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Das Office und die Schokoladenfabrik

Vom Fußboden bis zur Decke – das Office der Sauspiel GmbH ist eine runde Sache.

Ein Berliner Architekturbüro verzauberte eine alte Schokoladenfabrik in ein schniekes Office. Das gefällt nicht nicht nur den Mitarbeitern, sondern auch Skatbrüder und -schwestern profitieren europaweit davon. Das Sauspiel-Office ist ein außergewöhnlicher Standort für eine ungewöhnliche Unternehmung. 

von Hannes Hilbrecht

Einmal wieder entspannt Kartenkloppen in einer mit Rauch verhangenen Spelunke. Natürlich mit Bier und Schnaps, mit guten Freunden. Und wenn es richtig sahnig läuft: Ein Grand ouvert auf den Tisch rotzen, das Siegerglück mit einem großen Schluck Bier runterspülen und galant den Schaum aus den Lippenfalten wischen. Schön wäre es. Aber schön ist es gerade nicht. Die Welt steckt eingezwängt im Schraubstock einer Pandemie. Die Kneipe ist vieles, aber gewiss kein beliebter Standort. Vor allem nicht während des zweiten Lockdowns.

1. Die beteiligten Unternehmen

Dass das Kartenspielen mit Freunden aus unterschiedlichen Haushalten dennoch möglich ist, standortunabhängig sozusagen, liegt an einer besonderen Digitalisierungsgeschichte. Ein paar bayrische Studenten digitalisierten aufgrund des andauernden Mangels an Mitspielern in Berlin die beliebten deutschen Kulturgüter Skat und Schafkopf – gründeten dafür im Jahr 2007 die Sauspiel GmbH. Ob mit Freunden oder Fremden, ob auf der Bürotoilette oder auf einem Frotteetuch an der Copacabana – das Zusammenspiel funktioniert via App und mit Abstand. Und das Beste: Die Macher hinter den Sauspiel-Angeboten arbeiten in einem schicken Büro. Kreiert wurde dieses von einem Architekturbüro mit imposantem Namen: Das Institut Für Unbeschreibliche* Baukunst.

*(unkonventionell, unerwartet, unglaublich, unfassbar, urige, umwerfende)

2. Der Standort

Früher war es auf dem Dorf üblich, dass die Teilnehmer einer Skatrunde um einen Schinken spielten, es um die Wurst ging oder um anderlei Fleisch. Passenderweise befindet sich das Sauspiel-Office in der "Schinkestraße" im Berliner Stadtteil Neukölln. Zufall oder Absicht?

Besonders am Neuköllner Standort: Es ist kein typisches Start-up-Gebiet wie beispielsweise Berlin-Mitte, wo sich zur Mittagszeit Techies die Mägen mit schwäbischen Maultaschen oder asiatischer Highend-Cuisine vollschlagen; E-Roller-Bucaneros Opas und Omas vom Bürgersteig drängeln. Es ist gutbürgerlich, familiär, ein bisschen ruhiger. Durch die nähe zum Kottbusser Damm sind U-Bahn und Lunchspots trotzdem fußläufig erreichbar. Summa summarum: kein hypermodernes Hochhaus, keine absolut megazentrale Top-Lage – aber dafür etwas günstiger. Und trotzdem entstand durch die kluge Standortwahl ein gleichermaßen szenisches wie mitarbeiterfreundliches Habitat für ein erfolgreiches Unternehmen.

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Der Kiez der Schokoladenfabrik liegt im bewohnten Umfeld und abseits klassischer Bürotürme.

3. Das Gebäude

In der Schinkestraße 9 wurde zwischen 1926 und 1973 tatsächlich Schokolade produziert. Später lebten in dem etwa 150 Jahre alten Gebäude Wohngemeinschaften. Durch das Theater Klecks und den ersten türkischen Kulturverein erlangte der kompakte Stadtblock kleine Berühmtheit. Mittlerweile sind in der alten Schokoladenfabrik Büroräume entstanden.

4. Ziele und Herausforderungen

Offene Arbeitsstrukturen schaffen und die flache Hierarchie bewahren – gleichzeitig galt es viel Stauraum zu kreieren. Zusätzlich mussten die Architekten größere Einbauten wie sanitäre Anlagen und eine Teeküche in den Altbau integrieren. Ebenso komplex: Die Planer sollten Arbeitsplätze im offenen Büro an die technische Infrastruktur anschließen. Bei diesen Großprojekten galt es den Bestand und somit den Charme der Immobilie zu wahren. Wie diese Aufgaben gemeistert wurden? Das IFUB erklärt in einem Beitrag auf der Plattform Archello:

"Die Lösung lag in der großzügigen Freilegung der Substanz, kombiniert mit dem Einstellen von raumbildenden Möbeln und Einbauten. Die integrieren sich dezent, definieren den Raum und vereinigen sich spielerisch mit der vorhandenen Architektur."

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5. Konzept & Design

In der lesenswerten Projektanalyse heißt es weiter:

"Allen Überlegungen lag der Wunsch zugrunde, den Bestand in seiner Ursprungsform zu sichern und zu zeigen. Dem einfachen Leitsatz folgend – alles, was man nicht entfernt, muss man auch nicht neu herstellen – wurden die Eingriffe auf ein Minimum reduziert. Der Rückbau von nachträglichen Einbauten formt damit die Basis des Konzepts. Die Raumstrukturen organisieren wir lediglich durch raumhohe Möbel. Die Gestaltung orientiert sich dabei immer am Bestand. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen Alt und Neu, in dem sich das Neue mit Blick von außen klar einfügt und unterordnet."

Im Design wirkten folgende Stilmittel:

  1. Die aus Backstein gemauerte preussische Kappendecke bildet im Farb- und Materialkonzept den Gegenpol zum beinahe gleichfarbigen Ziegelboden.
  2. Alle senkrechten, raumschließenden Flächen wurden weiß gestrichen. Das soll für räumliche Klarheit sorgen.
  3. Alle Elemente im Inneren der Räume (Stützen, Träger, Tische und Trennwände) setzten die Architekten mit schwarzgrauen Tönen ab.
  4. Da im Vorraum und im oberen Bereich keine originalen Bodenbeläge vorhanden waren, planten die Gestalter Zementfliesen im Schachbrettmuster und Kiefernholzdielen passend zum Bestand ein.

6. Das Fazit

Die Arbeit vom Institut Für Unbeschreibliche* Baukunst hält das, was der trompetende Name verspricht: Das Sauspiel-Office ist aufgrund der Nutzung von vorhandenen Materialien ein Musterbeispiel für Nachhaltigkeit. Dadurch, dass etwas Altehrwürdiges in die Moderne übersetzt wurde, entstand eine Standortumwandlung mit Charme und Bewusstsein für das Vergangene. Das Einzige, was womöglich fehlt: der Duft von warmer Schokolade.

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