage nicht an. Dann muss von zu Hause aus arbeiten auch mit der familiären Situation und der Unternehmenskultur im Einklang sein.

Ob das Zuhause ein geeigneter Platz für Remote-Arbeit ist, lässt sich nicht klar beantworten. Es ist möglich, dass das Homeoffice ein sehr guter Ort für zeit- und ortsunabhängige Arbeit ist, das hängt aber von verschiedenen Faktoren ab. Unter anderem von der individuellen Wahrnehmung der Räume.

inperspective: Längst übernehmen manche Unternehmen viele Vorzüge von Coworking-Spaces: Tischtennisplatten, Café-Lounges, Sofaecken. Was können Büroplaner:innen nicht so einfach kopieren?

Tobias: Das Miteinander in einem Coworking-Space, das erst durch empathische Gastgeber:innen geschaffen wird, ist nicht kopierbar. Und wenn die Sofaecke nicht die alte des CEO ist und der CFO kein begeisterter Tischtennisspieler, dann fehlt es an Authentizität, die nicht leicht nachahmbar ist.

Wenn Unternehmen Tischkicker, Europaletten und Graffitis empfohlen bekommen, sollten sie die Büroplaner:innen schnellstens wechseln. Wer neue Orte der Arbeit nur als Klischees interpretiert, hat den tieferen Sinn nicht verstanden, warum man noch in einem Büro zusammen kommen sollte.

Coworking-Spaces zeichnen sich häufig dadurch aus, dass einzelne Räume keine feste Funktion haben, sondern sie auf zwei oder drei Arten genutzt werden können. Diese Flexibilität müssen Betreiber:innen oft aus wirtschaftlichen Gründen zeigen. Sie wirkt aber auf die Nutzer:innen der Räume auch inspirierend.

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inperspective: Was wiegt schwerer: Die finanziellen Vorteile des Coworkings, weil Büroräume flexibler gebucht und gekündigt werden können? Oder die kulturellen Vorzüge, die durch Austausch, Vernetzung und Einflüsse von außen entstehen?

Tobias: Aus meiner Sicht ganz klar die kulturellen Vorzüge. Es ist aber sehr wichtig, dass das Unternehmen von seiner eigenen Kultur her darauf eingestellt ist. In einer Firma, in der man nur durch Anwesenheit Karriere machen kann, wird niemand mobil arbeiten wollen, auch wenn das viele Vorteile haben kann.

Es nützt keinem Unternehmen, weniger Miete zahlen zu müssen, wenn die Angestellten unglücklich sind. Einige werden dann kündigen, aber noch viel schlimmer ist, dass andere Unzufriedene trotzdem bleiben. Das schadet den Unternehmen am meisten.

Räume prägen unser Verhalten. Passt unser Verhalten nicht zu einem Raum, gibt es Konflikte. Man muss also wissen, warum und wie man arbeiten möchte und dann dazu den passenden Platz suchen. Dies kann das Büro sein, wie wir es kennen, aber eben auch neue Orte der Arbeit wie Coworking-Spaces.

inperspective: Wie arbeiten wir in zehn Jahren in Coworking-Umgebungen zusammen?

Tobias: So ähnlich wie heute. Zumindest einige von uns. Veränderungen brauchen länger, bevor sie sich durchgesetzt haben. Da ist ein Jahrzehnt keine ausreichende Zeit für einen Wandel. Die Ablösung der Schreibmaschine in den Büros dauerte beispielsweise ungefähr 70 Jahre.

Meine Hoffnung ist, dass wir Menschen die Orte, an denen wir arbeiten, genauer verstehen und dadurch bewusster aufsuchen. Welche Aufgabe lässt sich wann am besten wo erledigen? Diese Frage sollten wir uns schon heute bei der Organisation unserer Arbeit stellen. Wir würden dadurch unseren Arbeitsalltag selbstbestimmter gestalten.

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