Möglichst minimalistisch, nachhaltig und ortsunabhängig: Diese Erscheinungen prägen momentan die Arbeitswelten. Doch welche Trends haben die Ausdauer, um langfristig zu bleiben? Und wie erkennen wir frühzeitig, was bald Mode ist? Eine Reflexion.
von Hannes Hilbrecht
1. Das geht über unsere Vorstellungskraft
Manche Trends kommen unerwartet. In Kenia zum Beispiel wächst seit etwa zwei Jahren konstant das Interesse am Eishockeysport. Eine Nationalmannschaft hat sich formiert und eine Liga gibt es auch. Die Ice Lions wollen irgendwann als erstes afrikanisches Team an Olympia teilnehmen. Fans hat das Nationalteam nach einem viralen Video mit kanadischen Superstars bereits weltweit gefunden.
Eishockey und Kenia, das klingt viel zu absurd, um wahr zu sein. In Kenia fällt kein Schnee (normalerweise) und Eishallen sind in Ostafrika spärlich gesät. Eigentlich hätte es diesen Trend niemals geben können. Es gibt ihn aber. Weil Begeisterung nicht immer erklärbar ist. Zu Beginn vielleicht gleicht die wichtigste Lektion: Trends sind manchmal rational kaum zu fassen.
2. Die Kunst des Vorausahnens
Trends zu erkennen und zu deuten ist der Heilige Gral in vielen Branchen. Trendforscher sind fast wie Magier. Sie können etwas sehen, was es noch nicht gibt. Wobei: Wer verfolgt, wie populäre Trendforscherinnen und Trendforscher die Zukunft präzise erahnen, der erkennt ein Denkmuster. Der versteht, wohin die postmodernen Seher mit ihren Gedanken leuchten, um Trends zu antizipieren. Es ist fast immer das Übersetzen von großen Stimmungsströmungen und neuen Gewohnheiten einer Gesellschaft auf einzelne Mikrokosmen. Zwei Beispiele dafür:
Gewohnheiten: Die populäre Mode-Vorausahnerin Lidewij Edelkoort prognostizierte für das Jahr 2018, dass Ärmelpartien bei modischen Oberteilen deutlich an Beliebtheit gewinnen werden. Sie begründete ihren Forecast mit der stark wachsenden Bedeutung des Selfies in den sozialen Medien. Ein Fotoformat, in dem die Ärmel eines Pullunders oder einer Bluse deutlich fokussierter sind als auf anderen Motiven.
Stimmung: Die Trendforscherin ahnte frühzeitig, dass der Wandel zu einem nachhaltigen Lebensstil auch die Haute Couture erreichen würde. Mode daher nicht nur nachhaltiger aussehen müsse, sondern zusätzlich aus möglichst natürlichen Materialien bestehen sollte. Neben des Looks wird die Geschichte des Produkts zur Modeerscheinung, zu einem Statement und einem Luxusgut. Je einmaliger, ökologischer und toller der Recyclingprozess, desto wertvoller die Klamotte. Den Merinoschafen gefällt das.
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3. Kurzfristiger Hype oder echter Wandel?
Soweit der kleine Exkurs. Doch wie werden gesellschaftliche Tendenzen und andere Modeerscheinungen die Bürowelten verändern? Und vor allem: Wie langfristig werden sie das tun? Für Workspace-Architekten und ihre Kunden sind diese Fragen von höchster Relevanz. Während so manches Trendprodukt schnell und für immer aus den Boutiquen verschwindet, ist die Halbwertzeit eines Offices deutlich länger. Unternehmen, die in der Konzeptionsphase einem nur kurzlebigen Trend nacheifern, können so viel Geld investieren und trotzdem rasch aus der Mode sein.
Doch welcher Office Style ist momentan en vogue? Wer auf Plattformen wie OfficeLovin oder Office Snapshots nach Inspiration stöbert, erkennt vor allem drei große Tendenzen: Büros werden minimalistischer, nachhaltiger und in Corona-Zeiten voll normal – ortsunabhängiger.
4. Minimalismus: Bloß keine Ablenkung
Größer, breiter, schwerer: In den USA ist alles ein bisschen Massiger. Doch ausgerechnet dort, wo es Softdrinks aus Zwei-Liter-Bechern und Panzerfäuste im nächsten Supermarkt gibt, hat sich bereits vor etwa 15 Jahren eine wachsende Gegenbewegung zusammengeballt: die Minimalisten.
Sie wollen mit möglichst wenig im Alltag auskommen. Das beste Beispiel: sogenannte Tiny Houses. Ein Leben, das sich zuvor auf 150 Quadratmetern breitmachen konnte, lässt sich nun in bauwagengroße Hütten quetschen. Längst ist der Hype um den alternativen "Way of Life" über den großen Teich nach Europa hinüber geschwappt.
Im Bürobereich funktioniert Minimalismus nach einem anderen Prinzip. Die Fläche bleibt fast identisch, doch wird das Interieur stark reduziert. Ein Beispiel dafür ist das Jimdo-Büro in Hamburg, gestaltet vom Architekturbüro Laik.Design.
Die Wände sind auf eine warme Art beinahe kahl, es gibt weniger Aufdringliches, dafür umso mehr Freiraum. Sogar die Fauteuils, die Sessel, sind in den Open-Space-Zonen eher unscheinbar geformt. Minimalismus bedeutet hier nicht nur die Einsparung von Ressourcen, sondern auch: no distraction. Bloß keine Ablenkung.
Genau das macht den Minimalismus dauerhaft so attraktiv: Wovon es im Homeoffice maximal viel gibt (Fernseher, Couch, Geschirrspülmaschine, die Schildkröte, der Ehemann oder die Ehefrau), ist in minimalistischen Arbeitswelten möglichst wenig vorhanden. Und: Wer wenig Schnulli einsetzt, schmeißt am Ende auch weniger Schnulli weg. Minimalismus in Reinform kann ziemlich nachhaltig sein – so wie mancher 90er-Jahre-Hit.
5. Nachhaltigkeit: Mehrere Leben schenken
Das britische Unternehmen Forbo Flooring gilt als Pionier in der Kreislaufwirtschaft. Der Hersteller von unterschiedlichsten Fußbodenbelägen wie Teppichen oder Linoleum nutzt Ozeanmüll als Rohstoff. Dafür recycelt die Firma unter anderem in den Weltmeeren zurückgelassene Fischernetze.
Der Einsatz dieser Materialien ist vor allem gut fürs Image der Unternehmen, die diese Bodenbeläge einsetzen. Besonders bei jungen, gebildeten Menschen, die zukünftig in den Büros arbeiten werden, sind die Themen Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit hoch relevant. Je stärker Arbeitgeber diese Werte in die Unternehmenskultur und damit in das Workspace-Design implementieren, desto attraktiver sind sie für die Generation Z.
Unternehmen reagieren bereits vielseitig auf diese neuen Bedürfnisse der nachwachsenden Belegschaft. Kantinen verändern ihre Speisepläne, ersetzen Kotelett und Brathähnchen durch Sellerieschnitzel und Saitansteaks. Hafermilch ist mittlerweile Teil jeder progressiven Kaffeeküche.
Doch nicht nur Speisepläne und die Materialien, aus denen Büromöbel gefertigt sind, werden zusehends stärker hinterfragt. Auch diskutieren Architekten und Wissenschaftler die Bauweise der Büromöbel. Alleine in den USA landen jedes Jahr über 8,5 Millionen Tonnen Office-Mobiliar auf den Mülldeponien des Landes. Die Lösung: ausdauerndere Möbel. Behaupten zumindest Experten wie die Londoner Architektin und Buchautorin Nicola Gillen. Sie warb im Magazin Raconteur: "Möbel, die sich leichter demontieren und hochwertig wiederaufbauen lassen, könnten Ressourcen langfristig schonen und den Wert des Interieurs erheblich steigern." Die Design-Wissenschaftlerin Dr. Melissa Sterry pflichtete bei und stiftete zudem Optimismus: "Wir befinden uns in einem sehr frühen Stadium eines paradigmatischen Wandels, der sich mit beachtlicher Geschwindigkeit entfaltet."
Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit – er erscheint für Architekten, Unternehmen und Büromöbelhersteller alternativlos.
6. Ortsunabhängigkeit:
Im Roman "Die dunkle Seite des Mondes" von Martin Suter überraschen einige skurrile Szenen. Das liegt vor allem am nervenstrapazierenden Plot: Ein eher softer Wirtschaftsjurist verliebt sich in eine deutlich jüngerere, alternativ gestrickte Frau, durchsteht einen bewusstseinserweiternden Pilz-Trip nur mühevoll und ist danach ein gefühlskalter Killer. Am absurdesten ist aber, dass der Protagonist immer wieder ins Büro fahren muss, um irgendetwas zu erledigen. Smartphones existierten in der Zeit des Romans noch nicht und von Cloud-Systemen sind selbst internationale Top-Kanzleien während der Jahrtausendwende weit entfernt.
Durch die technologischen Quantensprünge der vergangenen beiden Jahrzehnte und der Corona-Pandemie ist das ortsunabhängige Arbeiten nicht mehr nur möglich, sondern auch mehrere Schritte überspringend alltäglich geworden. Laut einer aktuellen Umfrage will die große Mehrheit der Homeoffice-Mitarbeiter ihr privates Arbeitsgemach, das Tiny Office sozusagen, in Zukunft nicht mehr dauerhaft verlassen. Und wenn sie das schon tun sollen, muss der Arbeitgeber mehr bieten als einen Schreibtisch und einen bequemen Stuhl.
Für die Unternehmen und Architekten ist das aber mehr Chance als Nachteil: Sie dürfen, können und müssen Büros einen neuen Sinn geben. Sagen zum Beispiel die Trendwahrsager der weltweit erfolgreichen Beratungskette McKinseys. Die Firma schreibt in einem Report:
"Um die Produktivität, die Zusammenarbeit und das Lernen aufrechtzuerhalten und die Unternehmenskultur zu bewahren, müssen die Grenzen zwischen dem physischen Aufenthalt im Büro und der Arbeit außerhalb des Büros fallen. Bei Videokonferenzen im Büro kann es nicht mehr darum gehen, dass eine Gruppe von Personen um einen Tisch herum einander anstarrt, während andere über einen Bildschirm an der Seite zusehen, ohne sich effektiv beteiligen zu können. Always-on-Videokonferenzen, nahtlos ineinander übergehende Räume für die Zusammenarbeit (z. B. virtuelle Whiteboards) und asynchrone Kollaborations- und Arbeitsmodelle werden sich schnell von einer futuristischen Idee zur Standardpraxis entwickeln."
"Das nachhaltigste Produkt hat mehrere Leben", sagte der renommierte Industriedesigner Dieter Rams. Der Satz erweist sich nicht nur im Kontext von nachhaltig gestalteten Arbeitswelten als sehr wahr. Denn so, wie sich aktuelle Trends entwickeln, führen auch unsere Büros ein Doppelleben. Eines Zuhause, in Abstellkammer oder Arbeitszimmer, und das andere im klassischen Office. Damit Büros attraktiv bleiben und mit dem Homeoffice harmonieren, braucht es smarte Architekten.