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Blind im Büro

Die Welt ohne Farbe – was sich die meisten kaum vorstellen können, ist für über 100.000 Betroffene in Deutschland Realität.

Bianka und Ninja sind Büroarbeiterinnen. Die Frauen sehen mit ihren Ohren und Händen. Nicht mit den Augen. Sie sind blind. Wie nehmen sie ihren Arbeitsplatz wahr, was ist ihnen wichtig? inperspective hat nachgefragt.

von Anna Baldig

Das Telefon ringt, Kollegen unterhalten sich über Tische und Monitore hinweg, Tastaturen klackern beim Tippen. Alles wie in einem gewöhnlichen Büro. Nur technische Zusatzgeräte wie eine Braillezeile oder einen Etikettendrucker haben Bianka und Ninja an ihrem Arbeitsplatz. Die beiden sind blind. Ihre Umgebung nehmen sie vor allem akustisch und haptisch wahr. Sie erzählen, welche Hürden für sie am Arbeitsplatz lauern, und wo die Barrieren und Vorurteile nur in den Köpfen “sehender Menschen” existieren.

Bianka Graeming, 44, Ludwigsfelde

Seit fast 21 Jahren arbeite ich im Büro im Bereich Arbeitsschutz. Ich bin vollblind, nehme kein Licht mehr wahr. Dass ich "Schwarz sehe", sage ich nur zum Scherz. Ich kann nicht beschreiben, was ich sehe. Da ist einfach nichts. 

Mein Büro teile ich mir mit drei anderen Kollegen. Es ist ein langer, rechteckiger Raum. Wir haben alle Eckschreibtische. Links von mir befinden sich Fenster. Scheint die Sonne, spüre ich die Wärme der Strahlen. Dass ich die Nähe zum Fenster liebe, hat nichts mit meiner Blindheit zu tun, sondern erscheint mir menschlich.

Rechts von meinem Schreibtisch befindet sich die Bürotür. Sie ist nur wenige Schritte entfernt. Ich habe also einen kurzen, geraden Weg zum Ausgang. Das ist schön, wäre aber nicht notwendig. Gehe ich Wege öfter, präge ich sie mir ein – und Tische und Stühle laufen nicht weg. Auf die Beschaffenheit von Oberflächen oder die Form von Möbeln haben Mitarbeiter kaum Einfluss, wenn sie bei einem Arbeitgeber anfangen. Ich mag abgerundete Tischkanten, so wie andere Menschen Cortbezüge auf dem Sofa schätzen oder Schiefer- statt Porzellanteller bevorzugen. Es ist eine persönliche Vorliebe.

Ich arbeite mit drei netten Kollegen zusammen. Durch Absprachen verringern wir das Unfallrisiko. Häufiger sind es selbst gestellte „Fallen“, auf die mich meine Kollegen hinweisen. Zum Beispiel die noch immer offene Schreibtischschublade, die ich vergesse, zu schließen, weil ich nach dem Herausnehmen von irgendeiner Sache abgelenkt wurde.

Gegenseitige Rücksichtsnahme ist wichtig. Egal, ob behindert oder nicht behindert. Im Büro kann es laut werden. Alle telefonieren oder reden durcheinander. Für mich ist das Krach – wie für jeden anderen auch. Das passiert in einem Büro nun mal. Ich nehme es hin oder gehe raus, mache eine Pause. Ich passe mich an. Genau das machen meine Kollegen auch. Sie lassen ihre Stühle nicht achtlos im Raum stehen, schließen die Schränke. Und sie helfen bei Problemen, die immer wieder auftreten. Beim handschriftlichen Ausfüllen von Formularen, dem Beschriften von Hauspostumschlägen oder bei der "Verschönerung" von Exceltabellen. Im Gegenzug bin ich beispielsweise als das "wandelnde Telefonbuch" bekannt. Das erspart den Kollegen die Telefonnummernsuche.

Im Büro ist es wie überall in der Gesellschaft: Es ist ein Geben und Nehmen, egal, ob man behindert ist, oder nicht. Nur gemeinsam sind wir stark!

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Ninja Junge, 33, Hamburg

Ich arbeite teilweise im Büro, um Daten aus Interviews zu bearbeiten und zu übermitteln. Für die Befragungen in Wohngruppen und Werkstätten bin ich manchmal eine ganze Woche lang in Hamburg unterwegs. In den Einrichtungen spreche ich mit Menschen mit Behinderungen. Ich selbst bin vollblind. Bis vor Kurzem konnte ich Umrisse erkennen, den Schatten einer einfahrenden Bahn zum Beispiel. Jetzt geht das kaum noch. Im Büro kann ich nur schwer einschätzen, ob das Licht an oder aus ist. 

Ich sitze mit zwei anderen Kollegen in einem Raum, die ebenfalls eine Behinderung haben. Mein Tisch befindet sich etwas abgeschirmt in einer Ecke des Büros. Das hat Vor- und Nachteile. Oft habe ich Kopfhörer auf, weil ich mir meine Skripte mithilfe einer Sprachausgabe vorlesen lasse. Ohne diese Möglichkeit könnte ich meine Arbeiten nicht erledigen. Mit den Helfern auf den Ohren bekomme ich um mich herum kaum noch etwas mit. Ich kann so zwar fokussierter arbeiten, merke manchmal aber nicht, wenn ich angesprochen werde. Ein ähnliches Problem wird durch unseren Bodenbelag verursacht. Im Büro ist Teppich verlegt. Das mag ich sehr, das macht es gemütlich. Doch der weiche Teppichboden schluckt Schritte. Ich höre meine Kollegen nicht kommen. Erst wenn sie mich ansprechen, nehme ich sie wahr. Ich weiß nicht, wie lange sie schon neben mir standen. Das ist ein komisches Gefühl. 

Bei unserer technischen Ausstattung gibt es Besonderheiten. Vor meinem Rechner befindet sich eine sogenannte Braillezeile. Damit kann ich die Schrift, die auf dem Bildschirm steht, in Blindenschrift lesen. Zeile für Zeile taste ich mich vor. Außerdem habe ich einen Etikettendrucker. Damit kann ich Aufkleber drucken, die ich an Schubladen und Schränke hefte. Ich markiere mir so meine Möbel und weiß immer, was sich in welchem Schrank befindet. Das sind Hilfsmittel, die meinen Büroalltag erleichtern. Wenn alles so barrierefrei wäre, würde ich mich noch wohler am Arbeitsplatz führen. Das ist leider noch nicht so.