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Büroplanung mit Hirn: Welche drei Spezialräume jedes Büro braucht

Dr. Barbara Studer, Neurowissenschaftlerin und CEO von Hirncoach.

Bestimmte räumliche Reize fördern Produktivität, Konzentration und Kreativität im Gehirn. Welche das sind und wie Architekt:innen diese bei der Planung von Büros nutzen können? Ein Gespräch mit der Neurowissenschaftlerin und Hirncoach-Gründerin Dr. Barbara Studer.

von Elena Stenczl

inperspective: Frau Studer, als Hirncoach verhelfen Sie Ihren Kund:innen zu einem besseren Gedächtnis. Wann haben Sie zuletzt etwas vergessen?

Barbara Studer: Heute Morgen! Mir ist erst später wieder eingefallen, dass ich eine Nachricht verschicken wollte. Vergessen gehört zum Leben dazu. Das Gehirn selektiert und schützt uns dadurch vor Informationsüberflutung. Es ist sein Job, dass wir hin und wieder Dinge vergessen.

inperspective: Ein reizvolles Umfeld kann sich positiv auf das Gehirn auswirken. Welche Hirnareale lassen sich besonders leicht stimulieren?

Barbara Studer: Unsere Umgebung beeinflusst insbesondere den frontalen Bereich des Gehirns, den sogenannten Stirnlappen. Wir brauchen ihn, wenn wir uns konzentrieren müssen. Er reagiert sensibel auf Störungen, aber auch auf konzentrationsfördernde Reize. Außerdem wirkt sich das Umfeld auf das limbische System aus. Dies liegt im Inneren des Hirns und ist unter anderem zuständig für die Verarbeitung von Emotionen.

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inperspective: Welches Hirnareal ist im Arbeitsalltag besonders wichtig?

Barbara Studer: Das kommt natürlich ganz auf die Art der Tätigkeit und die Anforderungen an. Der Frontallappen ist wichtig für komplexe kognitive Aufgaben wie Planung, Entscheidungsfindung und Arbeitsgedächtnis. Der Parietallappen ist aktiv, wenn wir visuelle Infos verarbeiten. Den Temporallappen brauchen wir beim Lesen und Verfassen von Texten. Und das limbische System für Prozesse emotionaler und motivationaler Art sowie für das Speichern neuer Infos.

inperspective: Auf Ihrer Website sagen Sie: »Hirnfitness« passiert im Alltag – nicht am Schreibtisch. Der Großteil der Menschen verbringt die meiste Zeit seines Arbeitstages jedoch genau dort. Wird das Gehirn auf Arbeit faul?

Barbara Studer: Das Gehirn nicht, aber der Körper. Es gibt Studien, die belegen, dass stundenlanges Sitzen in stickiger Atmosphäre die Produktivität und somit die Hirnaktivität schmälert. Das Beste, was wir für unser Hirn tun können: Bewegung an der frischen Luft.

inperspective: Wieso unbedingt dort?

Barbara Studer: Unser Gehirn benötigt enorm viel Sauerstoff. Es verbraucht 20 Prozent des gesamten Sauerstoffs im Körper. Dabei beträgt dessen Anteil an der Körpermasse gerade einmal zwei Prozent. Regelmäßiges Lüften hilft unserem Gehirn. Ebenso Stehtische, an denen Mitarbeitende eher in Bewegung bleiben. Besser ist es jedoch, sich regelmäßig, am besten nach jeder Stunde, kurz an der frischen Luft die Beine zu vertreten.

Das Beste, was wir für unser Hirn tun können: Bewegung an der frischen Luft.

inperspective: Weiße Wände, Leuchtstoffröhren, ausgedientes Mobiliar. Viele Büros sind vom Typ noch immer »Grau in Grau«. Welche Folgen hat eine reizarme Arbeitsumgebung langfristig auf Mitarbeitende?

Barbara Studer: Eine anregende Arbeitsatmosphäre sorgt für positive Stimmung. Gut gelaunte Mitarbeitende sind motivierter und folglich produktiver. Diese Vernetzung lässt sich wissenschaftlich erklären: Wird das limbische System stimuliert, sendet es positive Neurotransmitter – chemische Botenstoffe – an den Frontalkortex. Aktivierende Gestaltungselemente wirken wie Dünger für neuronale Prozesse. Fehlen diese, kann die Motivation der Mitarbeitenden darunter leiden.

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inperspective: Was ist das absolute No-Go am Arbeitsplatz?

Barbara Studer: Ablenkung und Lärm. Werden wir abgelenkt, muss das Gehirn die Störungen ständig ausblenden. Das kostet mentale Ressourcen, die einem bei der Arbeit fehlen.

inperspective: Wie lassen sich die kognitiven Funktionen der Mitarbeitenden unterstützen?

Barbara Studer: Das Wichtigste ist Wertschätzung. Mitarbeitende, die sich wertgeschätzt fühlen, wiegen sich in psychologischer Sicherheit. Diese beeinflusst wiederum die Hirnaktivität. Nur wer sich sicher fühlt, kann frei denken. Dazu zählen auch Formen der Autonomie, zum Beispiel selbstbestimmte Arbeitszeiten, Mitbestimmungsrecht bei der Arbeitsplatzgestaltung, einladende Pausenräume.

inperspective: Was gehört in einen »einladenden Pausenraum«?

Barbara Studer: Eine Tischtennisplatte ist perfekt. Sie fördert Koordination, Bewegung und Gemeinschaft. Drei absolute Hirnbooster! Außerdem Jonglierbälle für die mentale Flexibilität. Das Jonglieren wirkt entspannend und mental aktivierend zugleich. Beide Gehirnhälften werden benötigt, sie interagieren miteinander. Außerdem regt es die Neurogenese an, also die Bildung von Nervenzellen.

Die Tischtennisplatte im Büro fördert Koordination, Bewegung und Gemeinschaft.

inperspective: Auch die Wandfarbe kann Einfluss auf Stimmung und Produktivität nehmen – Farbexperte Axel Buether erläuterte gegenüber inperspective die psychologische Wirkung von Farben. Blau fördert beispielsweise Kreativität, während Rot das analytische Denken begünstigt. Welche Farben haben noch eine besondere Wirkung auf das Gehirn?

Barbara Studer: Gelb wird ein stimmungsaufhellender Effekt nachgesagt. In gelber Umgebung fühlen wir uns leichter. Grün, die Farbe der Hoffnung, kann Optimismus bekräftigen. Allerdings gibt es keine Studien, die belegen, dass blaue Wände bei allen Menschen zur gleichen Arbeitsweise führen. Die Wahrnehmung und kognitiven Funktionsweisen sind individuell, man spricht auch von Neurodiversität.

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inperspective: Verschiedene Menschen, verschiedene Gehirne, verschiedene Bedürfnisse. Eine Herausforderung für Unternehmen.

Barbara Studer: Absolut. Die einen brauchen beispielsweise Zeitdruck, weil er sie pusht. Die anderen fühlen sich durch ihn gestresst. Führungskräfte sollten ihre Mitarbeitenden daher kennen, möglicherweise sogar Teams nach diesen Eigenschaften bilden.

inperspective: Wie wichtig ist es, dass Unternehmen individuelle Lösungen für bestimmte Charaktere finden?

Barbara Studer: Wie bereits erwähnt: Wertschätzung ist essenziell. Idealerweise lässt man seine Mitarbeitenden an der Gestaltung teilhaben. Introvertierte Menschen wünschen sich vielleicht mehr Rückzugsmöglichkeiten für stilles Arbeiten. Extrovertierte freuen sich über Möglichkeiten des sozialen Austauschs und »Spielräume«. Unabhängig vom Wesen eines Menschen gilt für alle gleichermaßen: Beim Tanzen oder Sport entwickeln wir neue Ideen.

Abgetrennte Areale bieten introvertierten Menschen mehr Rückzugsmöglichkeiten für stilles Arbeiten.

inperspective: Musik, Tanz, Bewegung… Was ist im Büro umsetzbar, ohne dass aus dem Office gleich eine Turnhalle wird?

Barbara Studer: Das Lustige ist: Wir haben einen unserer Arbeitsräume als »Turnhalle« eingerichtet. Dort können wir jederzeit Musik hören, tanzen und uns mit Sportgeräten bewegen. Wichtig ist, dass sich niemand gestört fühlt. Natürlich sollte niemand wild am Schreibtisch tanzen oder jonglieren.

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inperspective: Was in vielen Bereichen inzwischen angekommen ist: Nudging, eine Strategie aus der Verhaltenspsychologie. Der Begriff bedeutet »anstupsen«. Menschen sollen subtil zu klugen Taten beeinflusst werden, ohne dass sie sich genötigt fühlen. Die Fliege im Urinal erhöht beispielsweise die Treffsicherheit bei Männern. Wie lässt sich Nudging im Büro anwenden?

Barbara Studer: Ein Fruchtkorb regt zu ausgewogener Ernährung an. Frisches Wasser und Gläser daneben zum Trinken. Ein Laufband im Besprechungsraum zu mehr Bewegung. Es gibt aber auch negatives, selbst verschuldetes Nudging: Liegt während der Arbeit mein Smartphone neben mir, ist meine Gedächtnis- und Konzentrationsleistung beeinträchtigt. Selbst wenn es ausgeschaltet ist. Das ist wissenschaftlich erwiesen.

inperspective: Sie wissen, welche Knöpfe zum Steuern der Schaltzentrale gedrückt werden müssen. Lassen Sie sich überhaupt noch »austricksen«?

Barbara Studer: Na klar. Die meisten menschlichen Reaktionen erfolgen intuitiv. Ich kann vielleicht erklären, wie und wo sie entstehen und dadurch Vieles bewusst steuern. Aber natürlich reagiere auch ich immer wieder unbewusst auf meine Umgebung. Und das ist gut so! Es wäre schade, wenn sich alles kontrollieren ließe.

inperspective: Die meisten kennen den sogenannten »Doorway-Effekt«: Sobald man einen neuen Raum betritt, vergisst man, was man eigentlich vorhatte. Wie könnten sich Architekt:innen bei der Büroplanung diesen Effekt zunutze machen?

Barbara Studer: Indem sie unterschiedliche Räume für diverse Denkprozesse planen. Einen blauen für mehr Weitsicht, einen roten für Genauigkeit. Wenn wir gelegentlich den Raum wechseln, bringt uns das auf neue Ideen.

inperspective: Wie viele – und welche – Zonen braucht ein wirkungsvolles Bürogebäude?

Barbara Studer: Auf diese Frage gibt es keine universelle Antwort. Grundsätzlich sind drei Spezialräume aber ratsam: einer mit der Möglichkeit zur Bewegung, einer für kreative Arbeitsprozesse und einer für ungestörtes Arbeiten.

inperspective: Frau Studer, zum Abschluss: Wie sieht das ideale Büro für Sie aus neurowissenschaftlicher Sicht aus?

Barbara Studer: Tageslicht fördert die Produktion von Serotonin und Dopamin, zwei stimmungsaufhellende Hormone. Große Fenster sind daher sehr wichtig. Die wiederum sollten die Mitarbeitenden jederzeit öffnen können. Frische Luft ist fundamental. Verschiedene Räume mit bestimmten Funktionen und den entsprechenden Farbkonzepten sind das Nonplusultra.