Zwei Jahre lang schürfte inperspective nach neuen Insights. Wir sprachen mit internationalen Expert:innen über Arbeit, Bürodesigns, Düfte und soziale Teilhabe, spähten weltweit nach neuen Impulsen. Welche Learnings in den nächsten Jahren wichtig bleiben und der Kompass in die Zukunft sein können – ein Essay.
von Hannes Hilbrecht
Neulich bin ich spazieren gegangen. Einmal durchs Dorf und dann in den Wald. Vorbei an beige folierten Silagen und wilden Birnenbäumen hin zu einem kleinen Tümpel, der sich an ein walachaigroßes gelbes Meer schmiegt. Wie herrlich der Raps dort stinkt.
Manche Menschen bekommen schon beim Anblick eines Rapsfelds Kopfschmerzen. Andere kurbeln das Fenster runter und nehmen eine tiefe Nase. An der Ölsaat scheiden sich die Geruchsnerven.
Wenn ich Raps rieche, denke ich zurück an meine Kindheit. An einen Familienspaziergang. Opa, Oma, die Cousinen, der wirre Onkel. Damals hat Großmutter gesagt, wer sich glücklos im Raps verirrt, stirbt. Dass der Geruch uns Menschen betäuben kann. Die Rapsgänger für immer einschlafen. Fast 20 Jahre habe ich diesen Schmarrn geglaubt. Keine Sorge: Im Raps stirbt niemand. Zumindest nicht am Raps.
Das Kreuzblütengewächs ist zu etwas ganz anderem fähig als zu fiesen Morchelmorden. Raps kann mit seinen prägnanten Düften Erinnerungen wecken. Er angelt Emotionen aus den Tiefen des Unterbewusstseins. Treue inperspective-Leser:innen wissen das. Sie haben das Interview mit Johannes Frasnelli gelesen. Mit dem renommierten Geruchsforscher der Universität de Montreal sprachen wir über die Kraft der Gerüche im Büro. Nur einer von vielen Blickwinkeln auf unsere Arbeitswelt. Schauen wir zurück auf fünf famose Expert:innen – und ihren ganz eigenen Blick aufs Office.
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Johannes Frasnelli: Ein Näschen für Büros haben
In Japan arbeiten sie in Räumen mit Minzduft. Die Aromen sollen produktiver machen, die Mitarbeitenden zu besseren Leistungen animieren. Kein Scherz. Das wird teilweise schon so praktiziert. Takeshi's Duft Castle.
Wir neigen dazu, unseren Geruchssinn zu unterschätzen. Dabei ist die Nase unsere wichtigste Antenne. Die meisten Reize nehmen wir riechend war. Und weil die Riechnerven direkt mit dem limbischen System verbunden sind, dem Hirnareal, mit dem wir Emotionen fühlen und Erinnerungen abrufen, sind Gerüche so mächtig. Jede:r wird es erlebt haben:
Urplötzlich platzt einem die erste Liebe in den Sinn. Oder der Appetit auf Kartoffelplinsen mit Apfelmus. Oder die Sehnsucht nach einem Spaziergang mit Oma. Sehr wahrscheinlich haben wir irgendetwas in unserem Umfeld gerochen, das uns an einen Moment oder einen Menschen erinnert. Wie gesagt: Gerüche sind mächtig. Sie bergen auch Risiken, wie Johannes Frasnelli erklärt:
"Der Geruch gehört wie die Akustik zur Signatur eines Raumes. Er bestimmt das Raumklima mit und damit unser Empfinden. Und wie bei der Akustik oder der Beleuchtung nehmen wir manches nur wahr, wenn es als unangemessen und störend erscheint. Also ein akustischer Eindruck beispielsweise nicht zum visuellen Ort passt. Ich kann Unternehmen nur davon abraten, Gerüche gezielt überdosiert einzusetzen und die Duftkulisse zu manipulieren. Irgendjemand wird sich am eingesetzten Aroma massiv stören und sich bemerkbar machen. Wer zu stark experimentiert, wagt sich auf ein Minenfeld."
Wolf Lotter: Raus aus der Blase
Das Homeoffice ist eine gute Sache. Kein Berufsverkehr. Mehr Zeit für den ersten Cappuccino. Flexibel da sein für die Familie.
Das Homeoffice hat viele Vorteile, kann aber auch Nebenwirkungen entfalten. Seelische Ermüdung, familiäre Turbulenzen, weil zu viel Nähe zu Distanz führen und entzweien kann. Sogar die Gefahr für psychische Erkrankungen steigt durch die Heimarbeit. Homeoffice bedeutet für die einen Freiheit und Ruhe. Für andere Isolation.
Abschottung ist für Wolf Lotter ohnehin ein Problem. Der Mitgründer und Essayist des Wirtschaftsmagazins “brand eins” plädiert seit Ewigkeiten für mehr Austausch über die Bubbles hinweg, für mehr Disruption und Innovation, für mehr Kontroverse und Pluralität. Das Homeoffice gilt nicht gerade als Triebfeder für blasendurchdringende Kommunikation. Umso wichtiger: Begegnungen im Büro oder auf Konferenzen. Lotter formuliert:
"Es wird hoffentlich rausgehen aus der Bubble. Das heißt: raus aus den klassischen Organisationen, wie wir sie kennen. Ich habe ein gutes Beispiel: Siezen oder Duzen, das ist momentan ein Thema in meinem Umfeld. Social-Media-Beauftragte sagen, dass wir duzen sollen, das würde den meisten Menschen gefallen, das wäre gut, dafür gäbe es Studien. Wenn ich nach diesen Belegen frage, dann kommt nichts mehr, wahrscheinlich, weil sie nicht existieren. Der Wille zum Du ist vermutlich aus internen Rückfragen entstanden, der eine sagt zum anderen, dass das passt. So funktioniert es in Unternehmen: Man bestätigt sich ständig selbst zurück. Das System rückkoppelt nur innerhalb des Systems. Das ist Eifer zur Dummheit. Deshalb haben wir so wenig Innovation, so wenig Realitätssinn, deshalb gibt es so viele Identitäten. Weil wir uns abschotten, denken wir, dass die Welt überall so funktioniert wie in unserer Blase. Das ist aber nicht zielführend, das macht uns nicht klüger, nicht besser. Einflüsse von außen sind wahnsinnig wichtig. Auch in den Büros."
Annette Hoerauf: Denn sie wissen nicht, was sie tun
Steve Jobs war vielleicht der berühmteste Asket der Neuzeit. Sneaker, Rollkragenpulli, einfache Jeans, dazu bereits vor der tödlichen Krebserkrankung eher spindeldürr gebaut. Hager trotz Milliarden auf dem Sparbuch.
Askese bedeutet freiwilligen Verzicht, meist aus religiösen oder esoterischen Motiven. In Mode ist zurzeit das vermeintliche “Auslassen”. Minimalismus. Ein Lebensstil, den man sich leisten können muss, wie schlaue Journalist:innen häufiger schrieben.
Dabei ist Minimalismus grundsätzlich eine feine Sache. Weniger Müll. Weniger verschwendete Ressourcen. Weniger Staubwischen. Zufrieden und glücklich sein mit einer Handvoll Dinge. Damit geht die Bibel konform und der große Lebowski.
Auch im Büro ist Minimalismus ein beliebter Trend. Tisch, Stuhl, Sideboard, das genügt, meinen manche. Einige Chef:innen wollen besonders minimalistisch sein. Weniger aus Geiz, sondern weil sie ein sparsames Vorbild sein wollen. Und sowieso: Die Führung sitzt in einem bescheideneren Büro als ihre Mitarbeitenden? Marx kullert beim Backgammon mit Engels gerade eine Träne über die Wange.
Das Problem: Protz ist definitiv blöd. Das gilt genauso für zu viel Verzicht. Denn wählen Entscheider:innen das asketische Office, wabert womöglich ein mieser Gerüchtemief durchs Büro, wie Raumpsychologin Annette Hoerauf erläutert:
"Chef:innen können sich mit ihrer Einrichtung diskreditieren, womöglich sogar blamieren. Das perfekte Beispiel erlebte ich vor einigen Jahren. Ich ging in einen Raum und wurde von visuellen Eindrücken beinahe erschlagen.
Im Büro wimmelte es von Designmöbeln. Es quoll fast über. Lampen, Tisch, Sessel, alles ein wildes Potpourri. Ein bisschen Karneval der Furniture. Alle Möbel, die sich der Unternehmer jemals gewünscht hatte, standen in diesem Raum. Er war der festen Überzeugung, dass dieses Büro seinen famosen Geschmack unterstreichen würde. Leider vermittelte er eine ganz andere Botschaft: Distanz. Die übrigen Büros waren normal eingerichtet, schön, klassisch. Aber das Besondere war einzig dem Chef vorbehalten. Dieses Büro sprach von oben herab mit seinen Gästen. Und es war komplett unpersönlich, weil es allein aus optischen Oberflächlichkeiten bestand."
Führungskräfte können jedoch auch zu bescheiden wirken. Manche Unternehmer betonen in jeder Umbauphase, dass sie ihre eigenen Möbel behalten wollen. Aus Gewohnheit, manchmal um zu sparen. Das kann Mitarbeitende verunsichern. Die Freude über das neu eingerichtete Büro und die empfundene Wertschätzung sind schnell dahin."
Stefanie Peters: Die neuen, die kommen oder schon da sind
Dieser Kerl ist ein echter Babo, ein echter Boss, jemand, den Menschen mittleren Alters in ihrer Jugend als “feschen Typ” bezeichnet hätten. Ich schreibe vom 18-jährigen Knirps, pardon, vom tighten Typen, der beim EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn vor Anpfiff mit einer Regenbogenfahne aufs Feld flitzte und sich demonstrativ vor der ungarischen Mannschaft aufbaute. Nimm das, Orban.
Dauerte nicht lange, schon war die Security aufgekreuzt und komplimentierte den Regenbogen-Rambo mit Wuschelkopf aus der Manege. Genialer Typ, der Babo aus der Allianz-Arena.
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Die Generation Z mag sprachlich einen verbummelt haben und als weich verschrien sein. Sie ist aber taffer als es uns das ProSieben-Nachmittagsprogramm vermuten lässt. Die Z's haben einen Plan. Sie haben Werte. Und sie sind bereit, sich für diese krumm zu machen. Cool. Oder? Die Wirtschaftsberaterin und Mutter Stefanie Peters erklärte bei inperspective diese wagemutigen Z's – und was diese von künftigen Arbeitgeber:innen und deren Büroräumen erwarten.
"Unternehmen sollten verstehen, dass ein modernes Büro Wertschätzung ausdrückt. Wenn sie wollen, dass ihre Mitarbeiter:innen alles geben, müssen sie die Umgebung dafür schaffen. Und Wertschätzung ist der kommenden Generation sehr wichtig. Sie sind darauf noch mehr angewiesen, als wir es früher waren. Unternehmen, die noch in einem 80er-Jahre Büro arbeiten, mit kleinen Küchennischen und schlechtem Filterkaffee, sollten sich dringend in modernen Arbeitsumgebungen umschauen. Wenn sich sogar 40- bis 50-Jährige darüber beschweren, dass ein Arbeitsplatz nicht kommunikativ genug und viel zu eng ist, dann wird das die 20-Jährigen erst recht abschrecken."
Georg Wiesinger: Funktion First
Ein Rasenmäher mag laut sein. Ein Airbus erst recht. Und der tonnenschwere Meteorit, den es über der russischen Stadt Chelyabinsk mit einer Sprengkraft von über 30 Atombomben zerriss, war auch nicht gerade leise.
Aber das ist alles Pipifax gegen telefonierende Kolleg:innen im Office, die mit Ehepartner:innen lautstark den nächsten Gardasee-Urlaub planen. Oder den gehörgeschwächten Großeltern die Mittwochslottozahlen aus dem Internet vorlesen.
Großraumbürogelaber in schlecht gedämpften Räumen ist der Stressfaktor Nummer 1 in deutschen Büros. Da helfen nur Xanax-Pillen oder gute Akustikelemente. Georg Wiesinger, Raumakustiker und Produktentwickler, weiß, worauf es bei diesen Lärmschluckern ankommt.
"‘Ein gutes Element’. Jetzt kommen wir zu den philosophischen Fragen des Produktdesigns. Als Produktdesigner gilt bei mir stets der Grundsatz: „form follows function“ – die Form folgt der Funktion. Das Produkt sollte daher zuerst in der Funktion möglichst optimal wirken. Dann sollte es möglichst unauffällig sein oder ein gutes Design besitzen, und wirtschaftlich gegenüber Mitbewerberprodukten konkurrenzfähig sein. Eine Akustiklösung muss für Kunden bezahlbar sein."
Update: Ab September wird inperspective zu inperspective SNACKS. Einem wöchentlichen journalistischen Newsletter mit kompakten Interviews, den wichtigsten Zahlen, Mind Blows und kuratierten Nachrichten aus der Welt der Büros. Mit inperspective SNACKS erhalten Architekt:innen, Büroplaner:innen und Führungskräfte das umfassendste und prägnanteste Weekly der Branche. Alles, was du wissen musst – gelesen in 5 Minuten.