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"Wir müssen den Raum als Chance begreifen"

Raumgestalterin Annette Hoerauf schätzt besondere Räume – und mag es im eigenen Büro gerne hell.

Annette Hoerauf gestaltet als Büroplanerin zeitlose Arbeitswelten. Die Schleswig-Holsteinerin nutzt dabei raumpsychologische Ansätze. Ein Gespräch über Feng Shui und die versteckten Botschaften von Büros.

von Hannes Hilbrecht

inperspective: Annette, wie sieht dein Büro eigentlich aus?

Annette: Relativ schlicht. Mein Büro ist komplett weiß. Weiße Wände. Weißer Boden. Weiße Möbel.

inperspective: Klingt ein bisschen steril. Wieso diese Eintönigkeit?

Annette: Eintönig ist es nicht. Weiß ist nicht gleich weiß, ich nutze verschiedene Töne. Außerdem hilft mir dieses Büro, mich auf die vielen Gedanken in meinem Kopf zu konzentrieren. Ich arbeite täglich mit vielen Farben, Materialien und Formen. Wenn ich in meinem Büro bin, ist es so, als ob ich auf eine Resettaste drücke. Ich bin durch den "schlichten Raum" weniger abgelenkt. Auch habe ich das Glück, durch eine Glasfassade auf die Ostsee und in die Natur zu schauen. Da ist so viel Natur und Farbe, dass es für mich ausreicht.

inperspective: Welche Farben erzeugen eigentlich eine gute Atmosphäre?

Annette: Das kann niemand pauschal sagen. Unsere Wahrnehmung von Farben hängt vom gesamten Raum ab. Es ist ein Zusammenspiel aus Form, Größe, Licht und Interieur. Und am Ende sind die Mitarbeiter, die in dem Büro tatsächlich arbeiten, die entscheidende Variable.

inperspective: Als Gestalterin und Planerin von Büros konzentrierst du dich stark auf raumpsychologische Aspekte. Warum?

Annette: Es ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen, dass das Erleben von Räumen auch eine biochemische Wirkung auf den Menschen hat. Wenn wir uns in einem Raum unwohl fühlen, liegt das an einem Prozess, der in unseren Körpern abläuft. Die Räume, in denen wir uns bewegen, machen mehr mit uns, als wir lange dachten. 

inperspective: Wie sensibilisierst du deine Kunden für dieses Empfinden?

Annette: Meinen Kunden rate ich oft, dass sie sich vorstellen sollen, in einem Keller oder in einer Kirche zu stehen. Und wenn die Kunden diese unterschiedlichen "Gefühle für den Raum" erst mal in Worte fassen können, beschreiben sie auch die Atmosphäre in ihren eigenen Büros viel detaillierter. Dass besonders Führungskräfte verstehen, wie ein Raum wirken kann, ist extrem wichtig. Unternehmen drücken mit ihren Büros etwas aus. Alleine die Größe des Raums kann beispielsweise Großzügigkeit, Sicherheit und Schutz versprechen oder eben das Gegenteil davon. 

inperspective: Du beschäftigst dich auch mit asiatischen Raumwissenschaften, unter anderem Feng Shui. Welche Vorteile haben diese Lehren, um eine positive Wahrnehmung von Räumen zu erzielen?

Annette: Ich bin sehr vorsichtig geworden, den Begriff Feng Shui öffentlich zu verwenden. Viele Menschen stecken diesen Begriff sofort in eine esoterische Schublade. Dabei ist Feng Shui eine sehr sinnvolle Harmonielehre, sie behandelt das Zusammenwirken von Mensch und Raum. Wir wurden in unserem Studium vier Jahre unter anderem in Wahrnehmung geschult. Es hieß: "Wahrnehmen, was ist, um erkennen zu können, wie die Umgebung auf den Menschen wirkt". 

inperspective: Welchen großen Vorteil hat es, wenn Räume nach Feng-Shui-Maßstäben designt werden? 

Annette: Ein gutes Beispiel sind Restaurants oder Hotels. Die Möbel und die Farben treffen manchmal überhaupt nicht unseren eigentlichen persönlichen Geschmack. Trotzdem empfinden wir die Räume als angenehm. Wir fühlen uns geborgen und können es nicht einmal speziell begründen. Es stimmt alles. Die Mitarbeiter, die ich nach einer Umgestaltung oder einem Umzug in ein neues Gebäude befrage, antworten meist, dass sie weniger erschöpft sind.

inperspective: Wie beeinflusst Feng Shui die Raumwahrnehmung?

Annette: Feng Shui behandelt als Harmonielehre den sogenannten "Goldenen Schnitt". Der zeigt die perfekten Proportionen von einem Raum an und entspricht einem verbreiteten Schönheitsempfinden der Gesellschaft. Sind die Proportionen perfekt an den Raum angepasst, nehmen wir diesen unabhängig vom Interieur als harmonisch wahr.

inperspective: Nun gibt es in Büros eine große Herausforderung: Die Menschen, die dort arbeiten, sind sehr verschieden. Können Raumgestalter überhaupt mit einheitlichen Konzepten arbeiten?

Annette: Ein Buchhalter und ein kreativer Marketingspezialist haben in der Regel sehr unterschiedliche Ansprüche und eine ganz andere Raumwahrnehmung. Ein Kreativer braucht sehr viel Licht, sehr viel Platz für die Bewegung im Raum und bestenfalls Wände, an denen er frei arbeiten kann. Der Blick nach draußen, in die Umwelt, kann Ideen ankurbeln. Abschweifen ist erwünscht. Ein Buchhalter, der sehr konzentriert arbeitet, braucht das Gegenteil: eine aufgeräumte Struktur. Das bedeutet aber nicht, dass sein Büro dunkel und kalt aussehen wird.

inperspective: Aber ist es nicht eher die Regel, dass ein Buchhalter in einem ähnlichen Büro arbeitet wie ein eher kreativer Kollege aus einer ganz anderen Abteilung? Das gleiche Interieur ist verbaut, die Wände sind ähnlich gestrichen. Der Teppich ist der gleiche. Einheitlichkeit ist vielen Unternehmen wichtig.

Annette: In 99 Prozent der Fälle läuft es so. Das ist aber ein unüberlegter Ansatz. Die Gestaltung eines Raums beginnt bereits beim Auswählen der richtigen Fläche für die richtigen Mitarbeiter. Sogar die Himmelsrichtung oder die Etage haben eine wichtige Bedeutung. Eine südliche Ausrichtung ist beispielsweise immer mit mehr Licht verbunden als eine nördliche.

inperspective: Wie sieht ein typischer Projektstart bei dir aus?

Annette: Wenn ich mit der Umgestaltung eines Büros in einem bereits existierenden Bürokomplex starte, setze ich mich zunächst mit den Aufgaben der einzelnen Abteilungen auseinander. Wer arbeitet da? Welche Menschen haben welche Bedürfnisse? Bei diesem Schritt merken wir immer wieder, dass die jeweiligen Flächen nicht von den richtigen Abteilungen genutzt werden. Also beginnt das große Umziehen. Auch der Chef tauscht manchmal seinen Platz.

Annette Hoerauf arbeitet mit modernen Konzepten, die auf Feng Shui und Raumpsychologie beruhen.

inperspective: Welche Berufsgruppen fühlen sich im Erdgeschoss wohl und welche eher unter dem Dach?

Annette: Extrovertierte Menschen mit extrovertierten Aufgaben sollten weiter unten sitzen. Große Flure mit kommunikativen Zonen oder allgemein Großraumbüros machen diesen Menschen keine Mühe. Das Büro kann sowohl in Form als auch in der Farbsprache ausdrucksstärker sein. Im Erdgeschoss ist energetisch mehr los. Das passt dann für einen Vertriebler. Er kann mit den Geräuschen und den quirligen Stimmungen besser umgehen. Und noch was: Da Vertriebsmitarbreiter viel mit dem Auto unterwegs sind, ist auch der kurze Weg zum Parkplatz etwas, was ich beachte. Ein introvertierter Mensch mit Aufgaben, die Ruhe verlangen, findet sich hingegen lieber im Obergeschoss wieder. Dort ist es meist ruhiger. Die dekorativen Elemente sollten in diesen Räumen ebenfalls zurückhaltender sein. Besprechungsinseln auf den Fluren und eine Kaffeestation mit Lounge wären vermutlich eine Fehlinvestition. 

inperspective: Wie sorgst du dafür, dass du dich bei diesen Einschätzungen nicht täuscht?

Annette: Als Raumgestalter müssen wir die Menschen und Unternehmen, für die wir Arbeitsumgebungen entwickeln, so gut wie möglich kennenlernen, auch deren Gestik und Mimik verstehen. Wir fragen vor Ort nach den Unternehmenszielen, der Unternehmenskultur und den Werten, nach der die Mitarbeiter leben und arbeiten möchten. Wir lernen so die Familie mit all ihren Stärken und Schwächen kennen. Dann gehen wir mit dem Kunden durch seine Büroräume und weisen gegebenenfalls darauf hin, dass seine Unternehmenskultur und Ziele leider nicht im Gebäude sichtbar sind. Da fehlt es dann an Orientierung für die Mitarbeiter. Die ist aber wichtig. Orientierung gibt den Mitarbeitern Sicherheit.

inperspective: Nun betrifft die Unternehmenskultur alle Mitarbeiter. Müssen aber nicht, wie bereits angerissen, die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter prioritär behandelt werden?

Annette: Ich vergleiche Büros gerne mit einem Maßanzug. Gute Arbeitsumgebungen sind ideal auf die Mitarbeiter zugeschnitten. Jedes Büro braucht eine individuelle Planung. Ansonsten stülpt man oberflächliche Gestaltungskonzepte wahllos über die einzelnen Mitarbeitergruppen und das passt alles nicht zusammen. Das sorgt für eine sehr negative Wahrnehmung des Raums, die krank, unzufrieden und unproduktiv machen kann. Dabei geht es ja auch andersherum: Wir können mit Farben und Materialien die Leistung und das Wohlbefinden fördern. Unternehmen können mit tollen Büros Wertschätzung ausdrücken. 

inperspective: Was ist neben der Oberflächlichkeit ein großes Problem, was die Atmosphäre von Räumen angeht?

Annette: Unternehmer und Führungskräfte wissen manchmal gar nicht, wie ihre eigenen Büros auf die Mitarbeiter wirken. Ich habe mal einen sehr aufgeschlossenen und sympathischen Geschäftsführer kennengelernt. Er hatte ein sehr großes Problem. Er fand, dass seine Mitarbeiter zu selten zu ihm kämen, um Nöte oder Wünsche anzusprechen. Dabei lag die sehr klare Lösung in seinem Büro versteckt. Er hatte einen massiven Schreibtisch. Und dahinter stand eine rot gestrichene Wand. Die Kombination aus beidem vermittelte den Mitarbeitern eine wenig behagliche Atmosphäre. Wir kennen ja alle das Rot aus dem Straßenverkehr als eine Signalfarbe, die uns zum Stoppen auffordert. Doch der Geschäftsführer hatte diese Perspektive gar nicht. Er mochte die Wand und auch den Schreibtisch, ohne zu wissen, welches Gefühl diese Kombination bei seinen Mitarbeitern auslösen kann: Distanz zum Beispiel. Für den Wunsch des Unternehmers, mehr Nähe zu seinen Angestellten zu bekommen, war in diesem Fall die Farbe Rot einfach "zu laut".

inperspective: Wie können Unternehmen diese Missverständnisse verhindern? 

Annette: In dem wir Raumgestalter die Wirkungskraft von Räumen nachvollziehbar erklären. Jeder Raum hat eine eigene Botschaft. Und die ist sehr negativ, wenn beispielsweise Küchen, Kantinen oder Pausenräume aus Kostengründen viel zu knapp kalkuliert und geplant werden. 

inperspective: Bei den allermeisten Projekten musst du wahrscheinlich mit bereits fertiggestellten Bürokomplexen und Räumen arbeiten. 

Annette: Das ist ein ernsthaftes Problem. Unternehmen planen mit Architekten nach bestem Gewissen Arbeitsflächen, doch haben sie vor der Entwicklung kaum konkrete Vorstellungen der Büros, die entstehen sollen. Dass dadurch ungünstig geschnittene Räume entstehen, fällt niemanden in dieser Phase auf, wenn nicht intensiv gefragt wird, was der Kunde für Ideen, Wünsche und Ziele hat. Innenarchitekten und Raumgestalter können dann nur noch das Beste aus den fertigen Bauklötzen machen. Da werden viele Potenziale verschenkt. Ich sage immer, das jede Idee einen Raum braucht und wecke im Gespräch Vorstellungen für die Unternehmen. Wie wäre es mit einer eigenen Ausbildungsakademie, oder einer Gemeinschaftsküche? 

inperspective: Ganz platt gefragt: Wie können es Unternehmen besser machen?

Annette: Architekten und Unternehmen sollten den Innenausbau bereits bei der Entwicklung des Rohbaus beachten. Nur so können wir die besten Ergebnisse für die Mitarbeiter und damit für das Unternehmen erzielen. Außerdem fallen konzeptionelle Mängel früher auf. Erst vor kurzem wurde ich gerade noch rechtzeitig hinzugezogen: Der Bau war viel zu knapp bemessen worden. Das, was das Unternehmen für den Innenausbau vorgesehen hatte, hätte bei der veranschlagten Größe niemals funktioniert. Am Ende verdoppelte sich das Volumen des Baus. Das Unternehmen gab zwar deutlich mehr aus, aber das Feedback ist umso besser: Die Mitarbeiter sind hochzufrieden mit dem Projekt, und werden das auch in den kommenden Jahren noch sein.

inperspective: Was ist wichtig, damit Büroflächen nachhaltig designt sind?

Annette: Wir müssen uns von Designtrends lösen. Manche Möbel oder Gestaltungskonzepte sind ein, zwei Jahre beliebt und sobald sie aus der Mode geraten, empfinden wir sie als störend. Modern, funktional und vor allem zeitlos – das macht ein nachhaltiges Büro aus. Zudem sparen Unternehmen so bares Geld.

inperspective: Wie gehst du mit Kundenwünschen um, die wichtige Gestaltungskriterien ignorieren?

Annette: Wir visualisieren die Wünsche und zeigen die Stärken und Schwächen dieser Ideen auf. Dann erarbeiten wir eine Visualisierung mit einer optimalen Gestaltung der Büroräume. Meist erkennt der Kunde, was der Raum durch unsere Gestaltung für einen Mehrwert bekommen hat. Es entsteht ein Mix aus seinen Wünschen und unseren Hinweisen.

inperspective: Welcher Raum wird von deinen Kunden am häufigsten unterschätzt?

Annette: Flure werden oft gar nicht als Raum wahrgenommen. Dabei verbinden sie alle wichtigen Orte eines Büros. Hier begegnen sich Kollegen auch über Abteilungsgrenzen hinweg. Ich sage immer: Ein Flur ist wie eine Ader in einem Organismus. Es muss fließen können.

inperspective: Nun hat nicht jede Firma die wirtschaftlichen Möglichkeiten für einen Neubau oder einen kompletten Austausch des Interieurs. Was können diese Firmen trotzdem machen?

Annette: Überhaupt erstmal anfangen, etwas verändern zu wollen. Farbliche Akzente zu setzen, Möbel in den Räumen zu reduzieren oder an der Positionierung der Schreibtische zu feilen - das kostet nicht viel Geld. Es ist nur wichtig, sich überhaupt für dieses Thema zu interessieren. Wir müssen den Raum als eine Chance begreifen. Auch viele der Unternehmen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte, brauchten zunächst einen Impuls von Außen und gingen erst dann in die Überlegung .